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Im Zeichen der Pyramide
Der Standard

Johann Bernhard Fischer von Erlach ist als Erbauer von Karlskirche, Hofbibliothek und Schloss Schönbrunn bekannt. Die erste Sonderausstellung im neuen Wien-Museum begibt sich nun auf barocke Spurensuche.

1. Februar 2024 - Wojciech Czaja
Eine Federzeichnung aus dem Jahr 1712 zeigt den Prospect von dem großen und herrlichen Tempel der Mosque des großen Sultan Ahmed zu Constantinopol, 24 mal 21 Klafter im Grundriss, wie die handschriftliche Notiz am unteren Bildrand verrät. Darüber erheben sich sechs Minarette 21 Klafter hoch in den Himmel. Urheber der ins Büttenpapier gekratzten Federzeichnung ist Johann Bernhard Fischer von Erlach, der das barocke Wien und Salzburg in einem Ausmaß prägte wie kein anderer seiner Zeit.

Diesem wissbegierigen, fernwehgeplagten Seelenanteil des bekannten Barockarchitekten, der nur zwei Jahre nach Erstellung dieser Zeichnung den Wettbewerb zum Bau der Wiener Karlskirche gewann, widmet das wiedereröffnete Wien-Museum nun seine erste Wechselausstellung im vierten Stock: Fischer von Erlach. Entwurf einer historischen Architektur.

„Man weiß bislang sehr wenig über die Privatperson Fischer von Erlach“, sagt Kurator Andreas Nierhaus, der die Ausstellung mit dem Wiener Bildhauer und Fotografen Werner Feiersinger gestaltete. „Aber dafür umso mehr über seine Weltoffenheit, mit der er neue, fremde, exotische Bautypologien in fernen Ländern studiert und sich in sie regelrecht hineinvertieft hat.“

Im Alter von 14 Jahren bekam Fischer von Erlach ein Stipendium, mit dem er nach Rom ging, wo er zeitgenössischen Architekten wie Bernini und Borromini über die Schulter blickte.

Aus dieser Zeit speist sich seine Vorliebe für das mitunter bizarre Wechselspiel aus konvexen und konkaven Formen, die sich in seinen späteren Bauten immer wieder finden. Auch die Cestius-Pyramide, errichtet im Jahr zwölf vor Christus im antiken Rom, hat es Fischer von Erlach angetan. Obwohl dies die einzige Pyramide ist, die er je zu Gesicht bekommen hat, lässt ihn die Form in seinen Zeichnungen, Entwürfen, Skulpturen nie mehr los.

Macht der Worte

Im Zentrum der Ausstellung steht jedoch Fischer von Erlachs titelgebendes Buch Entwurff einer historischen Architectur, an dem er rund 20 Jahre lang arbeitete und das er 1721 herausgab. Eines der wenigen weltweit noch erhaltenen Exemplare, acht Kilogramm schwer, ist als gebundenes Werk wie in losen Schautafeln im Wien-Museum ausgestellt. Und der reichlich illustrierte Vorgänger des Coffeetable-Books, der sich dereinst als Bestseller mit zweiter Auflage und diversen Raubkopien herausstellte, hat es in sich – mit all seinen Moscheen, Schreinen, Tempeln, persischen Pavillons und chinesischen Pagoden, vor allem aber mit der Macht seiner Worte.

„Wann auch die in Zeichnungen sich übende Gelegenheit gewinnen, den Geschmack der Landes-Arten, (welcher, wie in den Speisen, also auch so zu reden in Trachten, und im Bauen ungleich ist) gegen einander zu halten, und das Beste zu erwählen, anbey zu erkennen, daß im Bauen zwar etwas auf eine Regel-lose Gewohnheit ankomme“, ist im Vorwort zu lesen, „wo man einem jeden Volke sein Gutdunken so wenig abstreiten kan, als den Geschmack.“

Oder wie der Kurator es zeitgenössischer formuliert: „Fischer von Erlach war mehr als bloß Architekt, Bildhauer und Erschaffer von pausbäckigen Engeln im Dienste der Kirche, als der er oft dargestellt wird“, sagt Nierhaus. „Er war der Erste, der es geschafft hat, einen fast globalen Überblick über Architektur und Baukultur zu geben, und zwar offen und neutral, ohne Klischees, ohne Wertung, ohne irgendjemandem etwas abzustreiten.“

Obwohl er selbst lediglich Rom, Berlin und England besuchte, scheute er weder Kosten noch Mühen, um an Zeichnungen und Planungsmaterial zu gelangen. Manchmal passte er Expeditionen ab, wie beispielsweise jene Gruppe von schwedischen Gelehrten, die auf dem Weg aus Palmyra im heutigen Syrien, Halt in Wien machten, um von ihnen abzuzeichnen und zu lernen.

Neuentdeckung

Aus dieser Perspektive lassen sich die 25 heute noch erhaltenen Bauwerke Johann Bernhard Fischer von Erlachs – darunter auch die Wiener Karlskirche – neu betrachten.

Beispielsweise als globale Collage aus Sultan-Ahmed-Moschee, Forum Romanum, Trajanssäule und der im 16. Jahrhundert errichteten Kirche Santa Maria di Loreto. In Zeiten von postnationalsozialistischen Kanzleramtsanwärtern und tiefblauer Daham-statt-Islam-Politik lohnt die Neuentdeckung des Fischer von Erlach. Bis 28. April

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