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«So fing ich an, von Pattern, von Mustern zu träumen»
Neue Zürcher Zeitung

Christopher Alexander war ein Vordenker der Digitalisierung. Es lohnt sich, seine Überlegungen erneut zu betrachten. Gedanken zum Tod des Design- und Systemtheoretikers, der eigentlich erst Architekt werden wollte.

23. März 2022 - Georg Vrachliotis
«Es tut mir schrecklich leid, aber die einzige Möglichkeit, wie ich dieses Projekt durchführen kann, wäre, die Leute selbst planen zu lassen», schrieb der junge Alexander Ende der 1950er Jahre in einem Brief an die Regierung des indischen Bundesstaates Gujarat. Diese war zuvor mit einem Planungs- und Bauauftrag für ein ganzes Dorf an Alexander herangetreten. Es versprach, ein Projekt von beträchtlichem Volumen zu werden.

Darüber, dass er letzten Endes einen solchen für jeden praktizierenden Architekten scheinbar lukrativen Auftrag ablehnte, mag man sich heute zunächst wundern. Bekanntermassen verläuft zwischen Gestaltungswillen und Opportunismus in der Architektur eine feine Grenze. Doch Alexander hielt aus der eigenen Unzufriedenheit heraus an der Ausarbeitung partizipatorischer Planungsmodelle fest und stellte seine theoretischen Überlegungen in diesem Fall über die Lorbeeren der Baupraxis.

Laien planen lassen

Erfolglos hatte er zuvor in dem indischen Dorf versucht, das idealistische Vorhaben, nicht den Architekten, sondern die Menschen vor Ort entwerfen zu lassen, mit der Anfertigung von leicht lesbaren Entwurfsdiagrammen einzulösen. «Es war einfach so, dass ich immer wieder über das Problem nachdachte. So fing ich an, von Pattern, von Mustern zu träumen, denn Muster sind als Instrument expliziter und einfacher zu handhaben.»

Jeder sollte also auf diese Weise die gebaute Umwelt besser verstehen, erfahren und eben auch gestalten können. Wenn man so will, ging es Alexander um das Ermöglichen von Handlungen: von der «anthropologischen Quelle zum physischen Objekt, zur gebauten Form, zum städtischen Quartier».

Dahinter steht die Vorstellung kultureller Archetypen, die als anthropologische Konstanten zur Grundlage von immer neuen Entwurfsregeln werden können. Von dieser gewissermassen strukturalistischen Grundhaltung und der persönlichen Überzeugung geleitet, verstehen zu wollen, wie «Form aus den Bedürfnissen der Gesellschaft entsteht», begann Alexander, die Wechselwirkung und Kultur und Natur aus der Sicht generativer Systeme zu erforschen, als bauender Architekt und Theoretiker.

Eine Schweizer Erklärung

Diese Idee der Muster ist nicht einfach zu verstehen. In «Design ist unsichtbar», dessen Titel eine interessante Ableitung von Marshall McLuhans «Environments are invisible» darstellt, liefert kein Geringerer als der Schweizer Stadtökonom und -planer Lucius Burckhardt die wahrscheinlich anschaulichste Beschreibung der Musteridee: «Man kann die Welt als eine Welt von Gegenständen auffassen und sie einteilen in – zum Beispiel Häuser, Strassen, Verkehrsampeln, Kioske usw. Diese Einteilung hat Konsequenzen; sie führt eben zu der Auffassung von Design, welche ein bestimmtes Gerät oder Objekt abgrenzt. Wir können uns die Welt aber auch anders einteilen, und wenn ich die ‹Pattern Language› recht verstanden habe, so hat das Christopher Alexander dort versucht.»

Dass sich Alexander ausgerechnet mit der Frage nach der individuellen Handlungsmacht des Einzelnen beschäftigt, mag auch mit den frühen eigenen Exilerfahrungen im nationalsozialistischen Deutschland zusammenhängen. 1936 in Wien als Kind jüdisch-katholischer Eltern geboren, musste die Familie schon bald nach England fliehen, wo er Architektur und Mathematik an der Cambridge University studierte und damit das theoretische Fundament für seine spätere Position als Architekt legte. 1958 zog er an die Ostküste der USA, schrieb in Harvard eine Doktorarbeit, die unter dem Titel «Notes on the Synthesis of Form» bekannt werden sollte, und nahm schliesslich 1963 eine Professur in Berkeley an, wo er für vier Jahrzehnte wirkte.

Inmitten der offenen und intellektuellen Debattenkultur von Berkeley gründete Alexander 1967 auch das Center für Environmental Structure, einen der ersten Think-Tanks für Architektur und Umweltforschung. Hier entstand nicht nur sein 1977 veröffentlichter Bestseller «Eine Mustersprache». Das Zentrum lieferte gewissermassen auch eine institutionelle Blaupause für unsere heutigen Vorstellungen interdisziplinärer Forschung zwischen Architektur, Ökologie und digitaler Kultur.

Es scheint, als würden wir in der Architektur in den letzten zehn Jahren wieder ein Comeback der Entwurfsmuster feiern, wenn auch unter veränderten technologischen Bedingungen. Es sieht jedenfalls so aus, als würde in der digitalen Architekturproduktion die von Alexander noch in Handarbeit sorgfältig herausgearbeitete Sprache der Strukturen und Muster inzwischen gesprochen, wenngleich auch ihr Klangbild noch ein eher technisches und ihre Rhetorik damit noch überwiegend die des Machbaren ist.

«I am trying to make a building which is like a smile on a person’s face», erklärte Alexander einmal etwas kryptisch sein übergeordnetes Ziel und bediente sich einer schon beinahe transzendenten Metapher, um zu verdeutlichen, wie sehr es ihm um das Sichtbarmachen einer verborgenen metaphysischen Ordnung in den Dingen geht. Es wäre deshalb an der Zeit, zu zeigen, so liesse sich an dieser Stelle weiterdenken, wie man nun das humane und soziale Moment aus Alexanders so verheissungsvoller Welt der Muster für die Architektur in Zeiten von künstlicher Intelligenz und Big Data wiederbeleben und weiterhin kritisch aufrechterhalten könnte.

Am 17. März ist Christopher Alexander in Binsted, einer kleinen Gemeinde in der englischen Ortschaft Hampshire, gestorben.

[ Georg Vrachliotis ist Professor für Architekturtheorie und digitale Kultur an der TU Delft, Niederlande. ]

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