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Weltstadt oder Wienerwald?
Der Standard

Der Neue Markt in Wien ist wiedereröffnet. Mit Tiefgarage unten und viel Gewächs oben. Ein ökologischer Widerspruch, ein gestalterisches Durcheinander, aber auch Indiz für einen Wandel von der grauen zur grünen Stadt.

19. November 2022 - Maik Novotny
Struppige Stauden in eckigen Trögen. Große Platanen in teils runden, teils gerade abgesägten Betonumfassungen, von Schanigarten-Umzäunungen eingekeilt. Niedrige Gräser und kleine Bäume im Kies, gehalten von einem dünnen Band aus Stahl. Zwei amöbenförmige Abluftinseln aus Beton drängeln sich vor den Eingang zur Kapuzinergruft wie muskulöse Türsteher, auch diese Schwergewichte werden rankend begrünt. Zwischen all dem: das Wiener Magistratsmobiliar des öffentlichen Raums, die blechernen Mistkübel schmiegen sich an die Laternenmasten aus der K.-u.-k.-Zeit an, wie zeitreisende Roboter, denen die Batterie ausgegangen ist. Inmitten dieser vielstimmigen Vollmöblierung steht etwas verloren der restaurierte Donnerbrunnen herum. Der neu gestaltete Neue Markt, einer der ältesten Plätze Wiens, ist ein Durcheinander.

Bestückte Leere

Wie es dazu kam, ist eine lange, bekannte Geschichte, und sie beginnt im Untergrund. Pläne für den Bau einer Tiefgarage gab es schon lange, 2003 wurde ein Wettbewerb für den dann autofreien Platz ausgelobt, den Paul Katzberger gewann mit einem Entwurf, der den Platz weitgehend freiräumte, die Außengastronomie auf je ein Feld an beiden Enden einhegte und eine „Großzügigkeit vor der Kapuzinergruft“ vorsah.

Es folgten intensive Debatten zwischen Tiefgaragengegnern und -befürwortern, das Projekt pausierte eine Weile, bis schließlich die ersehnte Garage mit 364 Plätzen vier Etagen in die archäologisch bedeutsame Tiefe gegraben wurde. Autofrei ist der Platz trotz der Autos unter ihm nicht geworden, aber immerhin autofreier als zuvor. Die Leere des Stadtraums mit seinen historischen Fassaden wurde während der Planung sukzessive mit immer mehr Bepflanzung bestückt, jetzt, nach Fertigstellung, erinnert der Platz ein wenig an eine Gartenbauausstellung.

Muss eine Weltstadt zum Wald werden? Vielleicht muss sie das in der Tat. Zwar gilt immer noch der Grundsatz: Ein Platz ist kein Park, und auf einen Markt gehört keine Wiese. Doch die Begrünung versiegelter Plätze ist ein internationaler Trend, der Laien und Fachwelt gleichermaßen erfasst hat. Galten bis vor wenigen Jahren noch die steinernen Piazze von Venedig bis Siena als urbanistisches Ideal, auf deren hartem Pflaster sich mediterrane Lebensart quasi von selbst einstellt, denkt man heute, einige Hitzesommer später, anders.

„Es gibt in der Tat einen Shift von der Versiegelung hin zu mehr Grün, aus ökologischen Gründen wie auch aus psychologischen und ästhetischen“, bestätigt auch Lilli Lièka, Landschaftsarchitektin und Professorin an der Boku Wien. „Die Architekten haben lange dafür gekämpft, dass ein leerer Platz als Ultima Ratio gilt, aber heute realisiert man, dass sich befestigte Flächen viel zu stark aufheizen.“ Bei 40 Grad ohne Schatten schafft es eben auch der härteste Flaneur nicht mehr, mit der Espressotasse in der Hand italienische Sprezzatura zu performen.

