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„Stuck her, oder es knallt“
Der Standard

Architektur wird in den sozialen Medien immer öfter von Traditionalisten und Rechten als Mittel für einen Kulturkampf für das christliche Abendland missbraucht. Aber warum? Und warum gerade jetzt?

5. Januar 2024 - Maik Novotny
Am 17. Dezember musste sich Tucker Carlson sehr aufregen. Das ist an sich nichts Besonderes, denn der ultrarechte Fernsehmoderator verdient seinen Lebensunterhalt mit dem Anfachen von Erregung. Doch dieser Aufreger war besonders: das Globe Life Field Stadium in Dallas, Spielort der Texas Rangers. Dieses sei, so Carlson, so hässlich, dass man den Architekten ins Gefängnis stecken müsse. Schön ist das Stadion in der Tat nicht, eine wilde Kollision aufgeblähter Formen. Aber das ist für US-Sportstätten nichts Außergewöhnliches. Die Frage ist: Warum beschäftigt sich ein Trump-affiner Agitator, der bislang nicht mit kulturellem Interesse auffiel, plötzlich mit Architektur?

Die Antwort: Er folgt einem Trend. Vor allem in den sozialen Medien wird „moderne Architektur“ heutzutage mit wahllosen Rundumschlägen geprügelt. Meistens mit dem einfachen, aber effektiven Rezept, zwei Bilder nebeneinanderzustellen, die einen vermeintlichen Kulturverlust illustrieren: Links Stein, rechts Beton. Links Ornament, rechts kein Ornament. Links gut, rechts böse. Vor allem die Plattform X, vormals Twitter, ist zum Spielfeld dieser Polarität geworden. Zahllose Accounts wie etwa @archi_tradition (579.000 Follower) posten Bilder gotischer Kathedralen mit der Frage, warum man so etwas heute nicht mehr baue. Oder @Arch_Revival_ (142.000 Follower), der Neubauten feiert, die aussehen, als wären sie 200 Jahre alt, was als Qualitätsmerkmal offenbar ausreicht. Nebenbei wird gerne auch die moderne Kunst als „degeneriert“ bezeichnet.

Keine Kulturkritik

Ganz weit vorn: @culture_crit, eine Million Follower. Barocke Skulpturen, Opernhäuser, Kathedralen, dazu Bibelverse und Sprüche wie „Architektur und Kunst sollen Ehrfurcht erzeugen“. Bauten der Moderne fehlen ebenso wie die gesamte arabisch-islamische Kultur. Der Gipfel menschlichen Schaffens, wird deutlich suggeriert, sei ausschließlich der westlichen Kultur zu verdanken, insbesondere gottesfürchtigen Männern, deren Hände heroisch Stein auf Stein schichteten. Mit echter Kulturkritik hat all das nichts zu tun, und doch teilen Tausende, darunter auch eigentlich vernünftige Menschen, begeistert die verführerisch aufbereiteten Inhalte. Die Bildunterschrift von @culture_crit zu einem Kitschbild eines märchenhaft verschneiten Moskau im Schnee: „What’s preventing you from moving to Russia?“

Auf Facebook wiederum breitet sich das Netzwerk „Architecture Uprising International“ schnell aus. Initiiert von Peter Olsson, einem Systemadministrator aus Schweden, gibt es inzwischen regionale Gruppen von Island bis Israel, die deutschsprachige „Architektur-Rebellion – Lasst uns wieder schöner bauen“ hat als Motto: „Gemeinsam machen wir der klotzigen Neubau-Hässlichkeit ein Ende und bringen wieder Schönheit, Lebensqualität und Nachhaltigkeit in unsere Städte!“

Dass sich eine breite Bewegung für mehr Schönheit in den Städten einsetzt, dagegen lässt sich nichts sagen. Dass hier vieles im Argen liegt – etwa ein Vernachlässigen von Handwerk, Dauerhaftigkeit und Detail –, stimmt ebenso. Die Gründe dafür sind vielfältig. Doch die Kritik an der Banalität des gebauten Alltags beschränkt sich meist auf das Einsortieren der gesamten Baugeschichte in zwei Töpfe: traditionell und modern. Befeuert von einem Grundton aggressiver Dauererregung: Menschen schreien Fotos im Internet an. Die Sanierung eines Gründerzeithauses in Ostdeutschland, der der Fassadenschmuck zum Opfer fiel, kommentiert der architekturrebellische Administrator so: „Bringt den Stuck wieder an, aber dalli! Sonst knallt’s, versprochen!“, gefolgt von drei Feuer-Emojis.

Was ist das Problem daran? Zum einen, dass es so etwas wie „klassische“ und „traditionelle“ Architektur nicht gibt. Unterschiedlichen Baustilen liegen unterschiedliche Haltungen zugrunde. Gotik, Barock und Historismus durchliefen Phasen, in denen sie als hässlich galten, und die anonyme Alltagsarchitektur ist ein ganz eigenes Kapitel. Die Boulevards von Paris und das Wien der Gründerzeit zerstörten die Stadt des Mittelalters und Biedermeiers, waren also im Grunde antitraditionell. Der sich als modern verstehende Otto Wagner hätte sich gegen eine Einordnung als Traditionalist mit Händen und Füßen gewehrt.

Reaktionäre Ideen

Auch die Moderne lässt sich nicht in einen Topf werfen: Die Massenproduktion des Bauwirtschaftsfunktionalismus, der bildhauerische Brutalismus, die bunt-verspielte Postmoderne, der wilde Dekonstruktivismus, das regionale Bauen oder der Holzbau haben nur wenig gemeinsam. Auch die Kritik an der Moderne und dem städtebaulichen Kahlschlag der Nachkriegszeit ist bereits 50 Jahre alt.

Sich im Jahr 2024 an Le Corbusier, Mies van der Rohe und dem Bauhaus abzuarbeiten und Barrikaden an Frontlinien aufzustellen, die längst obsolet sind, ist, als würde man heute noch Beethoven gegen „langhaarige Beatmusiker mit Stromgitarren“ ausspielen. Fast könnte man den Eindruck gewinnen, dass sich manche Rebellen gar nicht wirklich für Architektur interessieren. Aber was steckt dann dahinter? „Schönheit und Tradition sind Codewörter für weiße Suprematisten geworden, die an den Großen Austausch glauben, an das Ende des christlichen Europa durch Immigration“, schrieb der britische Architekturkritiker Robert Bevan 2022. „Klassizismus ist an sich nicht politisch rechts, aber traditionelle Architektur wurde zu einem Vehikel für die Rechte und die extrem Rechte.“ Extrem rechte Gruppen wie die in den USA beheimatete Identity Evropa werben mit antiken Statuen, die National Rifle Association (NRA) prangerte moderne Architektur 2017 als Symbol liberaler Dekadenz an, die Verschwörungstheorie-Website Infowars ein Video mit dem Titel Why modern architecture SUCKS.

Agitatoren wie Tucker Carlson haben hier offenbar genau hingesehen und sich ein Beispiel genommen. Es ist schließlich so einfach: Ein paar Bilder und ein paar Schlagworte genügen als Trigger für die Erregung, mehr Auseinandersetzung mit Architektur braucht es nicht. Die Baugeschichte der Menschheit ist endlos faszinierend, widersprüchlich, kompliziert und natürlich auch kritikwürdig. Sie für einen Kulturkampf zu instrumentalisieren ist nicht nur gefährlich, sondern schlicht: kulturlos.

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