Artikel
Edles Entree
Studierendenwohnheim »Studico« in Darmstadt
Durch Umnutzung und Aufstockung ließ sich in einem ehemaligen Verwaltungsgebäude aus den 50er Jahren innerstädtischer Wohnraum für Studierende schaffen. Als attraktive Raumkante setzt das reanimierte Haus nun den Maßstab für die weitere Entwicklung des Quartiers – nicht nur gestalterisch, sondern auch als Baustein der nachhaltigen Sanierung und Belebung des gesamten Stadtteils
11. Juli 2022 - Achim Geissinger
Darmstadt hat es im Krieg schlimm erwischt. So blieb z. B. von der westlichen Stadterweiterung aus nachnapoleonischer Zeit und dem Klassizismus des Weinbrenner-Schülers Georg Moller kaum mehr als das Straßenraster übrig. An der Stelle gepflegter Quartiere für die führende Gesellschaft der großherzoglichen Residenz stehen heute zügig hochgezogene Geschäfts- und Verwaltungsbauten, zumeist mit wenig Hang zur stadtbildenden Gestalt. Vom Hauptbahnhof in Richtung Zentrum spazierend lässt sich etwa am stark begrünten Steubenplatz wahrnehmen, wie eine städtebaulich weitgehend formlose Gewerbeansiedlung zur kompakten Blockstruktur der Mollerstadt und somit dem Beginn der eigentlichen Innenstadt wechselt. Belebter oder urbaner wird es dadurch aber nicht; der Charakter der Häuser reicht von abweisend bis verkommen, spärliches Gewerbe krallt sich an die letzten Groschen der Kundschaft, die eine Frisur, etwas Shisha-Dampf oder eine Waffe braucht.
Die Verwaltung verschließt davor keineswegs die Augen, sondern geht diesen Bereich schon seit einiger Zeit im Rahmen der Städtebauförderung als urbane Sanierungsmaßnahme an, auch energetisch. Als eine Art Glücksfall darf man es ansehen, dass die Unternehmensgruppe Krieger + Schramm in den Besitz eines prominent platzierten Verwaltungsgebäudes am Steubenplatz kam: Der aus einem Bauunternehmen hervorgegangene, inzwischen auf Wohnungsbau spezialisierte Investor wog zusammen mit dem Architekturbüro planquadrat die Optionen Neubau und Sanierung ergebnisoffen gegeneinander ab. Studentisches Wohnen stand als Nutzung mehr oder minder schon fest. Die wegen Ensembleschutz baurechtlich stark begrenzten Ausdehnungsmöglichkeiten sprachen für den Erhalt, aber auch die geeignete innere Struktur des Bestands und die Chance, so manche aktuelle Norm zu umgehen, z. B. in Bezug auf fragwürdige Stellplatzvorgaben. Dazu trat der erklärte Wille zur Nachhaltigkeit und somit zur Nutzung der bereits im Gebäude steckenden grauen Energie.
Norm versus Leichtigkeit
Ganz widerstandslos ließ sich der über die Jahre immer wieder überformte Bürozellenstapel aber nicht adaptieren. Sein Raster passte letztlich nicht exakt zu dem leicht vermarktbaren Wohnraumkonzept der Einzelapartments, die sich zwar an einem gemeinsamen Flur nebeneinander aufreihen, aber mit jeweils eigenem Bad und Kochnische autark sind. Die leichten Trennwände fielen, genauso große Teile der monoton durchfensterten Fassaden – die Bereiche um die stark vergrößerten Fenster wurden mit Hochlochziegeln neu aufgemauert, mit Stahlbeton verstärkt und die gesamten Wandflächen mit einem WDVS versehen.
Zum verkehrsbelasteten Platz hin erlaubten sich die Architekten nur wenig Plastizität, indem sie in einigen der bodentiefen Fensteröffnungen jeweils eine leicht auskragende Stahlkonstruktion einfügten, die aus den französischen Balkonen immerhin kleine Austritte macht. Diese betonen die Mitte der Gebäudeansicht und sind explizit so ausgestaltet, dass sie subtil das Bild beleben, dabei aber aus keiner Perspektive, v. a. nicht vom Gehweg aus, aufdringlich wirken oder dem Charakter der umliegenden Häuser entgegenstehen. Der private Innenhof hingegen erlaubte das Aufstellen luftiger Balkone als Stahlkonstruktionen, die genügend Tiefe für Bistro-Möblierung oder Liegestuhl bieten.