Urbaner Dschungel

Dieser Wandel hat auch die Städte des Mittelmeerraums selbst erfasst. In Barcelona wird das Raster von Ildefonso Cerdàs Stadterweiterung des 19. Jahrhunderts, bis heute der heilige Gral der europäischen Stadtbaukunst, mit der Erfindung der „Superblocks“ zu einem grünen Ökotop umgedeutet, die Straßen und Plätze zu einem urbanen Dschungel aufgeforstet. Renommierte Landschaftsplaner wie SLA aus Kopenhagen haben ebenfalls die Wende vom harten Boden zum Ökotop vollzogen. Nicht nur in Wien bestellen Stadtverwaltungen heute eiligst so viele „XL-Bäume“, wie das Budget hergibt.

„Die Produkte der Landschaftsarchitektur brauchen immer Zeit, um zur Geltung zu kommen, man muss dem Grünraum Zeit geben zu wachsen“, sagt Lilli Lièka. „Aber heute gibt es immer öfter den Wunsch, dass alles schnell gehen soll. Ältere Bäume haben den Vorteil einer sofortigen klimatischen Wirkung, weil sie Schatten erzeugen und Staub binden. Man darf aber die Frage nicht außer Acht lassen, wo diese Bäume herkommen. Wenn sie per Lkw durch halb Europa gekarrt werden, stimmt die Ökobilanz nicht mehr.“

Bilanz in Schieflage

Diese ist beim Neuen Markt sowieso in starker Schieflage, denn was hilft der Staubfilter 20 Jahre alter Platanen, wenn sich täglich Kfz-Kolonnen zwischen Oper und Albertina durchfädeln, um in der Garagengruft neben Kaiserin Sisi einparken zu können? Ein ärgerlicher Anachronismus, konstatiert Renate Hammer, Geschäftsführerin des Institute of Building Research and Innovation: „Hier ist ein technisch hochaufwendiges Tiefbauvorhaben für den motorisierten Individualverkehr umgesetzt worden. Das erschließt sich einem weder in Hinsicht auf das deklarierte Ziel der Stadt nach effektivem Klimaschutz noch auf die angestrebte Reduktion der Einfahrten in die Innenstadt um 30 Prozent. Stattdessen wäre es dringend notwendig, die Stadt langfristig lebensfreundlich zu erhalten und durch blau-grüne Infrastrukturen an den Klimawandel anzupassen. Das braucht Platz, der hier offenbar vorhanden gewesen wäre. Es sind in diesem Sinne alle lang geplanten Projekte vor ihrer Umsetzung kritisch zu evaluieren.“

Anstatt mit einer Tiefgarage einen Attraktor für den motorisierten Verkehr zu schaffen, sagt auch Lilli Lièka, solle man die Mobilitätswende zum Anlass nehmen, den öffentlichen Raum aufzuwerten, der in der Wiener Flächenwidmung nur als Verkehrsfläche definiert ist: „Dazu gibt es mehrere von Steuergeld bezahlte, aber nie veröffentlichte Studien in den Schubladen des Magistrats.“ Dann klappt es vielleicht auch mit der Ästhetik besser, denn diese stellt ihre Ansprüche ans Grün und ans Grau in gleichem Maße. „Beim Neuen Markt sehe ich in der Gestaltung viele Krücken und Notbehelfe, wie etwa die nachträgliche Begrünung der Abluftschächte.“

Die Neugestaltung eines 800 Jahre alten Platzes um den Anachronismus einer Tiefgarage herum zu konstruieren – darauf wird man vermutlich schon in wenigen Jahren mit ungläubiger Ratlosigkeit zurückblicken. Unter den Platanen und Nebelduschen wurden Fakten geschaffen, und die beiden Zufahrtsrampen werden bis auf weiteres als plumpe Skulpturen des fossilen Zeitalters zwischen Albertinaplatz und Neuem Markt die Straße versperren. Eine Tiefgarage kann man nicht abreißen und nur schwer umnutzen. Vielleicht als Cooling-Bunker, wenn es an der Oberfläche nach dem prognostizierten Scheitern der globalen Klimaziele trotz Nebelduschen und XL-Bäumen zu heiß geworden ist.

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