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Erinnerungspolitik einer Hauptstadt
Neue Zürcher Zeitung

Berlins zentrale Gedächtnisorte spielen nicht zusammen

10. Juni 2000 - Claudia Schwartz
Nach der Wende sah das wiedervereinigte Berlin nach vorn. Zur neuen Perspektive gehörte aber auch der Rückblick auf die nationalsozialistische Vergangenheit. Die hatte man im alten West- wie Ostberlin, wo sich die ideologische Energie auf die Bekämpfung des jeweiligen Feindes jenseits der Mauer konzentrierte, gern ausgeblendet. Nach 1989, als alles möglich schien, plante man für die neue Hauptstadt drei zentrale Einrichtungen wider das Vergessen: das Jüdische Museum, das Holocaust-Mahnmal und das Dokumentationszentrum «Topographie des Terrors». Alle drei gehen auf private Initiativen zurück. Die politischen Wege waren mühsam, die Debatten heftig. Man schrieb Wettbewerbe aus und erkor drei Architekten.


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Die neue Hauptstadt ist mittlerweile «in Betrieb», die Regierungsbauten im Spreebogen sind herangewachsen, und am Potsdamer Platz zieht ein gläsernes, historisch unbelastetes Viertel die Blicke auf sich. Nur die Erinnerung gestaltet sich zögerlich. Das Jüdische Museum steht immer noch leer. Auf dem vorgesehenen Gelände für das Mahnmal am Brandenburger Tor verkündet eine Tafel den «Baubeginn im Jahr 2001». Die Arbeit der Stiftung «Topographie des Terrors» verharrt im provisorischen Zustand einer kleinen Open- Air-Ausstellung gegenüber dem Berliner Landtag.

Der Amerikaner James E. Young wies einmal darauf hin, dass das erfolgreichste deutsche Holocaust-Mahnmal wohl die «fortdauernde und unabgeschlossene Diskussion» sei. Der nun durch eine Krise der «Topographie» ausgebrochene Streit dürfte freilich kaum im Sinne des Judaistikwissenschafters sein: Es geht nicht um die Frage nach den «Formen des Erinnerns». Zur Debatte stehen vielmehr die Kosten.

Angefangen hatte es vor eineinhalb Jahren am Tag der Eröffnung von Daniel Libeskinds Bau für das Jüdische Museum in Berlin-Kreuzberg. Zur gleichen Zeit präsentierte in Bonn Kulturstaatssekretär Michael Naumann sein neu um ein «Haus der Information» erweitertes Projekt eines «Mahnmals für die Ermordung der europäischen Juden» («Eisenman III» mit Museum, Bibliothek und Archiv). Der Bundestag stimmte für die kleinere «Eisenman II»-Lösung plus bescheidenen Annex («Ort der Information»). Die damalige leise Irritation über solche Doppelspurigkeit ist mittlerweile in eine peinliche Konkurrenz der drei geographisch unweit voneinander gelegenen Gedächtnisorte umgeschlagen.

Der Stand der Dinge scheint seltsam genug. Libeskinds Gebäude ohne Exponate ist mittlerweile seine Symbolik der Leere unfreiwillig zum Programm geworden: Besucher strömen seit Monaten im Stundentakt durchs expressive Haus, dessen architektonischer Ruhm um die Welt geht, während das inhaltliche Konzept vage bleibt. Die Eröffnung des ersten Teils der Dauerausstellung ist vertagt. Der Grund, so munkelt man, liege nicht nur in den durch den ungeahnten Publikumsandrang notwendigen technischen Umbaumassnahmen, sondern in den Schwierigkeiten beim Aufbau einer Sammlung.

Das für das «Mahnmal für die Ermordung der europäischen Juden» vorgesehene Gelände liegt nach zehnjähriger Diskussion und zwei Wettbewerben immer noch brach. Anfang Juli soll dem Stiftungskuratorium das Konzept einer Expertenrunde für den «Ort der Information» vorliegen. In Anbetracht der Schwierigkeiten des Jüdischen Museums, Exponate für seine 4000 Quadratmeter Ausstellungsfläche zusammenzutragen, stellt sich natürlich die Frage nach der Notwendigkeit des umstrittenen Mahnmal-Annexes. Mit der kürzlich vorgestellten Idee einer unterirdischen Lösung für das Informationszentrum trägt das Kuratorium immerhin jener Kritik Rechnung, die in dem Vorhaben einen Ausdruck des Zweifels an der künstlerischen Wirkung des Denkmals sieht. Damit ist aber auch klar, dass die Träger - Bund und Förderverein - die für das Mahnmal veranschlagten Kosten von 25 Millionen Mark insgeheim längst nach oben korrigieren.

Während der Denkmalskomplex sich zum nationalen politischen Prestigeobjekt zu blähen droht, hat das Berliner Parlament den Neubau der Stiftung «Topographie des Terrors» nach einer Kostenexplosion mit einer Sperre der Baumittel belegt. Vom Dokumentationszentrum nach den Plänen des Schweizer Architekten Peter Zumthor gibt es sieben Jahre nach dem Wettbewerbsentscheid und fünf Jahre nach Baubeginn nichts als drei einsam dastehende Treppenhaustürme aus Beton.