Weichen musste zum allgemeinen Bedauern auch die originale Haupttreppe in all ihrer Leichtigkeit mit bezaubernd feinem Geländer samt der zugehörigen Pfosten-Riegel-Fassade. 50er-Jahre-Eleganz und heutige Sicherheitsnormen vertragen sich einfach nicht. Den vormals frei stehenden Rundstützen kann man, wenn man es weiß, in einem halbrunden Mauerabschluss noch nachspüren. Immerhin drückte die örtliche Brandaufsicht angesichts ein paar fehlender Zentimeter bei der Flurbreite die Augen zu, denn mit zwei abgeschlossenen Treppenhäusern und nicht allzu langen Fluren sind ausreichende Fluchtmöglichkeiten vorhanden. Der neu hinzugekommene Aufzug erleichtert nicht nur den Zugang vom Hof aus zu den acht als barrierefrei ausgewiesenen Wohneinheiten im Hochparterre, sondern steigert auch den Komfort für alle übrigen Apartments bis hinauf ins neue DG. Das angedeutete Walmdach knüpft gestalterisch an das Gesamtbild der Nachbarbauten an und bietet ganz oben Fläche für extensive Begrünung.
Nachhaltig auf vielen Ebenen
Der Hof wurde nach Abbruch einer Garage entsiegelt und so weit wie möglich biodivers begrünt. Ganz autofrei ist er jedoch nicht geworden; man handelte mit der Stadt aber aus, die drei geforderten Stellplätze einem Car-Sharing-Anbieter zur Verfügung zu stellen. Die Kellerräume bieten reichlich Platz für Fahrräder samt E-Bike-Ladestationen, dazu Waschküche und Technik für die Pellet-Heizung und die Lüftungsanlage mit Wärmerückgewinnung, die jede der 92 Wohneinheiten bedient. Für die hochwertige Ausstattung der voll‧möblierten Apartments, deren Größe zwischen 18 und 55 m² variiert, wurden schadstoffgeprüfte, vom Sentinel Haus Institut freigegebene Oberflächenmaterialien verwendet. Am Haupteingang prangt nun auch eine Plakette, mit der die Stadt das Begrünungs- und Energiekonzept würdigt.
Befand sich genau dieser Eingang bislang am Steubenplatz, so hat man ihn nun um die Ecke zur schmalen Bleichstraße verlegt, um die Loge der Heimleitung, die Briefkästen und den (bislang pandemiehalber noch arg verwaisten) Gemeinschaftsraum sinnvollerweise nahe beieinander haben zu können. Überdies bietet sich dort aber auch Potenzial für eine Art Schokoladenseite. Alle Häuser an der Nordseite des Straßenzugs sind als Kolonnade ausgebildet, die als ein Teil der städtebaulichen Gesamtanlage unter Denkmalschutz steht. Mit der Aufwertung des Eckgebäudes als Auftakt zu dieser – leider sehr verschmuddelten – Straße, die in der Verlängerung schnurstracks zum Landesmuseum und weiter zur Uni führt, lassen sich hoffentlich Begehrlichkeiten wecken und ein Impuls setzten, auch die Nachbarhäuser auf ähnlichem Niveau anzugehen. Das »Studico« setzt dabei nicht auf lautes Marktgeschrei, sondern auf subtile Qualität: austarierte Proportionen, sauber ausgeführte Details, subtile Farbabtönungen der Putzfassaden und goldene Fensterprofile, die bei jedweden Lichtverhältnissen eine sehr angenehme hell-warme Anmutung ergeben. Natürlich signalisiert diese Noblesse auch den Standard des Angebots im Innern: Die Wohnungen wurden als Anlageobjekte vermarktet; wer sich im Grunde nur eine Groß-WG leisten kann, wird hier kaum einziehen können. Dennoch ist es zu loben, wenn Investoren wirtschaftliche Wege suchen, mitten in der Stadt einmal etwas Anderes als hochpreisige Gewerbeflächen zu schaffen – und dabei auch nicht vor den Unwägbarkeiten des Umgangs mit vorhandener Bausubstanz zurückschrecken. Jemand muss den Anfang wagen, wenn der Beweis erbracht werden soll, dass es geht.
