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Wie viel Staat braucht die Denkmalpflege?
Neue Zürcher Zeitung

Eine neue Diskussion in Deutschland

Die Denkmalpflege ist heute in breiten Bevölkerungsschichten fest verankert. Dies zeigen die Erfolge der «Tage des offenen Denkmals», dies zeigte jüngst aber auch eine Abstimmung in Lugano, bei der sich die Mehrheit der Stimmenden für den Erhalt der Ruine des Palace-Hotels aussprach. Gleichwohl scheint es da und dort chic zu werden, gegen Baudenkmäler zu opponieren: in Zürich etwa gegen das Landesmuseum, ein Meisterwerk des Historismus. In Deutschland fordern manche Votanten eine Zurückdämmung des Denkmalschutzes.

26. Juni 2000 - Jürgen Tietz
Nur ein Vierteljahrhundert nach den triumphalen Erfolgen, die das «Europäische Jahr des Denkmalschutzes» 1975 für die öffentliche Akzeptanz der Denkmalpflege mit sich brachte, sind die Zeiten angesichts der leeren öffentlichen Kassen härter geworden. Gleichwohl löst die Beschäftigung mit den baulichen Zeugnissen unserer Vergangenheit bei vielen Menschen noch immer Faszination und Neugier aus. Denn die Auseinandersetzung mit unserer gebauten Umwelt rührt an den Wurzeln unser Identität. Jetzt hat der Stadttheoretiker Dieter Hoffmann-Axthelm, mit einem im Auftrag der Bundestagsfraktion von Bündnis 90 / Die Grünen erstellten Gutachten eine neue Diskussion über Sinn und Zweck der staatlichen Denkmalpflege eröffnet. Unter dem Titel «Kann die Denkmalpflege entstaatlicht werden?» plädiert der Autor in dem als Streitschrift bezeichneten Gutachten dafür, die Denkmalpflege zurückzustutzen. Nach seinen Vorstellungen sollte sie sich vor allem jener Monumente annehmen, die sich im Besitz des Staates befinden, und private Denkmalbesitzer mit ihren überzogenen Erhaltungsforderungen verschonen.


Hierarchisierung der Denkmalpflege

Hoffman-Axthelms höchst pointiertes Gutachten wartet mit einigen erstaunlichen Erkenntnissen auf. Die Erweiterung des Denkmalbegriffs, die der Autor nachdrücklich beklagt, führt ihn im Kapitel «Was soll man erhalten?» zurück zu einer Hierarchisierung der Denkmäler. Ein Wohnhaus stehe uns als Denkmal näher als eine Fabrik. Näher als das Wohnhaus aber stehe uns das Palais, das Schloss, die Burg und schliesslich die Kirche, «weil sie der sozusagen kollektivste Raum ist, den es gibt». Kollektivität als Denkmalwert ist in den Zeiten einer pluralistischen und individualisierten Gesellschaft ein bemerkenswerter Denkmalfaktor. Auch auf die Frage, was denn den Denkmalwert ausmache, weiss Hoffmann-Axthelm eine Antwort: «Es gibt kein unmittelbareres Mass für Denkmalwert als die Schönheit.»

Nun spielt der ebenso schillernde wie wandelbare Begriff der Schönheit in den Denkmalschutzgesetzen der deutschen Bundesländer mit guten Gründen eine untergeordnete Rolle. Stattdessen findet man dort den Hinweis, dass die künstlerische oder historische Bedeutung den Denkmalcharakter eines Bauwerks, eines Bodendenkmals oder einer Gartenanlage definiert. Doch gerade mit historischen Denkmälern - auch aus der Zeit des «Dritten Reichs» oder der DDR - vermag Hoffmann-Axthelm wenig anzufangen. Ebenso wenig mit der grossen Gruppe von Industrie- oder Gartendenkmälern, für die erst in den letzten zwanzig Jahren ein breiteres fachliches und öffentliches Interesse entstanden ist. So fordert Hoffmann-Axthelm anstelle einer alle Bereiche der Baukultur umfassenden staatlichen Denkmalpflege eine Konzentration auf die Erhaltung von Kirchen, Burgen und Schlössern, kurz auf alles, was einen Alterswert besitzt. Dabei plädiert er für ein verstärktes bürgerschaftliches Interesse und vertraut darauf, dass dann schon geschützt werde, was auch schützenswert sei. Was dagegen untergehe, verdiene es vermutlich auch. «Was kein Herz zerreisst - wozu soll es erhalten werden?»

