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Die Kultur der Freiräume
Neue Zürcher Zeitung

Bauen auf dem Gelände der ehemaligen Brauerei Hochdorf

Die Umnutzung zentral gelegener Industriebrachen ist nach wie vor ein Thema. Dass auch «Nebenschauplätze» mit interessanten Realisierungen aufwarten können, zeigt ein Umbau der jungen Luzerner Architekten Lüthi und Schmid in Hochdorf. Dort ist auf dem Areal einer ehemaligen Brauerei mitten im Dorf ein Kulturzentrum entstanden.

4. Juni 1999 - Beat Aeberhard
Hochdorf beim Baldeggersee gilt als typisches regionales Industrie- und Gewerbezentrum. Die seit 1860 bestehende Bierbrauerei machte den Ort über sein unmittelbares Umland hinaus bekannt. Als 1988 der Betrieb an die Brauerei Feldschlösschen verkauft wurde, und diese drei Jahre später den Entschluss fasste, die Bierproduktion in Hochdorf einzustellen, handelten die Gemeindebehörden unverzüglich. Seit längerer Zeit bestand in Hochdorf nämlich die Absicht, ein Gemeindezentrum als gesellschaftlichen und kulturellen Treffpunkt zu erstellen. Der wichtigen Lage des Braui-Areals mitten im Dorf bewusst, bemühte sich die Gemeinde um den Kauf des Grundstücks. Zusammen mit zwei Bauunternehmen und der Luzerner Kantonalbank bildete sie ein Konsortium zum Erwerb des 12 000 m² umfassenden Areals und zur Finanzierung eines Kulturzentrums, eines neuen Sitzes für die Kantonalbank sowie von Geschäfts- und Wohnbauten.


Vision für einen Ort

Die Neubebauung des bisher vielseitig genutzten, in verschiedene Bauzonen eingeteilten Areals, das nun auf die neuen Grundeigentümer zu parzellieren war, stellte für alle Beteiligten eine Herausforderung dar. Aus einem regionalen Ideenwettbewerb resultierte der überzeugende Vorschlag der jungen Architekten Hanspeter Lüthi und Andi Schmid, die seit 1990 in Luzern ein gemeinsames Büro betreiben. Historisches Bewusstsein und theoretische Reflexion erlaubten ihnen, die Identität und Individualität des Geländes mit den umfangreichen Vorgaben zu vereinbaren. Insbesondere der Umgang mit dem von der kantonalen Denkmalpflege als schützenswert eingestuften, Art-déco-Elemente aufweisenden Sudhaus vermochte zu überzeugen. Der Braui- Turm mit dem im Erdgeschoss untergebrachten Sudraum wurde 1930-32 vom Architekturbüro Zimmermann aus Freiburg i. Br. erstellt, das in der Schweiz damals einen guten Namen auf dem Gebiet der Brauereiarchitektur hatte. So errichtete dieses Büro auch - als bekanntestes Beispiel - das Sudhaus von Feldschlösschen in Rheinfelden.

Der Braui-Turm in Hochdorf ist als zentraler und prestigeträchtiger Ort innerhalb der Produktionsstätte ein formal überzeugendes und konsequentes Beispiel der Moderne. Die rein kubische Grundform - gegliedert durch eine in ihrer orthogonalen Linienführung an amerikanische Industriebauten erinnernde Fassadengestaltung - kontrastiert mit dem dekorativ-repräsentativen, fast schon sakral überhöhten Erscheinungsbild des Sudraums im Erdgeschoss. Bereits während der vier Jahre dauernden Planungs- und Projektierungszeit lockte das leere Industriegebäude Gewerbler und Kulturschaffende an, was schliesslich zur Gründung des Vereins «Kultur i de Braui» führte. Diesem übertrug der Gemeinderat die Verantwortung über die Nutzung der Räume im Sudhaus, die mit geringem finanziellen Aufwand betriebsbereit gemacht wurden.

