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Die Tricks von Ikea und KaDeWe
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Seit jeher trachten Kaufhäuser danach, ihre Kunden ins Innere zu locken und in Kauflaune zu versetzen, um sie danach zufrieden zu entlassen. Und wie sieht die Glücksmaschine „Warenhaus“ heute aus? Aktuelle grüne Beispiele aus Wien: der Stadt-Ikea und das KaDeWe.

13. September 2021 - Peter Payer
Dass die Wiener Mariahilfer Straße als wichtigste Einkaufsmeile der Stadt eine ganz spezielle Geschichte und urbane Wirkungsmacht hat, ist allgemein bekannt. Dass sie sich derzeit aber mit gleich zwei großen Neubauprojekten wie ein Zeitfenster öffnet, durch das wir Einblicke in die gebaute Konsumkultur unserer Tage erhalten, kann als schöne Koinzidenz bezeichnet werden. Die Rede ist natürlich vom kürzlich eröffneten Ikea beim Westbahnhof und vom KaDeWe Wien, das gerade anstelle des alten Leiner-Hauses in Bau ist (der Name ist noch nicht fix; geplante Eröffnung: 2024).

Beide Projekte versuchen sich an einer Neuinterpretation des großstädtischen Warenhauses, transformieren die alte, stilprägende Idee der „Kathedralen der Moderne“ ins 21. Jahrhundert. Architektonische Statements mit Zukunftspotenzial. Doch was ist daran anders? Gibt es Kontinuitäten? Einige Anmerkungen aus stadthistorischer Sicht.

Warenhausarchitektur ist – und dies sei gleich als wichtigste Konstante hervorgehoben – zutiefst visuell determiniert. Es ist ein Zelebrieren der Schaulust. „Vollgefressene Pupillen“, wie Joseph Roth so treffend formulierte, stehen im Mittelpunkt, sinnliche Erlebnisse in all ihren Ausprägungen.

Das zeigten schon die ersten Großkaufhäuser, die sich in der Mariahilfer Straße etablierten: Stefan Esders' Zur großen Fabrik (1895; der spätere Leiner), Herzmansky (1897), Gerngroß (1904), Mariahilfer Zentralpalast (1911) – um nur die bekanntesten zu nennen. Sie alle setzten auf riesige Schaufenster und raffinierte Effektbeleuchtung innen wie außen. Ein visueller Sog und Zauber, vor allem nachts schier unwiderstehlich, wie der Journalist Paul Zifferer 1910 bemerkte: „Jedem einzelnen, den jetzt sein Weg des Abends durch die Mariahilferstraße hinauf führt, widerfährt etwas ganz Erstaunliches und Wunderbares. Alles ringsum scheint verzaubert, altvertraute Plätze tragen ein neues, fremdes Gewand, und man schreitet wie durch lauter Prunkgemächer, deren Türen weit geöffnet stehen und deren Kronleuchter ihr Licht als strahlende Dusche über die festlich geputzte Menge ergießen.“

Dieses Ziel haben auch die beiden Neubauten. Auch sie trachten danach, ihre Kunden ins Innere zu locken, ihre Herzen zu öffnen, sie in Kauflaune zu versetzen, um sie am Ende mit zufriedener Miene zu entlassen. Das Warenhaus als verführerische, wohl kalkulierte Glücksmaschine, mit Versprechen, die zwar oft nur allzu kurzlebig sind, aber dennoch unser Innerstes stets aufs Neue erreichen.

Die Fassadengestaltung der beiden Neubauten versucht dies auf durchaus unterschiedliche Weise. Der vom Wiener Architekturbüro Querkraft entworfene Ikea-Bau setzt auf ein in dieser Form völlig neuartiges Stahlregalsystem, offen und luftig-leicht wirkend, begrünt mit windsicher verankerten Topfbäumen. Das schwedische Einrichtungshaus in nuce, in rechtwinkelig klar strukturierter Form, handsome und beinahe zurückhaltend und dennoch ein spannender Kontrast zur Umgebung. Leider wirkt der Baublock – er umfasst nur rund 22.000 Quadratmeter – durch seine Lage in der zweiten Reihe, hinter beziehungsweise neben dem dominanten Westbahnhof, allzu eingezwängt. Mehr Fernwirkung und Ausstrahlung auf den Europaplatz wären durchaus verdient und auch aus städtebaulicher Sicht interessant gewesen.