Damit dieser Startschuss etwas bewirkt, sollte die Stadt jetzt weitermachen, den Steubenplatz zum Park umgestalten, Radwege lieber mit Farbflächen als durch gelbe Kunststoffleisten markieren und überlegen, ob regengeschütztes Flanieren unter Kolonnaden nicht auch einige Meter stadteinwärts geschätzt werden könnte.
Die Verwaltung verschließt davor keineswegs die Augen, sondern geht diesen Bereich schon seit einiger Zeit im Rahmen der Städtebauförderung als urbane Sanierungsmaßnahme an, auch energetisch. Als eine Art Glücksfall darf man es ansehen, dass die Unternehmensgruppe Krieger + Schramm in den Besitz eines prominent platzierten Verwaltungsgebäudes am Steubenplatz kam: Der aus einem Bauunternehmen hervorgegangene, inzwischen auf Wohnungsbau spezialisierte Investor wog zusammen mit dem Architekturbüro planquadrat die Optionen Neubau und Sanierung ergebnisoffen gegeneinander ab. Studentisches Wohnen stand als Nutzung mehr oder minder schon fest. Die wegen Ensembleschutz baurechtlich stark begrenzten Ausdehnungsmöglichkeiten sprachen für den Erhalt, aber auch die geeignete innere Struktur des Bestands und die Chance, so manche aktuelle Norm zu umgehen, z. B. in Bezug auf fragwürdige Stellplatzvorgaben. Dazu trat der erklärte Wille zur Nachhaltigkeit und somit zur Nutzung der bereits im Gebäude steckenden grauen Energie.
Norm versus Leichtigkeit
Ganz widerstandslos ließ sich der über die Jahre immer wieder überformte Bürozellenstapel aber nicht adaptieren. Sein Raster passte letztlich nicht exakt zu dem leicht vermarktbaren Wohnraumkonzept der Einzelapartments, die sich zwar an einem gemeinsamen Flur nebeneinander aufreihen, aber mit jeweils eigenem Bad und Kochnische autark sind. Die leichten Trennwände fielen, genauso große Teile der monoton durchfensterten Fassaden – die Bereiche um die stark vergrößerten Fenster wurden mit Hochlochziegeln neu aufgemauert, mit Stahlbeton verstärkt und die gesamten Wandflächen mit einem WDVS versehen.
Zum verkehrsbelasteten Platz hin erlaubten sich die Architekten nur wenig Plastizität, indem sie in einigen der bodentiefen Fensteröffnungen jeweils eine leicht auskragende Stahlkonstruktion einfügten, die aus den französischen Balkonen immerhin kleine Austritte macht. Diese betonen die Mitte der Gebäudeansicht und sind explizit so ausgestaltet, dass sie subtil das Bild beleben, dabei aber aus keiner Perspektive, v. a. nicht vom Gehweg aus, aufdringlich wirken oder dem Charakter der umliegenden Häuser entgegenstehen. Der private Innenhof hingegen erlaubte das Aufstellen luftiger Balkone als Stahlkonstruktionen, die genügend Tiefe für Bistro-Möblierung oder Liegestuhl bieten.
