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New Yorks „Little Island“: Mut zum Maßlosen
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Betrachtet man die Landschaftsarchitektur, stellen sich punkto Klimakrise grundsätzliche Fragen: Buntere, prächtigere, üppigere, größere Grün- und Freiräume – wollen wir das auch in Österreich, vielleicht nach dem New Yorker Vorbild?

3. Januar 2022 - Stephanie Drlik
Grünräume sind für die Städterinnen und Städter essenziell, daher wissen sie ihre Parks während klimawandelbedingter Extremtemperaturen in den Sommermonaten jedes Jahr aufs Neue zu schätzen. Auch die Pandemie und die daraus resultierenden Kontaktbeschränkungen führten uns vor Augen, wie wichtig Grünanlagen für das soziale Gleichgewicht sind. Je grüner unsere Städte, desto resilienter sind sie in Krisenzeiten gegenüber Störfaktoren. Und weil Widerstände gegen Parks, Bäume und Natur erfahrungsgemäß gering sind, entdecken Stadtpolitikerinnen und -politiker gerade das Thema Grün in der Stadt als leicht umsetzbare Klimawandelmaßnahme.

Doch nicht jedes Projekt, das unter dem Deckmantel der Klimawandelanpassung, der Grünraumgerechtigkeit oder der Schaffung von artenreichen Lebensräumen für Bewohnerinnen und Bewohner realisiert wird, ist gleichermaßen nachhaltig. Um den Nutzen besser einordnen zu können, gibt es eigens entwickelte Nachhaltigkeitsbewertungstools. Meist reicht aber auch der gesunde Hausverstand, um die Sinnhaftigkeit einer Begrünungsmaßnahme einschätzen zu können. Ausschlaggebend ist jedenfalls die Verhältnismäßigkeit – also welchen Nutzen das Vorhaben im Verhältnis zu seinen negativen Auswirkungen hat. Um nachhaltig zu sein, sollte Landschaftsarchitektur jedenfalls keine gröberen sozialen, ökologischen oder budgetären Kollateralschäden verursachen.

Medienmogul als Spender

In New York City gibt es seit Mai dieses Jahres ein Stück Neuland auf dem Hudson River: Little Island. Dabei handelt es sich um eine künstlich errichtete, knapp einen Hektar große, üppig begrünte und gestaltete Plattform, die lediglich durch zwei Brücken mit dem 56 Meter entfernten Ufer verbunden ist. Der Pier 55 Park steht auf 132 tulpenförmigen Betonpfeilern, durch deren unterschiedliche Höhen eine interessante Topografie mit herrlichen Ausblicken entstanden ist.

Geplant und gestaltet von dem britischen Design Studio Heatherwick und von Mathews Nielsen Landscape Architects (MNLA), erzeugen die vielseitig angelegten Landschaftsräume, so die Planerinnen und Planer, eine hohe Resilienz gegenüber Nutzungsdruck und Klimawandel. Der Park soll öffentlichen Raum für Kulturevents schaffen, wofür eigens ein 700 Personen fassendes Amphitheater eingerichtet wurde.

Medienmogul Barry Diller und seine Mode schöpfende Frau, Diane von Fürstenberg, waren maßgeblich an der Finanzierung des berühmten, nur einen Block entfernten High Line Park beteiligt. Nun verhalfen sie auch der Vision einer Parkinsel ins Leben. Für Planung und Bau von Little Island spendete The Diller Von Furstenberg Family Foundation unglaubliche 113 Millionen US-Dollar, bei Gesamtprojektkosten von 260 Millionen ein ausschlaggebender Zuschuss. Die durch Kürzungen des Freiraumbudgets ohnehin leidgeplagte Stadt New York wird allerdings zu einem Teil für die bei einer derartigen Konstruktion erwartbar hohen Erhaltungskosten aufkommen müssen. Als Gegenzug ist der Zugang kostenlos, das Kulturangebot soll ebenfalls weitgehend gratis oder zumindest erschwinglich bleiben.

