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Welcome to Musklândia!
Der Standard

Elon Musk baut vielleicht eine neue Stadt für seine Angestellten. Damit ist er nicht der Erste. Firmenstädte gab es immer wieder, mal utopisch, mal realistisch – und oft gescheitert. Eine Weltreise zu den Corporate Cities der Geschichte.

2. Mai 2023 - Maik Novotny
Es ist ja nicht so, dass Elon Musk in den Nachrichten zu wenig vorkäme. Doch im März berichtete das Wall Street Journal Überraschendes vom verhaltensauffälligen Milliardär: Dieser plane seriösen Quellen zufolge, in Texas eine neue Stadt namens Snailbrook neben dem Sitz seiner Firmen Space X und Boring zu bauen. Die ersten Fotos und Pläne waren eher unvisionär und ähnelten einer Barackensiedlung aus dem Bergbaumilieu. Musk dementierte per Twitter, doch die texanischen Nachbarn waren bereits nervös. Eine Utopie hinter ihrem Gartenzaun, sagten sie, fänden sie nicht so reizvoll, denn Utopien seien in der Menschheitsgeschichte schon oft schiefgegangen.

Vielleicht war die Aufregung umsonst und Snailbrook nur eine der vielen Tageslaunen des kindlichen Raketenkaisers. Doch er wäre nicht der erste Firmenboss, der sich zum Stadtgründer aufschwingt. Denn wenn Chefs zum Glauben kommen, dass ihre „Firmenphilosophie“ tatsächlich eine Philosophie ist, wird es gerne utopisch. Und was ist visionärer als eine Stadt, erschaffen aus dem Nichts?

Gummi und Stiefel

Das wohl berühmteste Scheitern einer solchen Hybris ist im brasilianischen Dschungel zu besichtigen. Hier wollte Autogigant Henry Ford in den 1920er-Jahren eine Alternative zum britischen Kautschukmonopol aufbauen und gründete für die Plantagenarbeiter die Stadt Fordlândia mit Kraftwerk, Schwimmbad, Kino, Feuerwehr und Krankenhaus. Brasilianische Zeitungen lobten Henry Ford als „Jesus Christus der Industrie“, doch das Vorhaben war von Anfang an ein Desaster. Das Land war für Kautschuk-Anbau völlig ungeeignet, Gelbfieber und Malaria grassierten, die Arbeiter rebellierten gegen Fords strengen Puritanismus (kein Alkohol, keine Damenbesuche) und das amerikanische Essen und schlugen die Stechuhren in Stücke.

Erfolgreicher als die Stadt des Gummis sollte die Stadt der Schuhe werden. Im mährischen Zlín ließen die Brüder Tomáš und Jan Antonín Baťa in den 1920er-Jahren von Architekten wie dem Otto-Wagner-Schüler Jan Kotěra eine Werksiedlung für ihr Schuh-Imperium errichten, die die Ideale der Moderne umsetzte: Licht, Luft, und Sonne, Funktionstrennung und Rundumversorgung. Es wurde zum Aushängeschild des Hightech-Lands Tschechoslowakei und zum Mekka für Architekten. „Zlín ist ein leuchtendes Phänomen. Ich bin viel durch die ganze Welt gereist, und dennoch fühle ich mich hier wie in einer neuen Welt,“ jubelte Le Corbusier bei seinem Besuch 1935. Heute noch zu besichtigen ist das legendäre Direktorenbüro, das sich Jan Antonín Bat’a in den Aufzug des Verwaltungshochhauses bauen ließ.

Von der Moderne zur Postmoderne: Die heimelig-sauberen Kleinstadtideale des New Urbanism fanden in den 1990er-Jahren ihre Gestalt in Celebration, der Traumstadt der Walt Disney Company in Florida. Ein Truman Show -Traum in Weiß und Pastell, in dem das Aussehen von Haus und Garten ebenso wie das Verhalten der Bürger vertraglich bis ins Detail festgelegt ist. Von Kritikern wurde Celebration wegen mangelnder Diversität gegeißelt, doch die Gegenwart hat einen Plot-Twist parat, denn im Konflikt mit Floridas protofaschistischem Gouverneur Ron DeSantis wird Disney plötzlich zur Enklave der Freiheit inmitten der bücherverbietenden Repression.

