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Neues Leben blüht aus den Ruinen
Neue Zürcher Zeitung

Eine Ausstellung zur Synagogenarchitektur in Dresden

30. Juli 1999 - Roman Hollenstein
Dresden besass einst mit dem 1840 vollendeten Semper-Bau ein Hauptwerk der Synagogenarchitektur. Doch die Barbarei der Nazis löschte nicht nur die jüdische Gemeinde aus, ihr fiel auch Sempers Meisterwerk zum Opfer. Heute ist die ehemals blühende Gemeinde dank Zuwanderung aus dem Osten wieder auf 200 Mitglieder angewachsen. Für diese soll nun am früheren Standort der Semper-Synagoge auf den Brühlschen Terrassen ein neues Gotteshaus entstehen. Doch anders als die kriegszerstörte Frauenkirche wird die in der «Reichskristallnacht» abgebrannte gebrandschatzte und dann geschleifte Synagoge nicht rekonstruiert. Das mag man bedauern angesichts des historischen und baukünstlerischen Wertes dieses einzigen von Gottfried Semper realisierten Sakralbaus. Doch lässt ein vom jungen Saarbrücker Architekturbüro Wandel, Hoefer, Lorch zusammen mit Nikolaus Hirsch aus Frankfurt a. M. erarbeitetes Projekt auf einen innovativen Neubau hoffen. Dieser dürfte das mit guter zeitgenössischer Architektur nicht eben verwöhnte Dresden mit einem starken Akzent beleben und gleichzeitig die Synagogenarchitektur um ein wichtiges Beispiel bereichern.


Canaletto-Panorama mit Neubau

Die Pläne, Entwürfe und Maquetten des geplanten Gotteshauses bilden gegenwärtig zusammen mit Bildern, Urkunden und einem Modell des berühmten Vorgängerbaus das Herzstück einer der Synagogenarchitektur gewidmeten, von einem attraktiven Katalogbuch begleiteten Ausstellung im Japanischen Palais des Staatlichen Museums für Völkerkunde Dresden. Sie rollt die Geschichte der Synagoge am Beispiel von Dresden und seinen zwölf Partnerstädten (von Brazzaville über Columbus und Florenz bis Skopje) auf und erläutert an ihnen neben religiösen und kulturellen Aspekten auch baugeschichtliche Fragen und das Problem einer Rekonstruktion des Semper-Baus. Dadurch entstehen interessante Querverbindungen und werden bisher kaum beachtete Synagogenbauten ins Licht gestellt. Allerdings führt die auf Dresdens Partnerstädte beschränkte Optik zu einer gewissen Einseitigkeit, kommen doch die beiden bedeutendsten erhaltenen Nachfolgebauten der Semper-Synagoge, die von Chiodera & Tschudy errichteten Synagogen in St. Gallen und an der Zürcher Löwenstrasse, ebenso- wenig zur Sprache wie die reiche, von manch wegweisenden, aber auch eigenwilligen Lösungen geprägte amerikanische Synagogenkultur dieses Jahrhunderts. Gleichzeitig wird die zeitgenössische Entwicklung in Deutschland, die jüngst in Zvi Heckers Neubau von Synagoge und Gemeindehaus in Duisburg (NZZ 26. 6. 99) kulminierte, auf diese Weise leider ausgeklammert.

Der Entscheid für einen Neubau anstelle der im wiederaufbauwütigen Dresden naheliegenden Rekonstruktion des Semper-Baus war nicht unangefochten. Denn dieser kommt nicht irgendwo zu stehen. Vielmehr wird er den markanten Abschluss des stolz Canaletto-Blick genannten Elbpanoramas bilden. Daher wurde der Wettbewerb für eine Synagoge mit Gemeindezentrum sowie Räumen für religiöse Erziehung, Bibliothek und Verwaltung sorgfältig vorbereitet und 1997 europaweit ausgeschrieben. Die Vorschläge von Livio Vacchini und Heinz Tesar erhielten zwar je einen ersten Preis, doch fiel die Wahl der jüdischen Gemeinde nicht zuletzt aus funktionellen und städtebaulichen Erwägungen auf das drittplacierte Projekt. Synagoge und Gemeindehaus sind hier in zwei getrennten Betonkuben auf einem langen, schmalen Podest angeordnet und durch einen Hof getrennt. In dessen baumbestandener Hälfte befindet sich die Mikwe, während auf dem freien Platz der Grundriss der Semper-Synagoge eingelassen ist und so die verlustreiche Geschichte mit einbeziehen soll.

Zur rekonstruierten Altstadt hin wird sich das Gemeindehaus erheben, zum Fluss hin die Synagoge. Deren nach oben leicht verdrehter Betonkubus wird durch ein Oberlicht erhellt und ist im Innern - in Anspielung auf Sempers Prinzip der Bekleidung - mit einem nach Osten gerichteten, durchsichtigen Metallgewebe ausgekleidet. In diesen zeltartigen Raum werden Thoraschrein, Bima, Bänke und Empore wie Möbel hineingestellt. Verweist der massive Aussenbau auf den Tempel in Jerusalem, so gemahnt das textile Innere an das biblische Stiftszelt. Auf derart eigenwillige Weise ist das die jüdische Tradition prägende Gegensatzpaar des Dauerhaften und des Provisorischen wohl noch in keinem anderen Synagogenbau zum Ausdruck gebracht worden. Darüber hinaus erinnert die doppelte Codierung erneut an die Semper-Synagoge mit ihren aussen deutsch- romanisch, innen aber maurisch-orientalisch inspirierten Formen.


Finanzierungsprobleme


Obwohl bereits im letzten Herbst der Grundstein der neuen Synagoge gelegt wurde und gegenwärtig bauvorbereitende Massnahmen vonstatten gehen, ist die Realisierung dieses für Deutschland architektonisch und kulturpolitisch gleichermassen bedeutenden Baus noch nicht völlig gesichert. Denn obwohl die Dresdner 1938 die Synagoge mutwillig zerstörten und die jüdischen Bürger danach auch noch das Abtragen der Ruine bezahlen mussten, kommt die Bundesrepublik nicht für den Neubau auf. Gemäss einem in Westdeutschland schon vor 1989 gültigen Schlüssel beteiligen sich das Land, also der Freistaat Sachsen, und die Stadt Dresden zu je einem Viertel an den auf 20 Millionen Mark veranschlagten Baukosten. Der Rest muss von der kleinen jüdischen Gemeinde und durch Spendengelder aufgebracht werden. Die Ausstellung im Japanischen Palais will daher nicht nur möglichst weiten Kreisen jüdische Religion, Kultur und Tradition näherbringen, sondern sie auch motivieren, sich finanziell für den Synagogenneubau stark zu machen. Denn wer weiss: vielleicht wird der ambitiöse Neubau einmal ebenso stilbildend werden, wie es einst sein berühmter Vorgänger war. (Bis 26. September)


[ Annegret Nippa und Peter Herbstreuth: Eine kleine Geschichte der Synagoge aus dreizehn Städten. Verlag Dölling und Galitz, Hamburg 1999. 342 S., Fr. 46.-. Förderverein «Bau der Synagoge Dresden», Bautzner Strasse 20, D-01099 Dresden. ]

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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