Artikel

Vom Kinderstuhl bis zum Fabrikgebäude
Neue Zürcher Zeitung

Der Designer Marco Zanuso in einer Mailänder Ausstellung

Das Werk von Marco Zanuso, dem heute 83jährigen Architekten und Designer aus Mailand, reicht von der berühmten schwarzen Fernsehkiste und dem ersten Plasticstuhl für Kinder bis zu dem 1998 vollendeten Neubau des Piccolo Teatro. Eine Retrospektive im Palazzo dell'Arte der Triennale in Mailand widmet sich nun dem breitangelegten Schaffen des Altmeisters.

7. Juni 1999 - Irene Meier
Die Schau im Palazzo dell'Arte der Triennale in Mailand empfängt mit einer installationsähnlichen Anhäufung von Marco Zanusos Designikonen: die Kunststoffstühle «K4999» für Kinder (1959-1964) und die heute zu raren Sammlerstücken gewordenen Fernsehapparate des Typs «Black ST 201» von 1969 stapeln sich zu Türmen. Daraufhin ist die Ausstellung in drei Bereiche unterteilt: Sie präsentieren die gestalterischen und architektonischen Arbeiten für die Industrie, die Wohnhäuser und schliesslich öffentliche Gebäude wie Spitäler und Theater. Auf robusten, roh verschraubten Gestellen, die der Baukonstruktion entlehnt sind, reihen sich in den drei Abteilungen Photos, Modelle, Pläne, Industrieprodukte und Möbel aneinander. Dazwischen schlängelt sich Zanusos modular zusammensetzbares Sitzsystem «Lombico» von 1967, dessen Form heute wieder sehr im Trend ist.

Das Gesamtwerk von Marco Zanuso ist gross und von einer erstaunlichen Vielfalt. Laut Katalog hat er rund 100 Bauten und um die 150 Designobjekte realisiert, die im Projektstadium verbliebenen nicht mit eingerechnet. Sechsmal wurde dem heute 83jährigen Mailänder Architekten und Designer der Compasso d'Oro, der wichtigste Design-Preis Italiens, verliehen. In den Jahren 1958 bis 1977 unterhielt er zusammen mit Richard Sapper, einer anderen «grauen Eminenz» des Industrial Design, in Mailand ein Architektur- und Design-Büro. Von 1961 bis 1991 war er Professor an der Architekturabteilung des Polytechnikums von Mailand. Zanuso ist weder als Architekt noch als Designer zum Medienstar geworden wie etwa Ettore Sottsass oder Achille Castiglione. Sein Werk ist viel weniger an die Person gebunden als das seiner Kollegen - und dies obschon Zanuso die perfekte Verkörperung des Designer-Architekten darstellt. Oft entwarf er Industriebauten für Firmen, deren Produkte er zum Teil auch zeichnete. So baute er für Olivetti zwischen 1954 und 1972 Fabriken in Argentinien, Brasilien und Italien, gestaltete in den sechziger Jahren aber auch Olivetti-Maschinen. Das Fabrikgebäude von Necchi in Pavia (1960/1961) stammt ebenso von seiner Hand wie auch die berühmt gewordenen Necchi-Nähmaschinen jener Zeit.

Zum Kultobjekt ist sein kubisches Radio «TS 502» (1962/1963) geworden, das beim Gebrauch in zwei Hälften auseinandergeschoben wird. Das Telefon «Grillo» (1966/1967) nahm die Form des Handys vorweg, bei dem man das Mikrophon beim Sprechen hinausklappt. Auch im Möbeldesign gelangen Zanuso einige Pionierleistungen, oft in Zusammenarbeit mit Sapper. Zum Beispiel der Stuhl «Lambda» (1964), der aus insgesamt zehn gestanzten, dünnen Metallblechen besteht. Wegen der komplizierten handwerklichen Montage der Einzelteile kippte der Stuhl jedoch bald wieder aus der Produktion. Ein grosser Verkaufserfolg wurde hingegen der elegant geschwungene Sessel «Lady» (1951), der auf einer neuartigen Metallstruktur aufbaute. Bei Zanuso steht die Konstruktion auch bei der Möbelgestaltung immer im Vordergrund, er gilt denn auch als der «grösste Rationalist» des italienischen Nachkriegsdesigns.

In den fünfziger Jahren zeichnete Zanuso vor allem auch Möbel für Kinder: etwa den berühmt gewordenen Plasticstuhl. Auch hier standen die Möbel aber in Funktion zur Architektur. Zanuso erbaute damals nämlich verschiedene Waisenhäuser, Kindergärten und Spielplätze und entwarf auch deren Ausrüstung. Neben den Fabriken und Bürogebäuden - in den siebziger und frühen achtziger Jahren kamen Grossaufträge u. a. für IBM hinzu - fallen die Wohnhäuser auf, die in Form und Material perfekt in die Landschaft integriert sind. Das Ferienhaus auf der Isola di Cavallo (1981-1988) ist so in weisse Kuben unterteilt, dass es in der felsigen Meeresküste kaum auffällt. Das langgestreckte, eingeschossige Haus in Lydenburg in Südafrika (1970-1972) nimmt mit den bewachsenen Flachdächern und den grauen Natursteinmauern die Farben der Umgebung auf und ist in seiner unauffälligen Grosszügigkeit ein Spiegel der weiten Landschaft. Das Haus Sapper am Ufer des Comersees gleicht sich mit seinen heute verwitterten Holzschindeln der es umgebenden Natur an. Ein typisches Produkt des «Tüftlers» Zanuso ist das Minihaus «Spazio» (1986), das - in Containerform geliefert - sich in kürzester Zeit zum Zwei-Zimmer-Gebäude mit Küche und Bad auseinanderklappen lässt. (Bis 30. Juni)

[ Katalog: Marco Zanuso. Architetto. Hrsg. Manolo de Giorgi. Skira Editore, Milano 1999. 326 S., 70 000 L. ]

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroomoffice[at]nextroom.at

Tools: