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Nein, das Büro verschwindet nicht. Es kehrt zurück. Und es wird unser Leben mehr bestimmen als je zuvor
Neue Zürcher Zeitung

In Unternehmen wie Google, Roche und Deloitte wird darüber nachgedacht, wie Arbeit in Zukunft aussehen soll und wo sie überhaupt stattfindet. Eine Reise in ein neues Zeitalter.

31. Dezember 2021 - Michael Schilliger, Aline Wanner
Man sollte in diesen Tagen vorsichtig sein mit Voraussagen, aber dieser Text ist eine. Er prophezeit, dass nach der Pandemie etwas zurückkehren wird, was man totgesagt hat: das Büro. Es wird nicht einfach überleben, es wird sogar noch wichtiger werden. Nicht nur als Arbeitsplatz.

In jeder entwickelten Gesellschaft hat sich das Wissen im Büro konzentriert – und damit die Macht. Die Römer hielten in Archivräumen Gesetze, Ernteerträge und Bevölkerungszahlen fest und legten so die Grundlage für ein Reich, das die damals bekannte Welt kontrollierte.

Im Mittelalter strahlte die Macht der Kirche über ihre Gewölbe und Türme, und wenn man diese Strahlen zurückverfolgte, gingen sie von den Schreibkammern der Abteien aus. Die Familie der Fugger und die Kaufleute der Hanse beherrschten aus ihren Buchhaltungsstuben nicht einfach Handelsimperien, sondern weite Teile Europas. Am deutlichsten zeigt sich die Bedeutung des Büros daran, dass Deutschland heute von einem Kanzler regiert wird − dabei war der einst nicht mehr als der Leiter der Kanzlei, der Bürochef von Königen und Stadtstaaten.

Dann machte die Schreibmaschine das Büro schneller, grösser, gefährlicher: In den Schreibsälen wurde das Büro Anfang des 20.Jahrhunderts zur ­Verwaltungsfabrik. Getötet wurden die Juden in Gaskammern und auf dem Feld, aber dass die Nationalsozialisten sechs Millionen zu vernichten vermochten, liegt auch an der Effizienz des grässlichsten Bürogebäudes der Geschichte: An der Kurfürstenstrasse 115/116 in Berlin orchestrierte Adolf Eichmann den Holocaust aus einem 15 Quadratmeter grossen Büro.

Der mächtigste Ort der heutigen Welt? Ein ovales Einzelbüro, seit hundert Jahren Arbeitsplatz des amerikanischen Präsidenten. Die Form des Oval Office kombiniert den Vorzug einer Gesprächsrunde – alle können sich in die Augen schauen – mit klarer Hierarchie: der Präsident sitzt exponiert am Kopfende. Überhaupt kommt die ganze Einrichtung einer Wissenschaft gleich. Tisch, Teppich, Bilder: alles hat einen Sinn und eine Symbolik.

Bill Clinton liess Büsten seiner liebsten Vorgänger aufstellen und wählte die Farben Rot, Blau und Gold für Polsterung und Teppich. George W.Bush bevorzugte antikes Gold und Bilder seines Heimatstaates Texas. Aber kein Präsident liebte Gold mehr als Donald Trump. Unter seiner Herrschaft glänzte der ganze Raum. Kein anderes Büro zeigt beispielhafter, dass dieser Ort immer auch eine Bühne ist.

Lange war das Büro das Privileg der Elite. Ein geschützter, warmer Raum, wo sich gebildete Menschen einfanden, um nachzudenken, zu schreiben und folgenschwere Entscheidungen zu treffen. Heute ist es ein Tummelplatz der Masse.

70 Prozent der Erwerbstätigen in Deutschland arbeiten zumindest teilweise in einem Büro; in der Schweiz dürfte der Anteil ähnlich hoch sein. Wer Vollzeit angestellt ist, verbringt jedes Jahr 2000 Stunden im Büro.

Das änderte sich im März 2020 schlagartig. Millionen von Menschen weltweit machten ihre Wohnung zum Büro. In der Schweiz arbeiten seit Ausbruch der Pandemie 34 Prozent der Beschäftigten regelmässig zu Hause, das sind zehn Prozent mehr als zuvor.

Das Paradoxe: Seit wir viel weniger Zeit im Büro verbringen, ist es präsenter denn je. Gäbe es eine Rangliste der häufigsten Smalltalkfragen, würden «Bist du im Homeoffice?» und «Wie geht es dir damit?» Spitzenplätze belegen.

Wieso? Was fehlt uns, wenn das Büro wegfällt? Was ist ein gutes Büro überhaupt? Und wie wird das Büro, das jetzt im Entstehen begriffen ist, unser Leben verändern?

1. Das wichtigste Objekt im guten Büro

Er redet, er schreit, er läuft hin und her, aber durch die Glasscheibe dringen nur dumpfe Rufe. Ab und zu glaubt man einen Namen zu verstehen. Die Assistentin nickt, dann winkt sie. «Komm raus, Stefan.» Aber Stefan hört sie nicht.

Stefan, voller Name Stefan Camenzind, versucht gerade nachzustellen, was später einmal für Hunderte Menschen ein Problem sein könnte: Bürolärm. Camenzind besichtigt ein Gebäude in Zürich Oerlikon. Es könnte das neue Hauptquartier eines Kunden werden. Camenzind entwirft ein Büro für eine Beratungsfirma.

Schliesslich öffnet die Assistentin die Tür. «Stefan, ist gut.» – «Und?» – «Na ja, man hört schon etwas. Es ist nicht dicht.» Camenzind schüttelt den Kopf, «nicht gut, diese Wände müssen wir rausreissen. Schon im Raum nebenan haben wir mithören können. Zeichne das auf dem Plan ein, bitte.»

Es ist einer der kritischsten Momente in einem Büroprojekt: die Wahl des Gebäudes und damit des Standortes eines Unternehmens. Der Standort sei, sagt Camenzind, der zweitwichtigste Faktor beim guten Büro.

Dass Camenzind selber in einem Sitzungsraum rumschreit, um die Akustik zu testen, sagt viel über ihn aus. Der Mann hat keine Allüren. Dabei ist er einer der erfolgreichsten Büroarchitekten der Schweiz. Wenige Leute haben mehr über diesen Ort nachgedacht als er. Camenzinds Studio Evolution Design hat das berühmteste Büro des Landes entworfen.

2008 eröffnete der amerikanische Technologiekonzern Google in Zürich seine erste Niederlassung in der Schweiz. Ein paar Hundert Mitarbeiter bezogen das Gebäude auf dem Hürlimann-Areal. Journalisten und die Öffentlichkeit waren fasziniert und belustigt. Google verkaufte das Hürlimann-Areal als das Büro der Zukunft. Aber es sah aus wie ein Spielplatz, mit Gondeln und einem Iglu. Die verspielte Umgebung sollte die Kreativität fördern. Was vom Google-Büro bis heute am stärksten in Erinnerung bleibt: eine Rutschbahn, die über mehrere Stockwerke führt.

Camenzind erinnert sich genau an die Arbeit mit Google. Es war das erste Büroprojekt seiner Firma. «Wir wussten nichts über Büroarchitektur, aber das war gut so. Als wir mit unseren Vorschlägen kamen, sagten die Leute von Google: Das ist alles? Macht es wilder. Geht weiter. Probiert mehr aus.»

Wie also baut man ein gutes Büro? «Man hört zu. Nicht dem Middle-Management, die sind zerrissen zwischen ihrem Personal und der obersten Führungsebene. Auch nicht der Geschäftsleitung. Die sind ja kaum im Büro. Aber den Angestellten. Wenn wir fragen, sagen sie uns immer, was sie brauchen.»

Es gibt für Camenzind einen Schlüsselmoment in seiner Karriere als Büroarchitekt. «Wir Architekten lieben diese schmalen, feinen Profile bei Glaswänden. Im Google-Büro haben wir gemerkt: Die Profile sind den Programmierern völlig egal. Die sehen das gar nicht. Also haben wir das Geld dafür gespart. Sie hatten viel mehr Freude an teuren Cimbali-Kaffeemaschinen.»

Wenn Camenzind über Büros spricht, klingt er eher wie ein Ethnologe oder ein Philosoph als wie ein Architekt. Er betreibt Sozialforschung. Am Anfang seiner Projekte stehen viele Workshops.

Zuerst fragt Camenzinds Team beim Kunden in mehreren Runden alle Mitarbeiter, was sie stört am Büro, was fehlt. Vielleicht hat es zu wenig Pflanzen, vielleicht sind die Tische zu klein. Vielleicht sind aber auch die Arbeitsprozesse schlecht definiert. Es muss nicht nur um Büroeinrichtung gehen, sondern darum, was im Gebäude nicht stimmt, woran der Organismus Büro krankt.

Ein Kunde, der von Camenzind ein neues Büro entwerfen lässt, erhält ein Psychogramm seiner Firma.

In einem zweiten Schritt untersucht Camenzinds Team, wie die Angestellten tatsächlich arbeiten: Welcher Sitzungsraum wird von wie vielen Leuten gebucht? Wie viele Tische werden wie lange genutzt? Wer muss wann ungestört arbeiten können? Wer benötigt wie viel Privatsphäre, um zu telefonieren?

Das Team fragt sich bis zu den Sitzungstischchen in den Chefbüros vor, von denen die Führungsriege glaubt, sie seien absolut notwendig: Wie oft sitzt da tatsächlich jemand – oder dienen die Tischchen als Ablagefläche? «Ich mache eigentlich alles andere als Architektur», sagt Camenzind.

Er spricht das ohne zu hadern aus, eher amüsiert. Vieles am Büro amüsiert und erstaunt ihn. Etwa, dass er in Workshops immer wieder dasselbe Fazit ziehen muss: «Die Mitarbeiter sind der grösste Kostenpunkt in einem Unternehmen, aber sie erhalten gar nicht die richtigen Instrumente, um ihre Arbeit effizient zu erledigen.»

Wenn der Standort der zweitwichtigste Faktor eines Büros ist, welcher ist der wichtigste? «Selbstbestimmung.» Camenzind macht eine Pause und wiederholt: «Selbstbestimmung. Das ist das wichtigste Objekt im Büro. Wir haben das sogar in Experimenten festgestellt.»

Einmal hätten sie die Angestellten eines Kunden gefragt, was ihnen im Büro fehle. Rückzugsmöglichkeiten für konzentriertes Arbeiten, hätten sie geantwortet. «Aber wir können ja nicht für alle einen Fokusraum bauen. Wir haben dann nur zwei gebaut. Erstaunlicherweise waren alle glücklicher, weil sie selber bestimmen konnten, wann sie sich zurückziehen. Das bedeutet Selbstbestimmung!»

Für Camenzind hat die Aufgabe des modernen Büroarchitekten etwas Revolutionäres. Er sagt: «Das Büro war lange dazu da, den Menschen zu kontrollieren. Mit einer guten Büroarchitektur kann man ihn befreien.»

2. Das Monster oder wieso das Grossraumbüro bleiben wird

Wer das Büro verstehen will, muss mit ein paar Missverständnissen aufräumen. Fangen wir mit dem grössten an: dem Grossraumbüro.

Das ist ein einziger, weiter Raum mit einer Schar von Angestellten, die Tische sind gar nicht oder nur durch dünne Trenner voneinander separiert. Keine Privatsphäre, keine Ruhe, schlechte Luft, man kann sich nicht konzentrieren.

2014 schrieb die Journalistin und Verhaltenspsychologin Maria Konnikova in der Zeitschrift New Yorker einen langen Artikel über das Grossraumbüro. Sie hatte dafür die gesamte Forschungsliteratur studiert. Ihr Fazit war vernichtend: Das Grossraumbüro mache ineffizient, weniger kreativ und krank.

Das Grossraumbüro ist ein Monster, das Energie, Gesundheit und Kreativität schluckt. Und damit, das ist die Ironie, auch Geld. Kranke und phantasielose Angestellte sind kein Effizienzgewinn, sondern Kapitalverschwendung.

Eigentlich ist das allen, die mit Büros zu tun haben, bekannt. Trotzdem ist das Grossraumbüro bis heute allgegenwärtig. Wieso?

Am Rande der Stadt Zürich, leicht erhöht, mit Blick auf Shoppingcenter, Saalsporthalle, Allmend, findet sich eine Antwort. Hier hat die Credit Suisse 1979 in den ehemaligen Lehmgruben der Zürcher Ziegeleien das damals modernste Büro des Landes eröffnet: den Üetlihof. Es ist ein Grossraumbüro – das grösste der Schweiz. Jeden Tag wandert eine Kleinstadt durch seine Türen: 8500 Leute, die sich auf 16 Stockwerke verteilen.

Im Untergeschoss des Üetlihofs 1 sitzt an einem seiner letzten Tage vor der Pensionierung Hugo Lombriser, 66, ein Pionier. Drinnen ist es so grau und leer wie draussen in diesem Pandemiewinter. Lombriser irritiert die Leere nicht. Er hat schon zu viel erlebt.

Lombriser war einer der ersten Nutzer des Üetlihofs. Als er hier zu arbeiten begann, hatte er gerade eine Umschulung zum Informatiker hinter sich, dazu ein paar Monate Arbeitserfahrung in einem Büro mit Computer. Mit zwei Kollegen habe er sich den Röhrenbildschirm geteilt. Es sollten die einzigen Monate seines Lebens bleiben, die Lombriser nicht in einem Grossraumbüro verbrachte.

40 Jahre arbeitete er in einem Raum mit Dutzenden anderen. Aber er sagt: «Darüber habe ich nie nachgedacht. Es war für mich einfach immer normal.» Man habe sich manchmal um Fensterplätze gestritten. «Aber that’s it.» Anfang der 1990er Jahre hatte Lombriser eine Weile an der Wallstreet gearbeitet. «Das Büro in New York war schäbig, und es gab kein Tageslicht.» Den Üetlihof schätzt er auch deswegen bis ­heute.

Lombriser ist nicht nur ein Grossraumpionier; er hat auch miterlebt, wie die Technologie das Büro komplett verändert hat. Er erinnert sich, wie Anfang der 2000er Jahre das Internet aufkam. «Plötzlich hatten wir einen Browser. Vorher gab es zwar Computer, aber wir brauchten sie nur für interne Anwendungen. Eine Verbindung nach draussen gab es nicht. Niemand hier hatte eine Ahnung, wie das Internet funktioniert. Bis auf ein paar Freaks, die es zu Hause ausprobiert ­hatten.»

Das Management der Credit Suisse wollte diese moderne Spielerei für ihr Geschäft einsetzen. So erfanden Informatiker zum Beispiel ein System, mit dem man Aktien online handeln konnte. Lombriser sagt: «Mich erinnert die Pandemie ein bisschen an diese Zeit. Es kam jeden Tag etwas Neues, und niemand wusste, wo das hinführt.»

Er ahnte damals nicht, dass er Zeuge eines bahnbrechenden Moments war. Das Internet schuf quasi einen unendlichen Grossraum.

Irgendwann konnte Lombriser im Personalrestaurant für ein paar Hundert Franken ein Nokia Handy kaufen. Auch diese neue Technologie sollte unsere Welt fundamental verändern. Nun war das Büro plötzlich überall.

Anfang der 2000er Jahre war die Credit Suisse eine prosperierende Firma mit riesigen, aber inzwischen mehrheitlich veralteten Büroflächen. In den Üetlihof wurden immer mehr Angestellte und Computer gequetscht. Es war zu eng und die Arbeitsumgebung nicht mehr attraktiv. Der Üetlihof musste sich verändern.

Die Credit Suisse beauftragte einen Mann mit einem gesunden Selbst- und ausgeprägten Problembewusstsein, das Monster Üetlihof zu zähmen. Der Architekt Martin Kleibrink hatte sich seit den 1990er Jahren mit Bürogestaltung beschäftigt. Seine Analyse kam zu einem eindeutigen Schluss: «Der Üetlihof war bei seiner Eröffnung ein hochmodernes Büro, eine kleine Stadt, die die Leute anlockte. Irgendwann waren die Angestellten überhaupt nicht mehr zufrieden mit den Bedingungen.»

Eigentlich sehen Architekten das Grossraumbüro nicht als das grosse Übel. Sie denken beim Grossraum nicht unbedingt an die Massenverschläge der 1960er und 70er Jahre, an Trennwände oder kleine Boxen, sogenannte Cubicles, in denen Arbeiter wie Batteriehühner gehalten wurden. Sie denken an einen ganz anderen Bau.

Anfang der 1930er Jahre entwarf der amerikanische Architekt Frank Lloyd Wright in Wisconsin für den Reinigungsmittelhersteller Johnson Wax einen neuen Hauptsitz. Das Herzstück ist ein weiter, hoher Raum, dessen Decke auf weissen, schmalen Säulen zu schweben scheint. Durch die Dachfenster ergiesst sich warmes Licht auf dezente Holzmöbel, auf rote Teppiche, auf die vielen Pflanzen. Die damals visionäre Bürolandschaft gilt bis heute als Vorbild für das moderne Grossraumbüro.

Kleibrink versuchte im Üetlihof deshalb gar nicht, Einzelbüros einzubauen. Er wollte den Grossraum brechen und aufwerten. Er gruppierte Tische neu, gestaltete Kaffeebereiche und schuf Sitzungszimmer und Orte für Teambesprechungen, Rückzug und Pausen. Dann experimentierte er mit einem Raumkonzept, in dem keiner der Angestellten mehr einen festen Arbeitsplatz hatte.

Diese Veränderung musste jemand begleiten. So wurde der IT-Spezialist Hugo Lombriser zum Change Manager. Er half seinen Arbeitskollegen beim Umzug in die neuen Räume. Lombriser erinnert sich gut an die Sorgen seiner Kollegen, die plötzlich jeden Tag aufs neue einen Arbeitstisch suchen mussten. «Sie fragten: Was, wenn der Kollege zuvor seine Hände nicht gewaschen hat auf der Toilette? Wir nahmen solche Bedenken ernst und versicherten ihnen, dass wir alles oft reinigen lassen.»

Nach ein paar Wochen gewöhnten sich die Informatiker an ihre neue Umgebung, mehr noch: sie lernten sie schätzen.

Später richtete Martin Kleibrink ein ganzes Gebäude der CS nach der Idee «Smart Working» ein: den Üetlihof 2. Die frei wählbaren Arbeitsplätze und verschiedenen Zonen sollten die Mitarbeiter dazu bringen, zu überlegen, wo sie welche Arbeit erledigen. Kleibrink sagt, es sei darum gegangen, «die neue Mobilität klug zu nutzen».

Klug heisst für ein Unternehmen immer auch: es muss sich finanziell lohnen. Wie viel kostet ein Mitarbeiter im Verhältnis zu dem, was er leistet? Kleibrink las und leitete verschiedene Studien und befragte CS-Mitarbeiter. Sein Fazit: Wer sich in der Arbeitsumgebung wohl fühlt, erreicht mehr, kann den Zielen der Vorgesetzten besser gerecht werden, ist kognitiv leistungsfähiger und innovativer.

Heute weiss man ziemlich genau, was dafür entscheidend ist: nebst der von Stefan Camenzind erwähnten Selbstbestimmung sind es das Licht und die Luftqualität. Das Büro schafft die Atmosphäre einer Firma. Hier wird aus einer juristischen Person eine lebendige Organisation.

Kleibrinks Arbeit haftet etwas Verzweifeltes an. Er kämpft gegen tradierte Vorstellungen, Hierarchien und eingeübte Verhaltensmuster. Gerade in einem Konzern wie der Credit Suisse mit weltweit fast 50000 Mitarbeitern, die sich in den vergangenen Jahren durch zahlreiche Krisen und Neuerfindungsphasen gekämpft haben.

Wer heute durch den Üetlihof 1 geht, sieht in einem gewissen Sinn diese Geschichte abgebildet. Da mischen sich braune Schränke aus den 1980er Jahren mit modernen Vitra-Sofas und in die Jahre gekommenen Besprechungsnischen. Überall stehen Whiteboards zwischen den Pulten. Es ist ein Archiv der Firmengeschichte, abgebildet in Bürokonzepten.

Im neueren Gebäude, das 2012 eröffnet wurde, ist das Design einheitlicher. Es gibt Ruhezonen, Gärten, Teambereiche, Backgammon-Tische, bunte Lounges und bequeme Sessel mit Blick über die Stadt. Der Üetlihof 2 war ein Prototyp für ein Prinzip, an dem sich heute moderne Firmen orientieren: Activity-based working. Man arbeitet an jenem Ort, nach dem die Aufgabe verlangt.

Was das ganze Durcheinander eint: Sowohl der Üetlihof 1 als auch der Üetlihof 2 sind Grossraumbüros geblieben, weil sie flexibel sind und effizient. Das Monster hat überlebt. Kleibrink hat es einfach gezähmt.

3. Wieso wir das Büro nicht los werden

Grossräume können unangenehm sein, aber sie müssen es nicht, wen man sie richtig plant. Das versuchte Deloitte in einem Geschäftsviertel im Süden von Amsterdam. 2015 eröffnete die internationale Beratungsfirma hier ein Flagship-Office: The Edge. Es ist ein transparentes Gebäude, 40000 Quadratmeter gross, und gilt als «das intelligenteste Büro der Welt».

The Edge produziert seinen eigenen Strom mit eigenen Solarpaneelen an der Fassade. Die Mitarbeiter spülen die Toiletten mit Regenwasser und laden ihre Elektroautos an Steckdosen kostenlos auf.

In The Edge hat niemand einen festen Arbeitsplatz. Jeden Morgen kann jeder der 2500 Deloitte-Mitarbeiter über eine App einen neuen Platz finden und Temperatur und Licht dort so einstellen, wie es ihm gefällt.

Ein paar Jahre vor der Eröffnung von The Edge hatte Deloitte in Rotterdam ein anderes Büro bezogen. Die Deloitte-Manager waren stolz auf das Gebäude, aber etwas ärgerte sie: Die Leute interagierten nicht. Und wenn die Mitarbeiter nicht interagieren und einfach nur ihre Arbeit vor dem Bildschirm erledigen: Wieso soll man dann – im Internetzeitalter – überhaupt ein Büro unterhalten?

Ein modernes Grossraumbüro ist nicht nur ein Raum, der effizient genutzt ist und in dem sich die Leute wohl fühlen. Es hat eine entscheidende Funktion: Die Angestellten müssen sich miteinander austauschen.

Die Unternehmensberater von Deloitte waren überzeugt: Nur im Büro kann Innovation entstehen. Die Firma gab dem holländischen Architekten Ron Bakker für The Edge einen konkreten Auftrag: Baue ein Büro, in dem alle unsere talentierten Mitarbeiter, und mögen das noch so viele sein, voneinander wissen. Ein Büro, in dem sie aufeinandertreffen.

Bakker formuliert das so: «Wofür sind Arbeitsorte heute noch da? Damit die Menschen miteinander sprechen. Wir befinden uns in einem grossen Wandel. Vor 10, 15 Jahren haben sehr viele Leute immer in einen Bildschirm gestarrt. Sie haben sich im Büro ver­halten, als wären sie noch in Fabriken des 19.Jahrhunderts.»

An vielen Orten ist das noch heute so. Zur Arbeit gehen, das bedeutet für die meisten Leute: vor dem Computer sitzen. Mit jemandem diskutieren, auf der Suche nach einer freien Sofaecke durch die Gänge schlendern, um für zwei Stunden zu lesen statt sich am immergleichen Schreibtisch auf einem Bildschirm durch PDF zu kämpfen: das schätzen zwar viele, aber als Arbeit empfinden sie es nicht. Dabei sind es genau diese Dinge, die ein gutes Büro ermöglichen soll.

Bakker plante deshalb im Inneren von The Edge: nichts. Das Herzstück des Gebäudes ist ein Atrium, ein «sozialer Kondensator». Bakker sagt: «Das Atrium ist auch eine Art grosser Fernseher, in den man reinschaut und sehen kann, was auf den anderen Stockwerken passiert. Weil The Edge kein Hochhaus ist, hat man einen Überblick.» Das Atrium verbindet.

Bakker erinnert sich an einen jungen Mann, der ihm begeistert erzählt habe, dass er in The Edge manchmal neben einem Senior Partner sitze. «Er erzählte, sie würden sich immer kurz unterhalten. Das fand er grossartig.»

Das Büro überlebt, weil es den Austausch ermöglicht. Und weil ein koordinierter Zoom-Call zufällige Momente der Kreativität nicht ersetzen kann.

4. Wie die Pandemie das Büro verändert hat

In Basel, im höchsten Gebäude des Landes, befindet sich der vielleicht ungewöhnlichste Raum, den je ein Schweizer Unternehmen für seine Mitarbeiter gebaut hat: die Virtual und Digital Factory des Pharmaunternehmens Roche. Es ist eine Art Vereinslokal für den firmeneigenen E-Sports-Club. Ein Raum für jene Mitarbeiter von Roche, die gerne gamen.

Jan Leibundgut ist Leiter Real Estate Management, also Herr über die Immobilien von Roche. «Es ist so, als hätten wir der Sportgruppe eine Turnhalle gebaut», sagt er. Nur hat es statt Matten, Bällen und Barren in dieser Turnhalle ein Podcast- und Fernsehstudio, einen Bereich, um Virtual-Reality-Erlebnisse auszuprobieren, einige Rechner mit grosser Kapazität. «Wir kennen noch nicht jeden Use Case, aber wir wollen die Zukunft abbilden», sagt Leibundgut.

Dieser Raum ist nicht einfach eine Spielerei. Er ist Ausdruck einer tiefgreifenden Veränderung.

Die Virtual und Digital Factory ist Teil von Roche-Turm 2, einem von zwei Neubauten, die der Pharmakonzern in den vergangenen Jahren in Basel in die Höhe gezogen hat. An zentraler Lage sollen möglichst viele Mitarbeiter zusammenkommen. Auch die Roche-Geschäftsleitung glaubt an den Wert des Büros als Ideengenerator.

Turm 1 wurde 2015 bezogen. Das Gebäude erinnert an das klassische Büro: kühles Material, viel Metall, viel Weiss, viele Tische, Einzelbüros für Vorgesetzte. Im Sommer 2022 werden Mitarbeiter in Turm 2 einziehen, der anders aussehen wird als ursprünglich geplant. Die Pandemie hat das Turmprojekt zu Basel auf den Kopf gestellt.

Nicht nur bei Roche haben die vergangenen Monate den Mythos gekillt, dass die Mitarbeiter ohne Kontrolle im Homeoffice weniger arbeiten. Tatsächlich sind viele Mitarbeiter im Homeoffice sogar produktiver. Das zeigen neue Studien, etwa vom Beratungsunternehmen Deloitte.

Angestellte hatten immer auf mehr Zeit im Home­office gedrängt. Nun hatten sie ihren Chefs bewiesen, dass man ihnen zu Hause vertrauen konnte. Wieso also sollte man sie nun wieder in eine starre Anwesenheitspflicht zwängen?

Die Pandemie zwingt Roche zu einem Schritt, den das Unternehmen ohnehin hätte machen müssen. Denn Roche verwandelt sich wie viele Traditionsunternehmen, die einst vor allem Dinge produziert haben, in eine Organisation, deren Hauptprodukt Ideen sind. Zwar lebt das Unternehmen schon lange von Ideen, aber sie werden heute anders erzeugt. Auch Roche muss eine digitale Denkfabrik werden.

Damit tritt einer der weltgrössten Pharmakonzerne in den Konkurrenzkampf um Mitarbeiter mit anderen Firmen, die von Ideen leben. Mitarbeiter, die es schon lange gewohnt sind, dass es bei Arbeit nicht um Präsenz, sondern um Ergebnisse geht.

Den Mitarbeiter, von dem alle Unternehmen träumen, gewinnt man nur für sich, wenn man Flexibilität bietet: Homeoffice – aber auch ein tolles Büro. Und ein Arbeitsmodell, bei dem man beides kombinieren kann, zwei Tage zu Hause, drei Tage im Büro. In der Sprache der Bürogurus heisst das hybrides Arbeiten.

Jan Leibundgut, der Herr über Immobilien von Roche, klingt eher wie der Hotelier einer Wellnessoase, wenn er durch Turm 2 führt. Die Mitarbeiter nennt er «Kunden». Und er spricht davon, dass hier alle Leute «maximal zufrieden und positiv» sein sollen. Um dieses Ziel zu erreichen, hat Roche ein Geschoss eingerichtet, das ausschliesslich dem «Wellbeing und Recharge» gewidmet ist. Ein Bedürfnis, das die Angestellten in Umfragen geäussert hätten und das stark zugenommen habe. Bald können sie im Büro Yoga machen, meditieren, schlafen.

Auf anderen Stockwerken sieht es aus wie in «Schöner Wohnen»: Geschmackvolle Teppiche, edle Sofas, Beistelltische. Nachdem die Wohnung in der Pandemie zum Büro geworden ist, wird nun das Büro zur Wohnung. Auch in Turm 2 hat keiner der 3500 Angestellten einen festen Arbeitsplatz. Man arbeitet im Sessel, im Fokusraum oder in der Küche.

Dass Roche nun so reagiert, liegt vielleicht auch am Firmengedächtnis. In einem Nebengebäude von Turm 1 sitzt der Historiker Alexander Bieri, eine Art lebende Bibliothek für Bürogeschichte. Bieri hat ein Einzelbüro «wie bei «Mad Men», total Kult».

Bieri kennt das erste Büro von Roche und das neuste und überhaupt alle wichtigen Daten und Ideen der Architekturgeschichte. Er hat Bücher, Broschüren und Pläne in seinem Schrank. Zum Beispiel vom ersten Grossraumbüro 1978. Aber für Bieri sind diese Konzepte nur Fassade, hinter der sich grössere Ideen verbergen.

Bieri erzählt, wie Roche 1971 die englische Arbeitszeit einführte, nach dem Vorbild der Briten, die schon lange am Arbeitsplatz ein Sandwich assen. Weil die Mitarbeiter nur noch eine kurze Mittagspause hatten, lohnte es sich nicht mehr, dafür nach Hause zu gehen.

Roche eröffnete ein Betriebsrestaurant, in dem die Angestellten nicht nur gut verpflegt wurden, sondern auch ihren kulinarischen Horizont erweitern sollten. Es gab Hummer für 2 Franken 50 oder Spaghetti vongole. «Viele Leute haben im Personalrestaurant zum ersten Mal Vitello tonnato oder Paella gegessen, also Sachen aus fremden Kulturen», sagt Bieri. Man habe den Speiseplan bewusst erweitert: «Weg von Schnitzel und Pommes frites. So sollten auch aus Handwerkern Kosmopoliten werden.»

Mitarbeiter von Roche konnten schon damals im und um das Büro Kunst bestaunen, in der firmeneigenen Schwimmhalle baden oder sich einer Sportgruppe anschliessen. All die Angebote – und eine Prämie – sollten die Identifikation mit der Firma erhöhen.

Wer einmal bei Roche gelandet war, blieb sein Leben lang. Das war die Idee. Heute kann sich auch der Pharmakonzern seiner Mitarbeiter nie sicher sein.

5. Aus der Wohnung ins Büro: Wie man neu zusammenfindet

Wenn jetzt alle frei wählen können, wann sie wo wie oft und wie lange arbeiten – herrscht dann nicht einfach Anarchie?

