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Der geschrumpfte Baumeister
Der Standard

Der bayerische Architekt Max Otto Zitzelsberger macht zwar immer wieder auch richtig große Häuser, doch die meisten seiner Projekte baut er en miniature. Wie schön! Aber warum eigentlich?

23. Juli 2022 - Wojciech Czaja
Die Wände aus Wellpappe und Büttenpapier, vor dem Haus ein Kilo Sand und Kieselsteinchen, eine Vegetation aus Lavendel, Schafgarben und getrocknetem Lampenputzergras. „Meist stammen die Bäume und Sträucher von einem schönen Feldblumenstrauß, den meine Frau bekommen hat, manchmal sogar von mir. Nachdem der Strauß in der Vase nach Wochen komplett vertrocknet ist, heißt es kurz vor der Entsorgung: Schatz, kannst du damit noch was anfangen?“

Und ob er das kann! Für Max Otto Zitzelsberger, Architekt in der bayerischen Pampa, sind die kleinen Dinge und Reststoffe unseres täglichen Wohnens und Arbeitens wertvolle Baumaterialien. Aus Drähten, Eis-am-Stiel-Stäbchen und Papieren in allen erdenklichen Farben, Strukturen, Grammaturen entstehen Häuser, Anbauten, Umbauten, Schulen, Kindergärten, Bauernhöfe und Verkaufsschuppen für Metzger und Fleischereibetriebe. Bloß sind seine Bauwerke meist kleiner, als man es gewohnt ist, denn Zitzelsbergers Welt ist eine Welt im Maßstab 1:25.

„Ich mag das Kleine, das Winzige, und mein allererstes Projekt, das ich realisiert habe, war ein Hühnerstall mit drei Quadratmetern Grundfläche“, sagt der ausgebildete Architekt, der drei kleine Bürostandorte in Bayern leitet und an der TU Kaiserslautern eine Juniorprofessur für Tektonik im Holzbau innehat. Für seinen Schwiegervater, einen Bauern mit Hühnern und Puten, entwarf er 2011 einen hölzernen Massivbau mit zehn Zentimeter dicken Wänden, die aus Holzklötzchen wie in einem klassischen Ziegelverband aufgemauert wurden. Der Stall wurde in diversen Fachmedien veröffentlicht. „Ein kleines Projekt für den Menschen, ein großes Haus für das Huhn“, so Zitzelsberger.

Kleinheit dominiert

Und heute? „Das Kleine und Geschrumpfte ist in meinen Bauten immer noch ein dominanter Faktor, denn die Architektur im großen Maßstab stellt mich schon lange nicht mehr zufrieden“, sagt der 39-Jährige mit einer Mischung aus breitem Grinsen und tiefem Seufzen. „Der Beruf des Architekten hat sich stark gewandelt, es gibt kaum noch schöne Aufträge, in die man als junger Planer hineinwachsen kann. Wer heute als Architekt tätig ist, der ist eine Projektmaschine, die verhältnismäßig wenig kreativen Spielraum hat – dafür aber immer mehr über Normen, Haftung, Finanzierung, Kostengarantien und rechtliche Gefahren wissen und sich um Verträge kümmern muss. Das macht keinen Spaß.“

Stattdessen könne man dies als Chance sehen, um das Gebiet der Baukultur neu zu definieren. „Jedes Gebäude, das errichtet wird, ist immer nur das Modell einer ursprünglich perfekten Planungsidee, einer Utopie“, sagt Zitzelsberger – und stimmt damit in den Kanon nichtbauender Architekten wie etwa Yona Friedman, Raimund Abraham, Friedrich Kiesler, Lebbeus Woods, Paul Laffoley oder Wolfgang Tschapeller ein. „Mit dem Bauen muss man den Perfektionismus und Idealismus aufgeben und Kompromisse eingehen. Für mich aber sind diese vielen, vielen Kompromisse nicht mehr tragbar. In der Welt en miniature muss ich weniger Eingeständnisse machen, kann Baukultur betreiben, wie ich will.“

In dieser, seiner Welt, in der die Häuser meist nicht höher als 30 Zentimeter, die Grundstücke nicht größer als zwei Quadratmeter sind, entstanden in den letzten Jahren die Sanierung eines 60er-Jahre-Wohnhauses in Vötting, ein Wohnbau für einen gemeinnützigen Bauträger in Salzburg, die Erweiterung des historischen Rathauses in Sinzing bei Regensburg, das längst aus allen Nähten platzt, sowie die Umnutzung des ehemaligen Distlerhofs in Berngau, der in Zitzelsberger erfundenen Breitengraden nun als Gemeindebauhof mitsamt generationengerechtem Wohnen fungiert.

Eine seiner liebsten Utopien jedoch ist das Geschäftshaus für einen Metzger, das sogenannte Wurst-Haus in Floß in der Oberpfalz. Im Vordergrund stand die Errichtung eines „dekorierten Schuppens“ in der architekturhistorischen Definition von Robert Venturi und Denise Scott Brown – mit einem Dach aus Wellkarton, einer dekorierten Fassadenfront, überdimensionierten Buchstaben über der Attika und eigenwilligen Beschattungselementen, wie sie etwa in der Architektur von John Hejduk zu finden sind. Postmoderne pur, geschrumpft auf die Größe eines Wohnzimmercouchtischs.

Zauberwelt Modelleisenbahn

Manchmal finden die Projekte, die von Kommunen und Privatbauherren als Entwurfsideen und Bebauungsstudien in Auftrag gegeben werden, dann aber doch den Weg in den Maßstab 1:1, wenn auch nicht in überbordender Regelmäßigkeit. „Ich fühle mich in der fiktiven Miniaturwelt wohl“, sagt Zitzelsberger, dessen Minihäuser die schlichte Eleganz eines Architekturmodells und zugleich die Detailliebe einer Märklin-Modelleisenbahn aufweisen. „Doch wenn das Schicksal es will, dass ein Projekt groß gemacht werden soll, dann wehre ich mich nicht dagegen. Es ist schön, wenn sich das ab und zu ergibt.“

Zu diesen Zufällen zählen neben dem schwiegerväterlichen Hühnerstall auch eine kleine Pfarrgalerie, ein Wohnungsumbau, ein Buswartehäuschen, ein revitalisierter Stadl sowie die sogenannte Erkläranlage in Berngau, eine Art Ideenwerkstatt und Open-Air-Freiluftklasse für Kinder mit und ohne Behinderung, die auf dem Areal einer alten, mittlerweile ungenutzten Kläranlage realisiert wurde. Das Projekt – entstanden in Kooperation mit Nonconform, der Lebenshilfe Neumarkt und dem Sozialwissenschaftlichen Institut für regionale Entwicklung (SIREG) – wurde vielfach publiziert und war sogar für den DAM-Preis für Architektur 2021 nominiert.

Was also ist neben diesen wenigen, aber vielbeachteten Bauten der Motor fürs Nichtbauen? „Mit den politischen, wirtschaftlichen und klimatischen Krisen hat sich die Architektur radikal verändert“, sagt Max Otto Zitzelsberger mit einem verschmitzten Lächeln, in dem hie und da die Weisheit eines hochbetagten Architekturtheoretikers durchblitzt.

„Wir haben unser Gespür für Schönheit verloren, wir haben das Zepter an die Immobilienwirtschaft abgegeben, wir müssen erst wieder verstehen lernen, was uns Baukultur überhaupt noch wert ist. Solange wir die Antwort darauf nicht haben, gehe ich diesen Fragen in 25-facher Verkleinerung nach.“

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