Weichen musste zum allgemeinen Bedauern auch die originale Haupttreppe in all ihrer Leichtigkeit mit bezaubernd feinem Geländer samt der zugehörigen Pfosten-Riegel-Fassade. 50er-Jahre-Eleganz und heutige Sicherheitsnormen vertragen sich einfach nicht. Den vormals frei stehenden Rundstützen kann man, wenn man es weiß, in einem halbrunden Mauerabschluss noch nachspüren. Immerhin drückte die örtliche Brandaufsicht angesichts ein paar fehlender Zentimeter bei der Flurbreite die Augen zu, denn mit zwei abgeschlossenen Treppenhäusern und nicht allzu langen Fluren sind ausreichende Fluchtmöglichkeiten vorhanden. Der neu hinzugekommene Aufzug erleichtert nicht nur den Zugang vom Hof aus zu den acht als barrierefrei ausgewiesenen Wohneinheiten im Hochparterre, sondern steigert auch den Komfort für alle übrigen Apartments bis hinauf ins neue DG. Das angedeutete Walmdach knüpft gestalterisch an das Gesamtbild der Nachbarbauten an und bietet ganz oben Fläche für extensive Begrünung.
Nachhaltig auf vielen Ebenen
Der Hof wurde nach Abbruch einer Garage entsiegelt und so weit wie möglich biodivers begrünt. Ganz autofrei ist er jedoch nicht geworden; man handelte mit der Stadt aber aus, die drei geforderten Stellplätze einem Car-Sharing-Anbieter zur Verfügung zu stellen. Die Kellerräume bieten reichlich Platz für Fahrräder samt E-Bike-Ladestationen, dazu Waschküche und Technik für die Pellet-Heizung und die Lüftungsanlage mit Wärmerückgewinnung, die jede der 92 Wohneinheiten bedient. Für die hochwertige Ausstattung der voll‧möblierten Apartments, deren Größe zwischen 18 und 55 m² variiert, wurden schadstoffgeprüfte, vom Sentinel Haus Institut freigegebene Oberflächenmaterialien verwendet. Am Haupteingang prangt nun auch eine Plakette, mit der die Stadt das Begrünungs- und Energiekonzept würdigt.
Befand sich genau dieser Eingang bislang am Steubenplatz, so hat man ihn nun um die Ecke zur schmalen Bleichstraße verlegt, um die Loge der Heimleitung, die Briefkästen und den (bislang pandemiehalber noch arg verwaisten) Gemeinschaftsraum sinnvollerweise nahe beieinander haben zu können. Überdies bietet sich dort aber auch Potenzial für eine Art Schokoladenseite. Alle Häuser an der Nordseite des Straßenzugs sind als Kolonnade ausgebildet, die als ein Teil der städtebaulichen Gesamtanlage unter Denkmalschutz steht. Mit der Aufwertung des Eckgebäudes als Auftakt zu dieser – leider sehr verschmuddelten – Straße, die in der Verlängerung schnurstracks zum Landesmuseum und weiter zur Uni führt, lassen sich hoffentlich Begehrlichkeiten wecken und ein Impuls setzten, auch die Nachbarhäuser auf ähnlichem Niveau anzugehen. Das »Studico« setzt dabei nicht auf lautes Marktgeschrei, sondern auf subtile Qualität: austarierte Proportionen, sauber ausgeführte Details, subtile Farbabtönungen der Putzfassaden und goldene Fensterprofile, die bei jedweden Lichtverhältnissen eine sehr angenehme hell-warme Anmutung ergeben. Natürlich signalisiert diese Noblesse auch den Standard des Angebots im Innern: Die Wohnungen wurden als Anlageobjekte vermarktet; wer sich im Grunde nur eine Groß-WG leisten kann, wird hier kaum einziehen können. Dennoch ist es zu loben, wenn Investoren wirtschaftliche Wege suchen, mitten in der Stadt einmal etwas Anderes als hochpreisige Gewerbeflächen zu schaffen – und dabei auch nicht vor den Unwägbarkeiten des Umgangs mit vorhandener Bausubstanz zurückschrecken. Jemand muss den Anfang wagen, wenn der Beweis erbracht werden soll, dass es geht.
Damit dieser Startschuss etwas bewirkt, sollte die Stadt jetzt weitermachen, den Steubenplatz zum Park umgestalten, Radwege lieber mit Farbflächen als durch gelbe Kunststoffleisten markieren und überlegen, ob regengeschütztes Flanieren unter Kolonnaden nicht auch einige Meter stadteinwärts geschätzt werden könnte.
Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung
Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkel