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Der Regisseur des Raums
Der Standard

Vor 300 Jahren starb der Barockarchitekt Johann Bernhard Fischer von Erlach. Eine Gelegenheit, an das virtuos dreidimensionale Denken dieses weltoffenen Globalisten und raffinierten Kombinierers zu erinnern.

8. April 2023 - Maik Novotny
Bei diesem Anblick muss es schwer gewesen sein, Atheist zu werden: Mitten in der Natur des unregulierten Wienflusses stehend wie eine Fata Morgana, eine große Kuppel, davor ein Portikus, flankiert von zwei hohen Säulen, wie zum Gebet erhobene Hände. Ganz in Weiß und genau in der Sichtachse der alten Römerstraße, die heute noch als Herrengasse an der Wiener Hofburg vorbeiführt. Die Karlskirche, das späte Meisterwerk des Barockarchitekten Johann Bernhard Fischer von Erlach.

Längst ist sie von der Masse der Stadt eingeholt worden, doch die „Primadonna“, wie sie der Architekt Boris Podrecca einmal nannte, dominiert den Raum um sie herum noch heute. Ihre Fassadenfront ziert Reiseführer, lugt über die Köpfe zahlloser Selfies. Das perfekte zweidimensionale Bild lässt oft vergessen, welch euphorisierendes Erlebnis es ist, die Karlskirche aus der Bewegung her wahrzunehmen, wenn sich ihre Kanten und Kurven wie Theaterkulissen dramatisch dreidimensional vor- und hintereinanderschieben.

Fischer von Erlach, der vor 300 Jahren, am 5. April 1723, starb, war alles andere als ein Purist, er war Bühnenbildner, Bildhauer und Weltreisender der Architektur. „Er kombinierte reine geometrische Formen und brachte den menschlichen Körper in die Architektur“, sagt Andreas Nierhaus, Kurator am Wien-Museum, der gemeinsam mit Peter Husty die Ausstellung konzipierte, die diese Woche im Salzburg-Museum eröffnet wurde und 2024 im Wien-Museum zu sehen sein wird. Wien und Salzburg sind zweifellos die Schauplätze seiner großen Werke, die Urquelle seines Schaffens lag jedoch in Rom, wo er im Alter von 14 Jahren das Schauen lernte. Die Ewige Stadt war im Barock Europas Architekturmekka, ein Konzentrat aus Seh-Sucht und Spektakel, Stein und Licht, Sinnlichkeit und Geometrie. Der Hohepriester dieser magnificenza war Bernini, und Fischer von Erlach kam mit dem Siegel seines Segens zurück nach Österreich.

Weltreise ohne Scheuklappen

Doch er war noch virtuoser und verspielter in seiner Auflösung der Grenzen zwischen Architektur und Bildhauerei. Perforationen und Durchdringungen, Konkaves und Konvexes in lustvollem Dialog, aufgeladene Leere. Kanalisierte Blicke in die Ferne, verstohlenes Lugen in steinerne Faltenwürfe. Beim Hofmarstallportal in Salzburg balancierte er seine muskulösen Atlanten auf stilettohaft scharfen Pfeilern, die nach unten spitz zulaufen. Im Raum verankerte Amalgame von Religion und Körperlichkeit, wie sie auch Madonna Louise Ciccone knapp 300 Jahre später in ihrem Musikvideo zu Like a Prayer anstreben sollte.

Fischer von Erlachs Lebenswerk kulminierte in seinem 1721 herausgegebenen Prachtband Historische Architektur, eine Weltreise ohne Scheuklappen in assoziativ kombinierten Bildtafeln, von Stonehenge über chinesische Pagoden bis zu Moscheen. Ein frischer Wind der Toleranz in absolutistischen Zeiten kurz vor der Aufklärung. Seitdem wird Fischer von Erlach stets wiederentdeckt, ob von Otto Wagner als Türöffner der Moderne oder als Regisseur des fließenden Raums bei den Architekturschaffenden von heute. Einige von ihnen hat der Standard zur Würdigung anlässlich seines 300. Todestags gebeten.

