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Wo geht's hier zur Kultur?
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Bad Ischl wird 2024 Europas Kulturhauptstadt sein. Und wie steht's dort heute um die Baukultur? Über Versäumnisse der Gegenwart und Potenziale für die Zukunft.

2. Oktober 2020 - Vladimir Vuković
Hinter der vermeintlichen Idylle Salzkammergut lauern viele aktuelle Probleme wie Zersiedelung der Landschaft, übermäßiger Verbrauch von Naturressourcen, überdurchschnittliches Verkehrsaufkommen, Mangel an leistbarem Wohnraum, zweifelhafte Qualität der gegenwärtigen Bauproduktion. Mit all diesen Tatsachen werden Bevölkerung, Politik und Fachleute bereits seit geraumer Zeit konfrontiert. Die Nominierung der Region als Europäische Kulturhauptstadt 2024 sollte Anlass für eine kritische Auseinandersetzung mit diesen Problemen sein.

Rund um Bad Ischl sind in der Vergangenheit einige neue Wohnsiedlungen entstanden, die sich in peripheren Lagen befinden und keine nachhaltige Planung erkennen lassen – etwa Perneck, Engleiten, Roith und andere. Diese Stadtteile haben keine ausreichende Infrastruktur wie Nahversorger, Arzt, Schulen, Kindergärten und sind mit der Zeit zu bloßen Schlafstätten verkommen. Trotzdem werden die Fehler der Vergangenheit wiederholt. Seit einigen Jahren verkauft die Gemeinde Bad Ischl auf dem sogenannten Robinson-Areal „günstige Baugründe an Jungfamilien“. Der Baugrundpreis von 99 Euro pro Quadratmeter klingt zwar verlockend, aber die Lage ist dermaßen weit vom Stadtzentrum entfernt, dass die künftigen Bewohner aufs tägliche Pendeln angewiesen sein werden. So löst man kurzfristig die Nachfrage nach Wohnraum, verursacht aber volkswirtschaftliche, soziale und ökologische Probleme.

Diese und andere Probleme der mangelnden Raumplanung betreffen nicht nur Bad Ischl und das Salzkammergut, sondern auch viele andere ländliche Regionen Österreichs. Laut dem aktuellen Österreichischen Baukulturreport (2017) werden hierzulande täglich mehr als 16 Hektar Grünland zu Bauland umgewidmet. Die Grenze der Umweltverträglichkeit wird bei maximal 2,5 Hektar pro Tag angenommen. In der jüngsten Vergangenheit ist zwar eine leichte Verbesserung der Situation zu beobachten, allerdings ist der Flächenverbrauch in Österreich immer noch so hoch, dass Agrarflächen bald Mangelware werden könnten. Erst nach einer gründlichen Auseinandersetzung mit den Fehlern aus der Vergangenheit kann nach wirkungsvollen Zukunftsmaßnahmen für die Verbesserung der Lebensqualität in der Region gesucht werden. Eine dieser Maßnahmen wäre die Beschaffung von leistbarem Wohnraum. Entgegen dem jetzigen Trend zum Einfamilienhaus muss sich die Suche nach neuen Wohnformen in Richtung flächensparender Haustypen bewegen (Reihenhaus, Mehrfamilienhaus). Bevor man in der Peripherie baut, muss man den Leerstand aktivieren und zentrale, innerstädtische Lagen verdichten. Die vorhandenen Baulandreserven müssen mobilisiert werden, bevor man neues Grünland zu Bauland umwidmet. Nur so kann man es mittel- bis langfristig schaffen, dass es in Bad Ischl und in der Region wieder genug leistbare Wohnungen gibt.

Nicht zuletzt ist die Baukultur ein wesentlicher Bestandteil des Gesamtbildes einer Region. Die sehenswerte Architektur im Stadtbild von Bad Ischl stammt zum größten Teil aus vergangenen Epochen. Zwei historische Perioden waren besonders wichtig für die bauliche Entwicklung der Stadt. Zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert entstanden zahlreiche Bauten für den Salzfertigungsbetrieb. Viele dieser Gebäude sind bis heute sehr gut erhalten und stellen den wesentlichen Teil der authentischen historischen Bausubstanz von Bad Ischl dar. Die zweite Periode beginnt mit dem Aufkommen des Kurtourismus ab der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts und endet mit Beginn des Ersten Weltkriegs.

Die meisten Bauwerke für den Bedarf der Kaiserfamilie und der Kurgäste wurden in einem „importierten“ Baustil errichtet, der wenig Rücksicht auf die lokale Bevölkerung und die lokale Tradition nahm. Das Baugeschehen in vielen anderen Kurorten jener Zeit hat eine ähnliche Entwicklung gehabt. Trotzdem wird das Stadtbild von Bad Ischl bis heute in einem sehr hohen Maß von dieser Architektur geprägt. Nach dem Zusammenbruch der Habsburgermonarchie, in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen, kam die Bautätigkeit zum Erlahmen, aber einige sehenswerte Beispiele sind dennoch zu erwähnen, etwa das Kurmittelhaus (heute Eurotherme) von den Architekten Clemens Holzmeister und Max Fellerer. Nach dieser Zeit veränderte sich die Situation im lokalen Baugeschehen leider nicht zum Besseren. Es gibt in Bad Ischl nur wenige Bauten neueren Datums, die die Qualität ihrer historischen Vorgänger erreichen könnten. Besonders die gegenwärtige Architektur lässt viel zu wünschen übrig – in einigen Fällen muss man von langfristiger negativer Beeinträchtigung des Ortsbildes sprechen. Warum werden heutzutage für Bauvorhaben in prominenten städtischen Lagen keine Architekturwettbewerbe ausgeschrieben? Warum hat Bad Ischl immer noch keinen Gestaltungsbeirat? Mit welchen Beispielen zeitgenössischer Architektur will man sich 2024 als Kulturhauptstadt Europas präsentieren? Die vergangenen Generationen haben in Bad Ischl sehenswerte Bauten hinterlassen, die man heute noch bewundert. Welche Architektur hinterlassen wir den künftigen Generationen?

Das Umsetzungsverfahren des Projektes Kulturhauptstadt Europas 2024 wäre eine gute Gelegenheit, auf die negativen Entwicklungen in der heutigen Architektur und Raumplanung in der Region hinzuweisen sowie die möglichen Verbesserungswege aufzuzeigen. Besonders wichtig ist die Stärkung des Bewusstseins in der Bevölkerung und der Politik für die Bedeutung der gegenwärtigen Baukultur sowie für die Wichtigkeit einer sozial und ökologisch nachhaltigen Baupolitik. Im Rahmen des Kulturhauptstadtjahres 2024 befassen sich einige Projekte mit diesen Themen – etwa „Life Factory“ (ein Vorzeigebeispiel für Revitalisierung von stillgelegten Industriebauten und Aktivierung des Leerstands in innerstädtischen Lagen) oder „Salzkammergut Architecture Week“ (eine internationale Fachtagung zum Thema Baukultur in ländlichen Regionen).

Es bleibt zu hoffen, dass diese Projekte den gewünschten Beitrag zur dauerhaften Verbesserung des Ist-Zustands leisten werden. Und nicht zuletzt bietet uns vielleicht die gegenwärtige Corona-Krise eine Möglichkeit, die bisherige Politik der Regionalentwicklung zu überdenken, einen sorgsameren Umgang mit Naturressourcen anzustreben, die Lebensqualität und soziale Nachhaltigkeit zu verbessern sowie eine zeitgemäße Baukultur abseits von Klischees zu fördern, die an die lange historische Tradition würdig anknüpfen könnte.

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