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In der Scheune liegt die Kraft
Der Standard

Das Deutsche Architekturmuseum zeigt die beste Architektur auf dem Land, mit viel Lob für Österreich. Hierzulande wird inzwischen intensiver über den ländlichen Raum geforscht.

2. April 2022 - Maik Novotny
Das Ländliche ist in Deutschland ein seltsames Phantom. Es geistert durch die Berliner-Hipster-ziehen-nach-Brandenburg-Romane wie jenen von Juli Zeh, wo es schon aus Gründen der Erzähldramaturgie gerne als größtmöglicher Gegensatz zum Städtischen ausgemalt wird, als etwas, das man betrachtet wie ein faszinierendes, aber fremdartiges Insekt. Die reden komisch, fahren Traktor und haben zweifelhafte politische Ansichten! Auch in der ruralen Realität ist von Romantik wenig übrig zwischen niedersächsischem Schweinemast-Gulag und Allgäuer Milchwirtschaftsindustrie. Das Handwerkliche wurde, anders als in der Schweiz oder Österreich, mit deutscher Gründlichkeit wegindustrialisiert.

Doch das ändert sich, denn das Land ist nach gut 20 Jahren Abfeiern des Urbanen wieder in den Mittelpunkt der Öffentlichkeit zurückgependelt. Höchste Zeit, denn immerhin rund 47 Millionen Deutsche leben nicht in Städten, sondern hier. Schön hier ist der Titel der soeben eröffneten Ausstellung des Deutschen Architekturmuseums (DAM), die sich voll und ganz dem Ländlichen widmet. Schön ist es in der Tat am Ausstellungsort, einer 125 Jahre alten Scheune im Freilichtmuseum Hessenpark, der sowohl thematisch passt als auch als Ausweichquartier für das zurzeit renovierte DAM-Haupthaus in Frankfurt dient.

Das Schöne im Ländlichen ist heute nicht mehr nur in Freilichtmuseen zu finden. Es wurde wachgeküsst. Die Auswahl der insgesamt 70 gezeigten Bauten hat ganz klar einen architektonischen Schwerpunkt, es ist eine durchweg schön anzusehende Parade vorbildhafter Einzelbauten. Vorgestellt werden sie aus der Sicht ihrer Architekten und Bauherren, das heißt: von Bürgermeistern, Winzern oder der Leiterin eines Kindergartens. Denn auf dem Land, das zeigen auch die Erfahrungen in Österreich mit dem LandLuft-Baukulturgemeindepreis, könnten engagierte Einzelpersonen und Gruppen einen großen Unterschied machen.

Gestärkte Ortskerne

Die geografische Bandbreite mag dabei etwas gießkannenhaft erratisch wirken, sie reicht von der Bretagne über Lothringen bis nach Dänemark und Norwegen und damit weit über den deutschen Sprachraum hinaus. Aber: „Es war uns wichtig, die enorme Vielfalt darzustellen; der Schwerpunkt Europa ergab sich aus dem Wunsch, in Deutschland von diesen Projekten lernen zu können“, erklärt Kuratorin Annette Becker.

Enger gefasst sind die vier Schwerpunktregionen, die mit Initiativen über das Einzelobjekt hinaus als Vorbilder dienen: Thüringen und der Schwarzwald in Deutschland, Valendas in der Schweiz und Krumbach im Bregenzerwald. Im Südwesten wurde 2020 die Initiative „Bauwerk Schwarzwald“ gegründet, das als „Kompetenzzentrum für Schwarzwälder Architektur, Handwerk und Design“ als Wissensvermittler und Vernetzer fungiert. In Thüringen, wo sich die Internationale Bauausstellung speziell dem Thema Stadt/Land widmet, siedelten sich die Architekten Studio Gründer Kirfel in einem Schloss an, das als Basis für die Arbeit an der regionalen Baukultur dient.

Es überrascht wenig, dass die Stärkung der Ortskerne als Gegenmodell zum neuen Einfamilienhausgebiet zwischen Kreisverkehr und Waldrand ein Leitmotiv der Ausstellung ist. Einerseits durch öffentliche Bauten wie Gemeindezentren, Kitas und Kulturzentren, andererseits durch feinfühlige Um- und Zubauten: der Kindergarten Unterach am Attersee von Hohengasser Wirnsberger, ein restauriertes Bruchsteinhaus im Westerwald von Heltwerk Architekten oder die Umgestaltung des Dorfkerns im schweizerischen Cressier von LVPH Architectes und viele mehr.

„Es ist wichtig, vom Neubau zum Umbau zu kommen,“ sagt Annette Becker. „Der Bestand an Gebäuden bietet so viele Möglichkeiten. Das ist nicht nur ökologisch sinnvoll, sondern auch sozial, wenn Sie an die Hofreiten denken, die eine neue Heimat für unterschiedlichste Familienkonstellationen bieten können.“ Für Interessenten, die den Weg in die hessische Provinz nicht wagen, wird die Ausstellung mit einem umfassenden Begleitprogramm ergänzt, darunter Online-Weiterbildungsseminare und Symposien, und danach auf Wanderschaft gehen, sechs Gemeinden haben sich bisher dafür gemeldet.

Die Architektur ist länderunabhängig von hoher Qualität, und doch fällt auf, wie oft von neuen deutschen Regionalinitiativen der alpine Raum fast ehrfürchtig als Vorbild gelobt wird. Besonders Vorarlberg und der Bregenzerwald sind zu einer Art Austro-Exportschlager geworden, der von Delegationen aus nördlichen Gebieten besucht wird.

Voneinander lernen

Das bestätigt auch der Architekt Roland Gruber, der mit seinem Büro Nonconform Ideenwerkstätten in Gemeinden beider Länder konzipiert und auch an der DAM-Ausstellung beteiligt ist. Was den ländlichen Raum angeht, können und sollen beide voneinander lernen: „Ich würde gerne die Lockerheit, mit der wir in Österreich schöne Gebäude errichten, nach Deutschland exportieren und die strengen Regelungen, wo überhaupt gebaut werden darf, von Deutschland nach Österreich. Denn die Zersiedelung können wir uns nicht mehr leisten.“ Bayern, wo auf Landesebene entschieden wird, wo gebaut werden darf, sei hier ein Vorbild.

Aber auch Österreich ruht sich nicht auf seinen ländlichen Lorbeeren aus. An der TU Wien wurde im April 2021 das Center für den Ländlichen Raum eingerichtet. „Es gibt sehr viel Wissen, aber bislang keine Stelle, die es gebündelt hat“, erklärt Isabel Stumfol, die das Center koordiniert. Geforscht wird beispielsweise zum Thema Einfamilienhaus, ansonsten ein Tabu an Architekturhochschulen. „Einfamilienhäuser sind ein Problem, aber es ist keine Lösung, mit dem Finger auf Bauherren zu zeigen, es gibt hier kein einfaches Schwarz und Weiß.“

Außerdem: eine Summerschool und ein Handbuch zum Leerstandsmanagement und die „Landuni“ Drosendorf, die diese Woche ihr erstes Semester startete. „Ich glaube, dass die Antworten für viele Zukunftsfragen im ländlichen Raum liegen, das geht aber nur interdisziplinär“, sagt Stumfol. „Das Bild des ländlichen Raums schwankt zwischen Schwarzmalerei und Romantisierung, aber beides stimmt nicht mit der Realität überein.“ Zeit für einen Reality-Check zwischen Acker und Scheune.

Schön hier. Architektur auf dem Land.

[ Deutsches Architekturmuseum (DAM) in Kooperation mit dem Freilichtmuseum Hessenpark bis 27. November 2022 ]

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