Smarte Tech-Bros

Eine wahre Stadtgründungseuphorie erfüllte die Welt im Zuge der digitalen Revolution im 21. Jahrhundert. Viele Tech-Konzerne fanden in der informationsbasierten Smart City die perfekte Form für ihre Forschung und Entwicklung und können sich so Einfluss in jenen Städten und Staaten sichern, in denen sie Steuern zahlen (oder auch nicht). Nicht immer funktioniert das. Als der Alphabet-Konzern 2015 das Konzept Sidewalk Labs vorstellte, sollte Toronto zum 300-Hektar-Pilotprojekt werden. Leider wollten die Bürger von Toronto partout nicht die Daten ihres Alltags in die Hände von Alphabet legen, 2020 wurde das Projekt begraben. Möglicherweise, weil viele Tech-Bros sich nicht für Soziologie, Geschichte und Architektur interessieren und eine naive Vorstellung davon haben, wie Menschen zusammenleben wollen.

Für ähnlich smart hält sich die Autofirma Toyota, die im Februar 2021 die Stadt Woven City am Fuße des Fuji-san gründete. Praktischerweise auf Firmengrund, daher musste man sich nicht mit lästigen Bewohnern herumschlagen. Woven City soll eine Art Teststrecke für Mobilität in Stadtform werden: Straßen für Fußgänger, für Selbstfahrer und für Automated Driving werden miteinander verflochten, aus all dem werden Echtzeitdaten ausgelesen, die künstliche Intelligenz wird weiterentwickelt. Mit 360 Bewohnern ist das Starter-Kit für eine echte Stadt eher bescheiden, doch für die gibt es genaue Pläne: In Kooperation mit Nissin Foods wird ein Ernährungsprogramm entwickelt, das auf jeden Bewohner individuell zugeschnitten ist. Henry Ford lässt grüßen.

Mit dem Menschen beginnen

Die Hauptzielgruppe Toyotas dürften jedoch weniger die Bewohner sein als andere Firmen. Diese sollen gelockt werden durch die Stadtbilder des dänischen Architekten Bjarke Ingels, dessen „Hey Leute, wir schaffen das!“-Ausstrahlung das Komplizierte ganz leicht erscheinen lässt, auch wenn es sich danach wieder als kompliziert herausstellt.

Ingels’ Büro BIG liefert auch die Visualisierungen für Telosa, die Fünfmillionenstadt in der amerikanischen Wüste, die sich der US-Milliardär Marc Lore ausgedacht hat. Sie verbindet kalifornisches Laissez-faire mit Diversität und Ökologie und nicht uninteressanten Konzepten der Open-Source-Demokratie. „Stadtneugründungen waren bisher immer Immobilienprojekte“, sagt Lore. „Sie beginnen nie mit dem Menschen.“ Das will er anders machen und von vornherein Immobilienspekulation verhindern.

Erstaunlich progressiv für einen Milliardär, doch die Frage, wo eigentlich in der Wüste das Wasser für fünf Millionen Menschen herkommen soll, wird nur vage beantwortet. Manche sprachen von einem grüngewaschenen Las Vegas, noch drastischer urteilte die US-Kritikerin Jessa Crispin, die grundsätzlich infrage stellt, ob ein einzelner Mann entscheiden soll, aus welchen Teilen eine Stadt zusammengebaut ist. „Was würde eine Gesellschaft besser machen? Wolkenkratzer in der Wüste? Oder wäre es vielleicht am besten, wenn Milliardäre weniger Einfluss hätten auf das Funktionieren der Gesellschaft?“

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