Ein ganz anderes Bild zeigen die Renderings des künftigen KaDeWe. In dem von Rem Koolhaas' Büro OMA (Office for Metropolitan Architecture) entworfenen Bau werden nach außen hin weiche, abgerundete Formen dominieren. Ein zwar reich gegliederter, aber relativ geschlossen wirkender Baukörper ist geplant, der nur im Erdgeschoß von Rundbogenportalen und Arkaden mit großflächigen Schaufenstern – ganz in der Tradition der Moderne – durchbrochen wird. Der acht Stockwerke hohe, dominante Bau ist von seinen Dimensionen her natürlich ein ganz anderes Kaliber. Als Eckgrundstück ist hier Fernwirkung garantiert. Kurzum: kein bescheidenes, vielmehr ein bewusst auf Monumentalität abzielendes architektonisches Statement.

Beiden Bauten gemeinsam ist ihre Multifunktionalität, neben Einkaufen wird auch ausgiebig Gastronomie angeboten und – anders als bei den historischen Vorgängern – ein Hotel integriert. Neu sind außerdem großzügige begrünte Dachterrassen inklusive Fotovoltaikanlagen. Mehr öffentliche Räume gehören angesichts von Corona-Krise und Klimawandel zum Gebot der Stunde. Nachhaltig, leicht zugänglich und möglichst konsumfrei sollen sie sein.

Im Falle von Ikea wurde im städtebaulichen Vertrag eine tägliche Öffnung von acht bis 24 Uhr vereinbart, und dies ist – so viel kann jetzt schon gesagt werden – ein absoluter Gewinn. Denn der Fernblick von oben begeistert (und entschädigt für die oft allzu große Enge in den Verkaufsräumen darunter): Hier lässt sich gut durchatmen, an Heurigenbänken und -tischen (!) rasten und eine durchwegs lässige Atmosphäre genießen. Etwas störend ist lediglich die aufdringliche, vom Wind in alle Ecken getragene Hintergrundmusik. Die ausgedehnte und stellenweise parkähnliche Dachlandschaft des KaDeWe wird sich im Unterschied dazu wohl deutlich nobler präsentieren, der freie Rundumblick wird aber sicher auch dort seine Anhänger finden.

Spannend ist auch das unterschiedliche Mobilitätskonzept der beiden Häuser. Während man im innerstädtischen Einkaufstempel nach wie vor auf das Auto setzt und ausreichend Garagenplätze für die Kunden vorsieht, versucht man beim schwedischen Möbelhaus eine zwar nicht völlige, so doch weitgehend autofreie Lösung. Kundengarage gibt es keine mehr, gute Erreichbarkeit mit Öffis, Fahrrad oder zu Fuß muss genügen. Da vor allem Kleinwaren angeboten werden, können diese problemlos selbst mitgenommen werden. Die wenigen größeren Produkte respektive Möbel werden von Ikea mit Elektrofahrzeugen nach Hause geliefert. Wenngleich das Ausmaß des künftigen An- und Auslieferverkehrs bei Anrainern wie Politikern für Diskussionen sorgt und hier längst nicht alles final geregelt scheint, kann man mit Interesse auf das Funktionieren dieses weltweit einzigartigen Experiments blicken.

Welche konkreten Auswirkungen all dies auf die Umgebung haben wird, nicht nur verkehrstechnisch, auch ökonomisch und soziokulturell, wird sich zeigen. Zweifellos werden beide Neubauten vielfältige Impulse auslösen, die vor allem bei der äußeren Mariahilfer Straße durchaus notwendig und wünschenswert wären. Allzu lange schon steht sie im Schatten ihrer innerstädtischen Schwester. Vielleicht ist gerade das radikale Konzept von Ikea der Startschuss für ein geändertes Einkaufs- und Freizeitverhalten, das letztlich allen in der Stadt zugute kommt.

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