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Liverpool wird von der Unesco-Welterbe-Liste gestrichen. Doch auch andere Orte in Grossbritannien sind gefährdet. Selbst Stonehenge zählt dazu
Neue Zürcher Zeitung

Das Vereinigte Königreich widmet sich eigentlich allzu gerne seiner Vergangenheit. Nun steht allerdings die Erhaltung seiner Kulturdenkmäler in der Kritik. Auf der Insel reagiert man darauf mit Trotz.

29. Juli 2021 - Marion Löhndorf
Schon wieder tanzt England aus der Reihe. Dieses Mal wird dem eigensinnigen Land Unachtsamkeit im Umgang mit Stätten vorgeworfen, die mit dem Prädikat «Welterbe» ausgezeichnet wurden. Die prähistorische Stätte Stonehenge läuft Gefahr, von der Unesco-Welterbe-Liste gestrichen zu werden. Der Stadt Liverpool ist es schon passiert. Dabei werden Eintragungen nur sehr selten von der Liste entfernt, die inzwischen 1120 Stätten in 167 Ländern umfasst.

Liverpool ist erst der dritte Ort, dem die Ehre aberkannt wurde. Das Dresdner Elbtal gehört seit 2009 wegen des Baus der neuen Waldschlösschenbrücke nicht mehr zu den Stätten des Welterbes. Ebenso ein Wildschutzgebiet in Oman, das den Status erhalten hatte, um sich um den Erhalt der seltenen Arabischen Oryxantilopen zu kümmern – was nicht geschah.

Das störende Stadion

Mit dem von der Unesco verliehenen Titel ist die Verpflichtung verbunden, das so ausgezeichnete Natur- oder Kulturgut zu schützen und zu erhalten. Das aber, so der Befund des zuständigen Komitees, sei im Fall von Liverpool nicht geschehen. Die nordenglische Stadt hatte im Rahmen ihres «Liverpool Waters» genannten Stadtentwicklungsplans unter anderem den Bau von Hochhäusern und einem Stadion für den Fussballklub Everton in Auftrag gegeben. Besonders die geplante Sportarena störte die Denkmalschützer der Uno; die Stadt verliere mit diesen Bauvorhaben ihren Charakter, der zur Einstufung als Welterbe geführt habe.

Dabei stand der Geburtsort der Beatles erst seit 2012 auf der Welterbe-Liste, aber offenbar von Anfang an unter gewissen Vorbehalten. Zwar gehörte Liverpool im 18. und im 19. Jahrhundert zu den wichtigsten Handelszentren der Welt, und es spielte eine zentrale Rolle bei der Ausweitung des britischen Empire – auch weil es zu den Zentren des Sklavenhandels gehörte. Doch erlebte die einst wichtigste Hafen- und Handelsmetropole Nordenglands im 20. Jahrhundert einen fortschreitenden, dramatischen Bedeutungsverlust. Sie zählt auch heute noch zu den zehn ärmsten Städten des Vereinigten Königreichs.

In Liverpool und Umgebung wurde in der Nachkriegszeit und später vieles abgerissen, Industrieanlagen und Wohnraum, ohne dass die Baulücken wieder gefüllt worden wären. Ganze Strassenzüge lagen brach. Städtebauliche Entscheidungen und Fehlplanungen der Stadt sorgten seit Jahrzehnten immer wieder für Streit. Die alten Quaianlagen und das berühmte Albert Dock wurden von den achtziger Jahren an saniert und ziehen als Einkaufs-, Museums- und Freizeitviertel viele Besucher an. Auch teure Wohnungen entstanden in und um das Hafenviertel, das im Mittelpunkt der Regenerationsbemühungen der Stadt steht. Andere Viertel darbten indessen weiterhin. Liverpool konnte die Auszeichnung «Welterbe», die vor allem dem eigenen Selbstbewusstsein und dem Tourismus dient, also gut gebrauchen. Mit bedeutenden finanziellen Zuwendungen ist das Prädikat nicht verbunden.

Die Reaktionen in Liverpool

Der Liebesentzug der Unesco traf erwartungsgemäss auf kontroverse Reaktionen. Einige Denkmalschützer waren auf der Seite der Uno-Organisation, aber führende Persönlichkeiten der Stadt schrieben in einem empörten Leserbrief an die «Times», dass ihre Stadt heute in einem weitaus besseren Zustand sei als bei der Verleihung der Ehre im Jahr 2012. Zu den Unterzeichnern gehörten die Direktorin der Tate Liverpool, der Leiter der Liverpool Biennial, der Erzbischof der Stadt und der CEO des FC Liverpool.

Nach der Streichung von der renommierten Liste stellte sich bei den meisten, die sich für das Thema engagierten, Enttäuschung, aber auch selbstbewusster Trotz ein. Claire McColgan, die Kulturdirektorin der Stadt, schrieb auf einem Blog: «Ich ärgere mich, dass Menschen diese Entscheidung getroffen haben, die unsere schöne Stadt nicht besucht haben. Sie haben die Investitionen nicht gesehen, die unsere Stadt richtigerweise in ihre unglaubliche Infrastruktur gemacht hat.»

Das Komitee der Unesco hatte die Entscheidung im Juli an seiner laufenden 44. Sitzung im chinesischen Fuzhou getroffen. Das Gremium tagt normalerweise jährlich und befindet über Neuaufnahmen und den Zustand bereits in die Liste aufgenommener Welterbe-Stätten. Die Streichung ist das einzige Sanktionsmittel der globalen Organisation für Bildung, Wissenschaft, Kultur und Kommunikation. Welterbe-Stätten sind zunehmend bedroht, durch Kriege, den Klimawandel oder weil wirtschaftliche Interessen ihrer Erhaltung übergeordnet werden.

Tunnel für Stonehenge zu kurz

Das Gütesiegel «Welterbe» führt auch die prähistorische Stätte Stonehenge, und auch sie ist im Begriff, sich diesen Status nach Meinung der Unesco buchstäblich zu verbauen. Bis jetzt führt eine stark befahrene Autobahn an dem mythischen Ort vorbei. Jeder Passant kann im Vorbeirasen aus dem Autofenster einen Blick auf Stonehenge werfen. Nun ist ein 1,7 Milliarden Pfund teurer Tunnel geplant, der den Verkehr über 2 Meilen (3,2 Kilometer) unter dem Boden führen soll, um das Ensemble zu schützen. Doch dem Welterbe-Komitee ist er nicht lang genug.

Auch andere historische Stätten mit Welterbe-Status in Grossbritannien möchte sich die Unesco jetzt genauer ansehen, wie die Tageszeitung «The Guardian» berichtete. So wolle man erstaunlicherweise prüfen, ob die Zugehörigkeit von Teilen von Edinburg, dem Tower of London und historischen Minen in Cornwall noch gerechtfertigt sei. In der Nähe dieser Stätten sind ebenfalls Baumassnahmen geplant, die das Welterbe-Komitee kritisch sieht. Falls es so weit kommen sollte: Der Tower of London und Stonehenge werden – wie in den Jahrhunderten vor seiner Verleihung – auch ohne das Gütesiegel der Unesco auskommen.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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