Little Island ist zweifelsohne ein spektakuläres Projekt, das bereits zu einer neuen New Yorker Landmark hochstilisiert wurde. Doch allein die Idee und die absurd aufwendige und kostspielige technische Umsetzung spiegeln eine derartige Maßlosigkeit wider, dass die aufgekommene Kritik an dem Projekt nicht verwundert.

So gab es Klagen und Proteste gegen die undurchsichtigen Vergabemodalitäten, gegen erwartbare Auswirkungen auf das Ökosystem des Flusses, und nicht zuletzt steht der Vorwurf des Ausverkaufs der Stadt an die einflussreiche New Yorker Oberschicht im Raum. Denn Diller und Konsorten stecken ihre Dollarmillionen vermutlich nicht nur aus gemeinnützigen Beweggründen in solche Projekte. Statt die Parkinsel in einem Stadtteil mit hohem Grünraumbedarf zu realisieren, wurde sie als Fortsetzung des bereits erwähnten prestigeträchtigen High Line Park errichtet. Dieser hat enorme Gentrifizierungsprozesse ausgelöst, von deren Immobilienprofiten wahrscheinlich auch Großspenderinnen und Großspender wie Diller und Fürstenberg profitieren. Das uneigennützige Argument Dillers, mit Little Island einen Park für die Bürgerinnen und Bürger New Yorks schaffen zu wollen, ist jedenfalls nur bedingt glaubwürdig. Den vergleichbaren High Line Park nutzen großteils Touristinnen und Touristen – die ursprünglichen Anrainerinnen und Anrainer wurden längst verdrängt.

Aus ökologischer, sozialer und volkswirtschaftlicher Sicht ist Little Island völlig maßlos und überzogen. Die enormen Errichtungs- und Erhaltungskosten, der nachlässige Umgang mit kommunalen Geldern sowie die ökologischen Eingriffe stehen in keiner Verhältnismäßigkeit zu dem angekündigten Nutzen des Megaprojekts. Der Park verstärkt zudem soziale Ungerechtigkeiten und trägt nur wenig zur Bewältigung der Klimakrise bei.

Voraussetzung für das gute Leben

Und doch haben Vorhaben wie dieses ihre Berechtigung. Sie sind reizvoll, weil sie Utopien verwirklichen und kreative Innovationskraft zeigen. Die Realisierung solch gewagter Ideen spiegelt eine zukunftsgerichtete, couragierte Baukultur wider, die wir als Gesellschaft gerade in Krisenzeiten dringend brauchen. Nachhaltigkeitsforscherinnen und -forscher sind der Auffassung, dass Maßlosigkeit nicht nur negativ zu werten ist, sondern sogar eine Voraussetzung für das sogenannte gute Leben sein kann.

In Österreich entstanden spektakuläre Landmarks meist noch in Zeiten, als diese zur Selbstinszenierung machthungriger Herrscherinnen und Herrscher dienten. Die heute Einflussreichen haben – je nach Betrachtung leider oder glücklicherweise – den Grünraum noch nicht als Geste der Macht für sich entdeckt. Folglich fehlt es Österreich an maßlosen Würfen der zeitgenössischen Landschaftsarchitektur, denn Stadtkommunen können derartige Projekte finanziell nicht stemmen.

Die Tatsache, dass zu wenige überdimensionierte Freiflächen bereitstehen, an denen die Stadt jahrzehntelang wachsen kann, und das Fehlen von Freiraumbudgets, die eine gewisse Maßlosigkeit zuließen, beschränken Planerinnen und Planer beim Entwickeln visionärer Ideen. Daher gilt der Aufruf zur Maßlosigkeit und Unverhältnismäßigkeit nicht nur den Landschaftsarchitektinnen und -architekten, die Großes verfolgen und selbstbewusst einfordern sollten: Er richtet sich besonders an all jene, die diese Visionen ermöglichen können.

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