Ganz neu sind Hoffmann-Axthelms Forderungen freilich nicht. Schon vor 20 Jahren hielt er in der Architekturzeitschrift «Arch+» ein «Plädoyer für die Abschaffung der Denkmalpflege». Mit seiner damaligen Behauptung: «Die Anzeichen mehren sich, dass die Denkmalpflege am Ende ist», lag er allerdings daneben. Schliesslich wurden inzwischen nicht nur zahlreiche neue Denkmalschutzgesetze verabschiedet und die Denkmalpflege damit auf eine feste juristische Basis gestellt. Mit der Entwicklung eines differenzierten Instrumentariums, das unter dem Schlagwort des Denkmalmanagements bekannt geworden ist, besitzt die Denkmalpflege erprobte Mittel, um auf die Fragen nach der Umnutzung und der Zukunftsfähigkeit von Denkmälern Antworten zu geben, die auch in den Augen von kühl rechnenden Investoren Bestand haben. Durch die Zusammenarbeit von Denkmalpflege und Investoren ist es in Ost- wie in Westdeutschland gelungen, nicht nur historische Innenstädte wieder zu beleben, sondern auch zahlreiche Industriebrachen. Längst ist der Denkmalschutz vielerorts zu einem Motor für eine erfolgreiche und zukunftsorientierte Standortpolitik geworden. Das vielfach beschworene Bild, dass funktionslose Baudenkmäler bestenfalls in Museen umgewandelt werden können, führt an der Wirklichkeit vorbei.


Denkmalschutz und Standortpolitik

Die von Hoffmann-Axthelm beklagte Erweiterung des Denkmalbegriffes ist die logische Antwort auf den rasanten Wandel unseres kulturellen Umfeldes in den letzten 150 Jahren. In der Vielfalt der Denkmallisten spiegeln sich die rasante Entwicklung und die Komplexität unserer Gesellschaft. Dennoch gibt es durchaus Diskussionsbedarf in der Denkmalpflege - gerade im Hinblick auf die Fülle der Aufgaben im Osten Deutschlands, wo die Denkmalpflege bis 1989 häufig gezwungen war, lediglich den Untergang der Denkmäler zu verwalten. Die neuen Bundesländer liegen denn auch der Auftraggeberin der Streitschrift, der Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, Antje Vollmer (Bündnis 90 / Die Grünen), besonders am Herzen. Im Nachgang zu Hoffmann-Axthelms Gutachten hat sie nun 12 Thesen zum Denkmalschutz veröffentlicht. Etwas gemildert in der Form, betrachten diese Thesen das vermeintliche Sammeln «von typischen Baudenkmälern bestimmter Epochen» dennoch mit Argwohn. Bei der lapidaren Feststellung, dass das Kriterium für einen erfolgreichen Denkmalschutz nicht daran festgemacht werden könne, wie viel unter Schutz gestellt wird, sondern daran, wie viel erhalten wird, handelt es sich um eine Binsenweisheit.

Die Behauptung allerdings, weniger könne dabei mehr sein, muss wie Hohn in den Ohren derer klingen, die in den Landesdenkmalämtern für den Erhalt einer Vielfalt von Zeugnissen der jüngeren und älteren Vergangenheit streiten. Als staatliche Institution ist die Denkmalpflege nicht zuletzt auch an parteipolitisch motivierte Weisungen gebunden. Allzu oft muss sie daher entgegen ihren eigenen Erkenntnissen und Interessen handeln. Kontinuierlich zurückgefahrene Denkmalpflege- Etats bewirken ein Übriges, um die so wichtige Position der Denkmalpflege zu schwächen. Insofern kann man dem von Vollmer formulierten Wunsch, es möge zu einer neuen Dialogkultur zwischen Denkmalschützern und Bürgern kommen, nur zustimmen. Denkmäler brauchen nicht nur ein wissenschaftliches, sondern ein breit gefächertes Bürgerinteresse. Hier muss die Denkmalpflege durch zusätzliche Information weitere Hilfestellungen leisten - nicht nur an den «Tagen des offenen Denkmals» mit einem Ansturm an begeisterten Besuchern.

Das bereits vorhandene vielfältige ideelle, aber auch finanzielle Engagement von Einzelpersonen und Gruppen für «ihr» Denkmal muss weiter gestärkt werden. Ein Mittel, dies zu erreichen, wäre die Einführung der Möglichkeit zur Verbandsklage für den Erhalt von Denkmälern - analog zum Naturschutz- und Umweltrecht. Sie böte die Chance, den gegenwärtigen Dualismus zwischen staatlicher Denkmalpflege und jeweiligem Eigentümer aufzubrechen. Bürgerschaftliches Engagement und öffentliches Denkmalinteresse erhielten so eine noch wirkungsvollere Basis.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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