Volle Breitseite

„In meinen ersten Studienjahren ging ich täglich auf dem Weg zur Angewandten an einer bemerkenswerten Situation vorbei: Über einer Baulücke thronte die Kuppel der Karlskirche. Jeder hat das Bild ihrer Kuppel vom Karlsplatz aus im Kopf, aber ich sah zu jeder Tages-, Nacht- und Jahreszeit ihre volle Breitseite! Ich entwickelte als Projekt ein Studentenheim genau a n dieser Stelle. Das Bild der halben Kuppel würde die dort Studierenden hoffentlich ebenso faszinieren wie mich. Leider wurde die Baulücke rasch mit einer Bausünde verbaut, und das ungewohnte Bild der Kuppel für immer aus dem Stadtbild verbannt.“

Christoph Pichler,
Pichler & Traupmann Architekten

Die Königin des Karlsplatzes

„Unser Ansinnen war es, einerseits das Wien-Museum auf Augenhöhe zu den anderen am Karlsplatz situierten Gebäuden zu bringen und andererseits die als Dominante den Platz prägende Karlskirche und ihre überregionale Bedeutung zu respektieren. In diesem Sinne weiß der Ausblick aus dem Fugengeschoß des neuen Museums, dass er von einer Hauptdarstellerin lebt und nicht zuletzt für sie inszeniert wurde.“

Roland Winkler,
Winkler Ruck + Certov,
Architekten des Wien-Museum neu (Eröffnung Ende 2023)

Kirche gegen Pest und Krieg

„Die Wiener Karlskirche ist nicht nur einer der wichtigsten Bauten des Grazer Architekten, sondern auch einer der komplexesten auf der Ebene seiner Symbolik. Als Votivkirche, die gegen Pest und Krieg errichtet wurde, zeugt die Karlskirche von der Allmacht Gottes, in die Geschichte lindernd einzugreifen, wenn die Menschen es nur wollen. Die Ereignisse der letzten Jahre zeigen für uns auch nach 300 Jahren die gesellschaftliche Relevanz dieses Hauses als Ort der lebendigen Tradition.“ Marek Puèalík O. Cr.,

Kreuzritterorden,
Kirchenrektor der Karlskirche

Mit Fischer in die Zukunft

„Als die ehemaligen Hofstallungen 2001 zum Museumsquartier wurden, haben wir ein fiktives Interview mit Fischer von Erlach geführt. Sinngemäß hat er sich damals über die ablehnende Haltung der Gesellschaft gegenüber neuer Architektur beschwert. Die Gegenwart hat für Zukunftsdenken noch weniger Platz. Aber wir werden die kommenden Jahre nur überstehen, wenn wir uns von umweltschädigenden Gewohnheiten lösen und grundsätzlich neu denken. Wir müssen uns nicht davor fürchten. Im Gegenteil, wir hätten schon vor Jahrzehnten handeln sollen. Wir hätten uns eventuell die Klimakatastrophe erspart, wenn wir ein bisschen auf Fischer von Erlach gehört hätten.“

Anna Popelka,
PPAG Architects

Alles im Fluss

„Wenn man von der Lust an der Raumgestalt der Bauwerke des Barocks ausgeht – was für ein Wahnsinn, tonnenschwere Kuppeln zu bauen, um sie dann mit Himmelsmalereien zum Entschwinden zu bringen! –, dann wird sichtbar, dass die Gestalt des komplexen Raumes und nicht die simplifizierte Box eine besondere Fähigkeit der österreichischen Architekten darstellt. Fischer von Erlach wusste, wie er Gebäude monumental in die (Stadt-)Landschaft setzt. Auf jeden Fall ist die barocke Architektur als Vorbild für starke Architektur zu sehen, denn sie zählt nicht die additiven Funktionen, sondern ist Ausdruck für eine fließende Raumgestaltung.“

Wolf dPrix,
Coop Himmelb(l)au

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