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Das Wohnhaus als Kraftwerk
Der Standard

Die Neue Heimat Tirol will bis 2030 klimaneutral werden. Ein Meilenstein auf dem Weg: die weltgrößte Passivhaus-Plus-Anlage in der Marktgemeinde Rum nordöstlich von Innsbruck.

17. November 2021 - Maik Novotny
Fünf Wohnblöcke auf einer Wiese im Inntal, kompakte Kuben in freundlichem Weiß, fünf bis acht Geschoße. Auf den ersten Blick nicht so ungewöhnlich für eine verdichtete Wohnanlage, wie sie heute in Österreich an vielen Orten errichtet wird. Doch die Baustelle in Rum bei Innsbruck ist anders. Hier entsteht bis 2022 der größte Passivhaus-Plus-Wohnbau der Welt.

Moment: Passivhaus Plus, was ist das nun wieder? Ein weiteres von vielen mal mehr, mal weniger seriösen Nachhaltigkeitslabeln, mit denen sich Investoren gern schmücken? Nicht ganz, denn dieses stammt ganz offiziell vom Passivhausinstitut Darmstadt, das 2015 seine Klassifizierung ausgeweitet hat. Während der bisherige Standard zum Passivhaus Classic umgetauft wurde, muss ein Passivhaus Plus mindestens so viel Energie erzeugen, wie es verbraucht.

Eine gute und seriöse Sache also, und auch der Bauherr in Rum setzt die fünf Häuser mit insgesamt 132 Wohnungen nicht aus Geltungssucht in die Wiese. Die Neue Heimat Tirol (NHT) definiert sich stolz als „Motor der Energiewende im Wohnbau“, baut seit 2012 ausschließlich im Passivhausstandard. Schon 2015 setzte man einen Meilenstein mit dem Netto­Null­Gebäude in Innsbruck, bei dem die gesamte Energie für die Haustechnik inklusive Heizung und Warmwasser im und am Haus produziert wird. In der Südtiroler-Siedlung in Wörgl wurde erstmals ein System implementiert, das Strom aus Photovoltaikanlagen in Salzwasserbatterien speichert, eine Technologie, die auch in Rum zur Anwendung kommt.

Abwärme aus den Kliniken

Dort wird der Passivhausstandard mittels Wärmedämmung, Dreifachverglasung, luftdichter Gebäudehülle und Komfortlüftung erreicht, auf eine minimale Eigenverschattung der fünf Bauteile wurde schon beim Architekturwettbewerb geachtet (Sieger: Scharmer Wurnig Architekten aus Innsbruck). Die Beheizung der Anlage erfolgt über einen Anschluss an das Abwärmenetz der Tirol-Kliniken sowie mehrere Wärmepumpen, die Stromversorgung kommt von der Photovoltaikanlage auf dem Dach, die Energie wird in Kooperation mit der Tiwag als Mieterstrommodell zur Verfügung gestellt. Insgesamt investiert man hier rund 20 Millionen Euro.

Auch beim Wohnungsbestand ist die NHT in Richtung Klimaneutralität unterwegs, diese soll bis 2030 erreicht werden, dann sind die fossilen Brennstoffe Vergangenheit. Insgesamt 124 Wohnanlagen werden binnen zehn Jahren auf erneuerbare Energien beziehungsweise „grüne“ Fernwärme umgerüstet.

„Mit fast 3500 Wohnungen im Portfolio zählen wir zu den größten Passivhausbauträgern in Europa“, sagt NHT-Geschäftsführer Hannes Gschwentner. „Das Passivhaus ist der führende Standard im energiesparenden Bauen. Die Bewohnerinnen und Bewohner profitieren von niedrigen Betriebskosten, zusätzlich leisten wir mit unseren hochenergieeffizienten Gebäuden einen nachhaltigen Beitrag zur Reduzierung unseres CO2-Fußabdrucks.“ Damit die vielen Tausend Tiroler Passivhausbewohner keine tägliche Gebrauchsanweisung fürs Benutzen ihrer Häuser benötigen, hat man sich bei der NHT ein Motto auferlegt: „Gute Hülle, wenig Technik, einfach zu bedienen“.
Keine Kosten für Bewohner

Kein unwesentlicher Faktor, denn die Haustechnik ist, wie viele Bauträger klagen, in den letzten Jahren zu einem enormen Kostenfaktor geworden, oft vollgestopft mit wartungsintensiver Sensorik. Ein Kostenaufwand, der letztendlich meist auf die Bewohner abgewälzt wird – nicht jedoch in Rum, sagt die NHT.

Hier belohnt die Passivhaustechnologie mit Heizkosten von durchschnittlich zwölf Euro pro Monat für eine 50-Quadratmeter-Wohnung; 30 Wohneinheiten werden als Fünf-Euro-Wohnmodell angeboten (Miete inklusive Heizkosten fünf Euro pro m² ). Künftig, so Geschwentner, will man alle neuen Wohnanlagen im Passivhaus-Plus-Standard errichten.

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