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«Borromania» am Ceresio
Neue Zürcher Zeitung

Ausstellung «Magistri Ticinesi» in Bissone

14. Oktober 1999 - Roman Hollenstein
Die dem jungen Borromini gewidmete Schau im Museo cantonale d'arte in Lugano zählt mit ihrem hohen wissenschaftlichen Anspruch zu den schwierigeren Architekturausstellungen der vergangenen Jahre. Dass ausgerechnet sie breite Besucherkreise anlocken würde, hätte an der Vernissage niemand zu prophezeien gewagt. Es liegt wohl an Mario Bottas verführerischem Holzmodell von San Carlino, dass schon in den ersten drei Wochen mehr als 50 000 Besucher in die Ausstellung drängten. Gleichsam als Fortsetzung dieser Schau versteht sich die Ausstellung über die «Magistri ticinesi di Bissone» im Oratorio di San Rocco in Bissone, mit der sich der Borgo am Ceresio, in dem Borromini vor 400 Jahren geboren wurde, als Wiege grosser Künstler feiert.

Im Zeichen der allgemeinen «Borromania» zieht diese kleine, informative Schau, die eigentlich für ein lokales Publikum gedacht war, nun ebenfalls Scharen von Besuchern an. Eine kurze Einleitung thematisiert das soziokulturelle Phänomen der seit dem Mittelalter europaweit tätigen Tessiner Künstler und Architekten. Daneben bieten historische Stiche der römischen Hauptwerke Borrominis gleichsam eine visuelle Erweiterung der Luganeser Frühwerk-Ausstellung. Vier Videos beschwören ausserdem in einem endlosen Bilderreigen das künstlerische Potential des einstigen Fischerdorfs. Schon im 15. Jahrhundert brillierten Domenico Gagini und sein Sohn Antonello als Bildhauer in Palermo. Als virtuoser Maler in der Nachfolge Van Dycks war Valerio Castello, ein Zeitgenosse Borrominis, in Genua tätig. Wenig später begab sich Carpoforo Tencalla über Bergamo ins Habsburgerreich, wo er als Erneuerer der Freskenmalerei bedeutende Zyklen für die Schlösser Esterhazy in Eisenstadt und Trautenfels in Pürgg sowie für mehrere Wiener Kirchen schuf.

Zu erwähnen wären noch viele andere Künstler aus Bissone, die in Spanien und Russland, in Sizilien und Skandinavien ihr Glück suchten - von den Renaissancearchitekten Battista da Bissone und Bernardino Furlano bis hin zu Giacomo Pario, Giovanni Falconi, Stefano Maderna oder Santino Bussi. Die Ausstellung, als deren Begleitpublikation das soeben erschienene Bändchen «Bissone» der Schweizerischen Kunstführer dienen kann, gibt eine Vorstellung von der «Emigrazione artistica» und vermag als «virtuelle Kunstreise» die Luganeser Borromini-Schau auf leichtverständliche Art zu ergänzen.


[ Bis 18. Dezember, Dienstag bis Freitag 13.00-17.30 Uhr; Samstag und Sonntag 10.00-16.00 Uhr. - Ivano Proserpi: Bissone (ital. mit dt. und engl. Zusammenfassung). Schweizerischer Kunstführer GSK. Hrsg. Gesellschaft für Schweizerische Kunstgeschichte, Bern 1999. 56 S., Fr. 11.-. ]

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