In Birsfelden, in der Agglomeration von Basel, gibt es eine Firma, die die Pandemie genutzt hat, um genau für diese Frage eine Antwort zu finden. Vitra ist einer der grössten und erfolgreichsten Büromöbelhersteller Europas, seit den 1970er Jahren beschäftigt sich das Familienunternehmen mit dem Büro. Seine Stühle, Sofas und Regale stehen in den Räumen jeder Firma, die etwas auf sich hält.

Und die Möbel finden sich auch in vielen Wohnungen. Vitra hat immer schon beides gemacht: aus der Wohnung ein Büro und aus dem Büro eine Wohnung. Der Homeoffice-Boom ist für die Firma eine Chance. CEO Nora Fehlbaum hat Vitra während der Pandemie in ein Forschungslabor verwandelt, in dem sich Designer, Architekten und andere Kreative mit dem neuen Zeitalter der Arbeit befassen.

Fehlbaum empfängt im Club Office, einem Büro, das sie während der Pandemie entwickelt und geschickt vermarktet hat. Es ist nicht riesig, 300 Quadratmeter, und gehört zur Innovationsabteilung. Hier finden sich eine Bar, eine Kolbenkaffeemaschine, Lounges, Projekträume. Für Fehlbaum ist es auch ein Beispiel, wie sich ohne riesigen Aufwand in einer Firma viel verändern lässt. Inspirieren liess sich die Vitra-Chefin von Vereinslokalen, in denen Mitglieder viel Zeit verbringen und viel Energie in ihre Tätigkeit stecken. «Als Unternehmerin wünsche ich mir, dass Mitarbeiter zusammenkommen, weil sie für die Sache brennen.»

Aber wie funktioniert das, nach Monaten des Home­office? «Mit klaren und verbindlichen Regeln», sagt Fehlbaum. Es sei keine gute Idee, die Entscheidung, ob und wie man ins Büro zurückkehre, den Teamleitern zu überlassen. Oft würden dann einfach die eigenen Vorlieben durchgesetzt, obwohl das weder für einzelne Mitarbeiter noch für das Unternehmen der richtige Weg sei.

Am 1.September des vergangenen Jahres holte Fehlbaum alle ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vorläufig ins Büro zurück. Aber bevor sie wieder an ihren Arbeitsplatz kamen, konnten sie sich in einem Gespräch mit dem Chef und einer Person der Personalabteilung einem Arbeitstypen zuordnen: dem Resident, dem Enthusiast, dem Citizen oder dem Nomad. Einwohner sind immer vor Ort, Enthusiasten oft, Bürger gelegentlich und Nomaden kaum. «Nur wenn wir voneinander wissen, was die anderen machen, bleiben wir in Kontakt.» Das neue freie Büro ist keine antiautoritäre Steinerschule.

In den eigenen Büros testen die Mitarbeiter von Vitra die neuen Produkte. Worin unterscheidet sich ein Büromöbel von einem Wohnmöbel? «Es muss robuster sein, ergonomischer und auch formaler als zu Hause.» Fehlbaum sitzt auf einer eierschalefarbenen Couch, Modell Softwork. Der Clou: Es ist zwar bequem, aber nicht allzu weich und ein bisschen höher als ein normales Sofa. «Zieht jemand einen Stuhl heran, sind alle auf Augenhöhe, diese kleinen Zeichen zählen im Büro.»

Klare Regeln und ein paar Zentimeter bei der Sofahöhe – wer das banal findet, hat etwas noch nicht verstanden: Das neue Büro ist nicht einfach ein Spielplatz für tollwütige Architekten und Designer. Es ist der Ort, wo Konzepte wie Freiheit und Selbstbestimmung neu verhandelt werden. Das Ergebnis werden wir auch ausserhalb des Büros zu spüren kriegen.
6. Kann das Büro das Leben sein? Zu Besuch bei Google

An der Zürcher Europaallee hat Google mittlerweile sechs Gebäude bezogen. Hier, gleich beim Hauptbahnhof, befindet sich eigentlich ein Google-Campus, durch ein paar Geschäfte in den Erdgeschossen getarnt. Vor 16 Jahren nahmen zwei Mitarbeiter des Unternehmens ihre Arbeit in Zürich auf, heute sind fast 5000 Googler über die ganze Stadt verteilt. Sie nennen sich Zoogler.

Google ist das Ende dieser Reise, weil mit Google alles angefangen hat. Die Technologiekonzerne in den USA haben als erste begriffen, dass sie andere Büros bauen mussten. Solche, die Nerds anzogen, also Büros, die sich nicht wie Büros anfühlten. Google war immer schon ein «Home away from home»-Office.

Der Architekt Stefan Camenzind erinnert sich, was ihm die Leute von Google 2008 beim Bau des ­ersten grossen Standorts auf dem Hürlimann-Areal gesagt hatten: Sie suchten nicht das Büro von 2008, sondern jenes, das in zehn Jahren das richtige sein würde. Was sucht Google heute?

Lucas Stolwijk hat noch nie eine Zeile Code geschrieben, aber sein Job ist einer der wichtigsten im Google-Universum. Er ist der Leiter Operations von Google Zürich und damit Herr über Hauswarte, Gärtner, Fitnesscoaches, Restaurantpersonal und Haustechniker. Mehrere Hundert Leute sind bei ­Google Zürich nur mit den Büros beschäftigt. Ein grosses KMU.