Die Architekten Lüthi und Schmid akzeptierten die Identität und Individualität des Areals als Bestand einer Industrielandschaft. Wie etwa das Zürcher Steinfelsareal oder der von Diener & Diener umgestaltete Warteckhof in Basel findet auch das Braui-Areal durch partielle Bewahrung, Umnutzung und Einbinden in ein Ensemble zu einer neuen städtebaulichen Ordnung. Der Braui- Turm - einst als statisch selbständiges Element in den Komplex der Brauerei integriert - bildet nun als autarkes Teil mit einem winkelförmigen Neubau einen neuen Dorfplatz. Der Neubau besteht aus einem Saaltrakt und einem zweigeschossigen Flügelbau, in welchem ein Restaurant sowie die Bibliothek untergebracht sind. Das Volumen des Saalbaus ist vom Platz her in seiner gesamten Dimension nicht wahrnehmbar. Ein Foyer mit grossen Fenstern und quer zur Fassade stehenden Mauerscheiben öffnet sich dem Besucher. Der dahinter liegende, geschlossene und in kräftigem Rot gehaltene Saalbau mit der zum Bühnenhaus hin ansteigenden Dachlandschaft verweist auf industrielle Hallenbauten. Der flache Restaurant- und Bibliothekstrakt setzt mit seinem Blaugrau einen Gegenpol und vermag zwischen dem Saalbau und dem im originalen grünlichen Hellgrau aufgefrischten Turm farblich zu vermitteln.

Eine in Sichtbeton und mit horizontalen Fensterschlitzen neutral gestaltete Erschliessungsschicht ergänzt in kohärenter Weise den Turm. In diesem befinden sich neben dem heute als Ausstellungs- und Empfangshalle dienenden repräsentativen Sudraum die Ludothek, der Jugendraum, verschiedene Vereinsräume, ein Raum für Kleinkultur sowie das mit seiner Ausstattung integral erhaltene «Brauistübli» mit Aussicht auf die Landschaft des Seetals. Die Anlage des Platzes seitlich des Braui-Turms relativiert wohltuend die axialsymmetrische Ästhetik der Turmfassade, wodurch der (in der Höhe) alles überragende industrielle Zeuge dem flachen Neubau ganz selbstverständlich den Vortritt gewährt. Auf den ersten Blick mag die etwas isolierende Art im Umgang mit dem Solitär aus den dreissiger Jahren zu irritieren, gleichwohl stellt gerade dieser Massstabsprung von flachen zu hohen Gebäuden die eigentliche Verbindung zur tradierten Industrielandschaft her. In dieser Hinsicht ergibt sich Hochdorfs neuer Dorfplatz aus einer logischen und unprätentiösen Konfiguration von alten und neuen Bauteilen. Und zu Recht wird man ihn als gelungene Antwort auf die gestellte Aufgabe bezeichnen: in einem bis anhin privaten Areal einen öffentlichen Raum zu realisieren.


Benutzergerecht

Im Innern wird die Stimmung nicht durch Farben, sondern durch die natürlichen Oberflächen von Eichenholz und Sichtbeton erzeugt. Die bewusst diskrete Gestaltung der Details lässt eine Architektur der Sachlichkeit erkennen, welche die Aufmerksamkeit den Benutzern zuwendet. Nicht bis ins letzte ausgeklügelte Proportionen, nicht überzüchtete ästhetische Zielvorgaben interessierten die Architekten, sondern eine dauerhafte Architektur der Zurückhaltung im Wissen um das auf solidem Handwerk basierende Bauen. So setzte man im Restaurant auf Bewährtes: dunkles Riemenparkett, teilweise in Kirschbaum verkleidete Wände und das bekannte «Beizenmobiliar» der klassischen Eichentische und schwarzen Moserstühle. Lediglich die Eingangsfassaden um den Platz zeichnen sich durch edle Materialien wie Serpentinverkleidungen und Eichenholz aus.

Zurzeit entsteht schräg gegenüber des Kulturzentrums die neue Kantonalbank - zwar nicht ein Werk von Lüthi und Schmid, aber auf der Grundlage des von ihnen festgelegten Bebauungsplans. Hochdorf findet allmählich zu einer neuen urbanen Mitte, denn mit den üblichen Allerweltsbauten, welche die sanften Hügel des Dorfes überziehen, hat die Anlage der Luzerner Architekten nichts gemein. Und doch erscheinen die Gebäude kaum als Fanal einer neuen Architektur, sondern dank formaler Zurückhaltung unaufgeregt und im Einklang mit dem Bestehenden. Ein alles in allem geglückter Arealumbau, der zeigt, dass die intensive Zusammenarbeit zwischen Behörden, Nutzern, Planern und interessierten Laien sehr wohl zu geglückten Ergebnissen im Bereich der Industriebrachen und ihrer Nutzungsumlagerungen führen kann.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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