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Was die Stadt Wien gegen ihre Überhitzung tun will
Spectrum

Neue Bäume, Nebelduschen: Die Stadt Wien rüstet sich gegen die Überhitzung ihrer Straßenräume. Leben mit der großen Hitze.

17. März 2021 - Christian Kühn
Unter normalen Umständen hätte die Nachricht mehr Aufmerksamkeit erregt: Seit 100 Tagen war die Wiener „Fortschrittskoalition“ aus SPÖ und Neos vergangene Woche im Amt. Für die Wiener Stadtplanung bedeutet diese Koalition zumindest personell eine Zäsur: Nach zehn Jahren grüner Leitung – von 2010 bis 2019 durch Maria Vassilakou und danach durch Birgit Hebein – ist das Planungsressort an die SPÖ zurückgefallen. Ulli Sima, ausgewiesene Umweltpolitikerin und bisher Umweltstadträtin, durfte ein Ressort mit dem klingenden Namen „Innovation, Stadtplanung und Mobilität“ übernehmen.

Hat damit eine neue Ära in der Stadtplanung begonnen? Nimmt man die Presseaussendungen der Stadtplanung der vergangenen 100 Tage als Maßstab, zeigt sich zumindest ein eindeutiger Fokus: mehr Bäume und weniger Asphalt für die Stadt. Die meisten der Projekte, zu denen die Renaturierung des Liesingbachs oder die Oberflächengestaltung des Neuen Markts, der Zollergasse und des Pratersterns gehören, gehen zwar auf ihre Vorgängerinnen zurück, aber Sima hat in laufende Planungen eingegriffen und ihnen mehr Grün verordnet.

In manchen Fällen entbehrt das nicht einer gewissen Ironie. Anlass für die bevorstehende Oberflächengestaltung des Neuen Markts im ersten Bezirk ist das Projekt einer Tiefgarage mit rund 350 Stellplätzen. Das Auto hatte den Platz schon in den 1950er-Jahren für sich erobert und in eine Abstellfläche verwandelt, die sich um den barocken Providentia-Brunnen von Raphael Donner im Zentrum ausbreitete. Im Jahr 1959 platzierte sich eine von Karl Schwanzer entworfene Hochgarage ausgesprochen selbstbewusst an der Ecke zur Tegetthoffstraße, schräg gegenüber dem Eingang zur Kapuzinergruft. Die Hochgarage – mit dem ersten Autolift der Stadt – bewährte sich nicht und wurde Anfang der 1980er-Jahre durch ein Bürohaus ersetzt, das ästhetisch einen Absturz vom kühlen Rationalismus der Nachkriegszeit in eine ungelenke Postmoderne bedeutete.

Die Autos fluteten weiterhin den Platz; eine Tiefgarage sollte Abhilfe schaffen. Von Baumpflanzungen war vorerst keine Rede. Bäume hatte es auf diesem Platz auch nie gegeben. Alte Stiche zeigen einen wuselnden Marktplatz mit Verkaufsständen ohne städtisches Grün. Auch im Architekturwettbewerb für die Oberflächengestaltung, den Paul Katzberger, der für die Stadt Wien unter anderem die Stationen der U-Bahnlinie U2 entworfen hat, 2003 für sich entscheiden konnte, sind Bäume kein Thema. Immerhin gibt es große Grünskulpturen, mit Pflanzen bewachsene Gerüste – die allerdings bald aus dem Programm gestrichen werden, da sich niemand findet, der ihre Pflege übernehmen möchte. Katzbergers Entwurf funktioniert auch ohne Grün: Er lebt von der richtigen Platzierung der Beleuchtung und von feinen Details der Stadtmöblierung. Dass Bäume hier überhaupt möglich sind, liegt an der hohen Erdüberschüttung der Garage von bis zu 1,8 Metern. Ein Blick in die spektakuläre Baugrube auf dem Neuen Markt macht klar, was mit dem Begriff „unterbautes Grün“ gemeint ist: Wie fast überall in der Stadt müssen die Wurzeln der Bäume mit zahlreichen technischen Einbauten koexistieren, die eine freie Platzierung von Pflanzen oft unmöglich machen. Und auch die Bäume brauchen heute technischen Support: Ohne eigenes Bewässerungssystem könnten sie dem Stress des Klimawandels nicht mehr standhalten. Dass die sechs Platanen, die für den Platz vorgesehen sind, mit einer Höhe von bereits zehn Metern gepflanzt werden sollen, ist nicht die technische Sensation, als die es den Medien gegenüber dargestellt wurde, sondern eine politische: Bisher war die Stadt nicht bereit, die relativ bescheidenen Mehrkosten für ältere Bäume zu bezahlen.

Mit sechs Platanen wird man bei der Neugestaltung des Pratersterns, dem größten unter den aktuellen Projekten, nicht auskommen. Auch hier lag bereits vergangenes Jahr eine Planung vor, Ergebnis eines Ideenwettbewerbs, den DnD Landschaftsplanung und die Architektengruppe KENH für sich entscheiden konnte. Der Praterstern ist Umsteigestation für Zigtausende Fahrgäste der ÖBB und der Wiener Linien, zugleich das touristische Eintrittstor zum Riesenrad und schließlich ein sozialer Brennpunkt, den man durch Alkoholverbote und Polizeipräsenz nur mühsam einhegen konnte. Gestalterisch hat der Platz ein schlechtes Karma: Seine ursprüngliche Sternfunktion ist dahin, seit die Bahnlinie, die einst halbkreisförmig um ihn herumführte, quer durch den Platz gelegt ist.

Die Straßenführung der 1950er-Jahre, die aus der Kreisform eine zeittypisch gequetschte Nierentischkurve machte, hat den Platz schließlich in einen Durchgangsort ohne jede Aufenthaltsqualität verwandelt. Mit der Neugestaltung des Bahnhofs durch Albert Wimmer verbesserte sich die Innenraumqualität des Bahnhofs deutlich, der Platz rundherum blieb gestalterisches Kampfgebiet. Boris Podrecca, der im Wettbewerb für das Bahnhofsgebäude eine monumentale Gesamtüberdachung des Pratersterns vorgeschlagen hatte, durfte die Kontur des Platzes mit einer fünf Meter hohen Stahlpergola nachzeichnen, die wenig zur Klärung der Situation beitragen konnte. Ihre Entfernung Ende des Jahres war eine Erleichterung.

Der neue Plan nimmt den Praterstern als das, was er ist: eine vom Verkehr umspülte und durchzogene Fläche, die in absehbarer Zeit, wenn hier nur noch elektrisch betriebene Vehikel unterwegs sein werden, auch eine akzeptable Luftqualität aufweisen wird. Der aktuelle Plan sieht vor, die Kontur des Platzes – soweit verkehrstechnisch möglich – mit einem 2,5 Meter breiten, erhöhten Pflanzstreifen nachzuzeichnen und innerhalb dieser Kontur ein Archipel von grünen Inseln anzulegen. Vor dem Tegetthoff-Denkmal wird es Wasserspiele und die obligatorischen Nebelduschen geben.

Angesichts der Bedrohung unserer Lebensgrundlagen, die wir uns gerne als Klimawandel schönreden, sind diese Maßnahmen Kosmetik. Es ist trotzdem richtig, sie zu setzen und den Stadtbewohnern fühlbare, wenn auch nur punktuelle Erleichterung zu bringen. Wie sie das komplexe ökologische, soziale, technische und nicht zuletzt ästhetische System Stadt in die Zukunft retten möchte, muss uns die Wiener Stadtplanung aber noch erklären. Die nächsten 100 Tage sind bald vorbei.

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