Damit befindet sich nun ausgerechnet jene Gedenkstätte in einer existenziellen Krise, die über die meiste Substanz unter den drei grossen in der Berliner Erinnerungslandschaft verfügt. Seit dreizehn Jahren informiert die «Topographie» am authentischen Ort über die während der NS-Zeit hier befindlichen SS- und Gestapo-Machtzentralen und deren Verbrechen. Der Ort steht für die deutsche Schuld, und es macht innerhalb von vier Jahren zum zweiten Mal den Eindruck, als möchte das Berliner Parlament hier eine unliebsame Mahnstätte verhindern. Es ist beschämend, dass der Leiter der Stiftung «Topographie des Terrors», Reinhard Rürup, im Kulturausschuss den «Sinn» seiner Institution nach dreizehn Jahren erklären muss, wie vor Wochen geschehen. Ebenso seltsam mutet es an, dass der Architekt sieben Jahre nach dem Wettbewerbsentscheid, offenbar von der Politik im Stich gelassen, immer noch öffentlich für sein Projekt werben muss.


Schlampereien

Tatsächlich stellt der anspruchsvolle Stabwerksbau aus Beton und Glas in seiner komplizierten Konstruktion hohe bautechnische Anforderungen. In der Erklärung des Arbeitsausschusses der Stiftung heisst es, die Bauverwaltung habe die Probleme des aufwendigen Projektes «nicht rechtzeitig erkannt». Wahr sein dürfte ein anfängliches Schönrechnen des 120 Meter langen Riegels, welches sich inzwischen potenziert durch Schlampereien in der Bauverwaltung und Überforderung der Baufirma. Während dem Hauptausschuss in vier Wochen eine definitive Kostenschätzung vorliegen soll, hat der Berliner Bausenator schon einmal laut über die Trennung vom Architekten nachgedacht. Dies ist nicht nur in Anbetracht der bereits verbauten Mittel Augenwischerei. Zumthor hat ein Projekt entworfen, das die Verbindung von Geschichte und Topographie des Geländes klug bewerkstelligt. Gebäude und Institution sind in der Wahrnehmung mittlerweile fast untrennbar miteinander verschmolzen. Ein Abbruch wäre über die Blamage einer offensichtlich unfähigen lokalen Bauverwaltung hinaus ein politischer Skandal.

Dass die Gestaltungskraft der Architektur bei Gedenkstätten ein wesentliches Argument ist, zeigt die internationale Anziehungskraft von Daniel Libeskinds Jüdischem Museum. Michael Naumann stellte denn auch schon die Integration des Publikumsmagneten in den Rahmen der durch den Bund zu übernehmenden Berliner «Leuchttürme» in Aussicht. Auch als Vater der Idee des Mahnmal-Annexes tritt er gerne auf. Nur zur dramatischen Krise der «Topographie», die an die Täter mahnend erinnern soll, sagt Naumann nichts - und dies, obgleich der Bund anfangs zur Hälfte an dem ursprünglich auf 36 Millionen veranschlagten Projekt beteiligt war. Das Schweigen des Kulturstaatssekretärs trägt jedenfalls nicht zur Beruhigung des Wettstreits der drei Institutionen um Exponate und Programme bei. Es verhindert im Gegenteil eine Absprache über Berührungs- und Überschneidungspunkte.


Identitätssuche

Gedenkstätten, so sagt man, haben als Konstrukte ihrer Zeit nicht nur mit der Vergangenheit zu tun, sondern mit der Gegenwart. Die Krise der Berliner Gedächtniskultur zeugt vom nachhaltigen Erbe der einst geteilten Stadt, in der man NS-Gedenkstätten als «Störfaktoren» empfand. Sie illustriert zudem das seit dem Regierungsumzug besonders schlechte Verhältnis zwischen Bund und dem Land Berlin. Angesichts des Gegenstandes ist es bedrückend, wie sich die Politik zu Rankünen und faulen Kompromissen hinreissen lässt.

Der Streit um die Gedenkstätten war nicht zuletzt ein Merkmal der Identitätssuche des sogenannten «neuen» Berlin. Dieses hat nun freilich längst begonnen. Wenn sich die Dinge nicht bald ändern, wird man sich den Vorwurf gefallen lassen müssen, dass die nicht endende Debatte über das Gedenken an den Holocaust willkommener Ersatz sei «für jede Art von Handlung auf ein solches Gedenken hin» (Young). Es stimmt, dass Berlin zehn Jahre nach der Zusammenführung beider Stadthälften an seine finanziellen Grenzen gelangt ist und sich weitere 25 Millionen für die «Topographie des Terrors» nur schwer leisten kann. Noch weniger leisten kann es sich jedoch den Vorwurf, ausgerechnet die Vergangenheit der Täter zu verdrängen. Richtig ist darüber hinaus, wie Kultursenator Christoph Stölzl kürzlich einmal bemerkte, dass die neue alte Hauptstadt den Nationalsozialismus nicht alleine geerbt hat.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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