Stolwijk ist seit 2008 bei Google und hat den Bau aller Büros in Zürich begleitet. Stolz zeigt er sein jüngstes Projekt: ein Doppelhochhaus in der Europaallee.

Eigentlich sieht das neueste Google-Büro im Vergleich zum Hürlimann-Areal unspektakulär aus. Aber Stolwijk sagt: «Wir sind als Unternehmen erwachsener geworden. Das Hürlimann-Areal war vielleicht unsere Teenie-Phase. Jetzt sind wir reifer.

Stolwjik erzählt auch, es sei noch immer vieles wie früher. Er zeigt auf einen Billardtisch: «Anders als andere Firmen müssen wir so was nicht rechtfertigen. Es wird genutzt. Also ist es gut für die Mitarbeitenden.» Stolwijks Team beschäftigt sich permanent mit der Frage, was gut sei für die Leute. Für ihn ist das der Kern des Google-Büros: «Wir bauen es für unsere Mitarbeitenden. Wir befragen sie die ganze Zeit. Sie sind unsere Benchmark. Clean-Desk-Policy oder Smart Workplaces als Trend – das ist nicht zentral für uns. Empirie first.»

In der Europaallee betreibt Google zwei Fitnesscenter einschliesslich Personaltrainer. Dieser hat ein eigenes Büro mit Ausblick auf die Allee. Es gibt Massageräume, wo Googler sich zu einem vergünstigten Tarif massieren lassen können. Schlafräume. Einen Elternraum mit Spielzeug und Milchpumpe. Neun Restaurants, in denen Googler theoretisch Frühstück, Mittag- und Abendessen zu sich nehmen, wobei man, sagt Stolwijk, das natürlich «im Sinne eines ausgewogenen Arbeitsalltages» nicht will. «Das wäre ungesund.»

Google hat mit seinen Produkten die Grundlage für das Ende des Büros geschaffen. Weil der Techkonzern aber immer wusste, dass es ohne Büro keine Ideen gibt, tat er alles, um seine Leute ins Büro zu locken. Google macht die Googler bürosüchtig.

Stolwijk geht das zu weit. Er lacht trocken. «Das wäre nicht gut.» Aber dann erzählt er auch, wie während der Pandemie in den Küchen der Google-Restaurants Kochkurse aufgezeichnet wurden für die Goo­gler im Homeoffice. Dass die Fitnesstrainer Workouts gestreamt hätten. Für die Google-Mitarbeiter muss die Zeit im Homeoffice ein schlechteres Leben bedeutet haben als die Zeit im Büro mit der dort vorhandenen Rundumversorgung.

Was Stolwijk und seine Kollegen nun umtreibt, ist die Frage: Wie lassen sich Homeoffice und Büro so kombinieren, dass die Stärke des Büros als Innovationsmotor erhalten bleibt?

Google baut dafür Sitzungszimmer um. 360-Grad-Bildschirme, Kameras und so weiter – es soll möglich werden, dass ein Mitarbeiter eine Sitzung früher verlässt, weil er auf den Zug muss, aber per Video im Raum verbleibt, als wäre er physisch anwesend. Oder sogenannte Workpods. Eine Art flexible Arbeitsräume, die ein Team für eine bestimmte Zeit buchen kann: In Kalifornien arbeitet man dann als Team vielleicht für zwei Wochen in einem «Outdoor Team Pod», einer Art Hightech-Jurte.

Google verspricht seinen Mitarbeitern maximale Freiheit. Aber gleichzeitig macht die Firma ihr Büro so attraktiv, dass diese Mitarbeiter sich trotzdem immer wieder dafür entscheiden. Google sieht das als Utopie.
Eine Warnung

Dieser Text ist eine Voraussage, aber er ist auch eine Warnung.

Zuerst die gute Nachricht: Die Macht im Büro hat sich verschoben. Von den Arbeitgebern zu den Arbeitnehmern. Das ist nicht nur die Folge der Pandemie, dahinter stecken grundlegende Veränderungen: Produkte werden irgendwann ausschliesslich von Maschinen produziert, die Angestellten erschaffen Ideen. So werden sie freier und mächtiger. Immer mehr Unternehmen werden um die guten Mitarbeiter kämpfen.

Die Büros werden deshalb heller, gemütlicher, wohnlicher. Das neue Büro, es wird so schön sein wie unser Zuhause. Und auch unser Büro zu Hause wird künftig noch besser eingerichtet sein. Das gilt überhaupt für unser neues Leben, in dem wir leicht zwischen Arbeit und Freizeit hin und her wechseln können. Egal, wo wir gerade sind.

Die schlechte Nachricht: Dieses neue Büro, so schön und flexibel es sein mag, birgt eine Gefahr. Wenn es so aussieht wie das Zuhause und das Zuhause wie das Büro, werden wir uns irgendwann fragen, wo wir uns gerade befinden: bei der Arbeit oder in der Freizeit?

Natürlich, die neue Arbeit ist angenehmer als das, was man früher in Schreibsälen leisten musste. Es ist eine angenehm fordernde und auch spielerische Tätigkeit, schliesslich soll man kreativ sein. Im neuen Büro steht nicht zufällig ein Billardtisch.

Aber wenn man überall und jederzeit arbeiten kann, dann wird Arbeit zur ständigen Verführung.

[ Dieser Artikel stammt aus dem NZZ-Folio zum Thema «Die Macht des Büros» (erschienen am 3. Januar 2022). ]

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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