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Das Röhren des Jahrhunderts
Der Standard

Zünd-Up, die subversivste heimische Architekturgruppe der 60er-Jahre, erfährt eine späte Würdigung

7. Dezember 2001 - Ute Woltron
Man schrieb das Jahr 1969. An der Wiener Hochschule für Technik war wieder einmal ein Sommersemester angebrochen, und mit ihm näherten sich die alljährlichen Entwurfsübungen für Studenten der Architektur ihrem Ende, was zugleich den Beginn der großen Ferien markierte. Zuvor mussten die zuständigen Professoren und ihre Assistenten den Architekturstudenten allerdings noch die üblichen Lösungsvorschläge für die üblichen Problemstellungen des Bauens abringen. Das Institut für Gebäudelehre von Karl Schwanzer, der intern nur als Karl der Große firmierte, forderte seine Studenten beispielsweise mit gebotener Technikernüchternheit auf, eine „Parkgarage am Karlsplatz“ zu entwerfen, um „die augenblicklich schlechte Verkehrssituation im Bereich Innere Stadt Wien zu verbessern“.

Es war, wie gesagt, das Jahr 1969, das hier sommerlich reifte, und irgendwie wollten akademische Themenstellungen wie diese nicht ganz in das Weltbild einer Gruppe von vier Studenten passen. „die funktionelle, technische bearbeitung eines entwurfsprogramms rationalisiert sichtlich die unfähigkeit zu tatsächlicher ideen- und phantasienproduktion“, lästerten sie provokant, und, wie es sich damals gehörte, schriftlich und in Form eines Pamphlets. Gezeichnet war es mit dem Namen Zünd-Up, und unter diesem Titel baten die Herren Bertram Mayer, Michael Pühringer, Hermann Simböck und Timo Huber Professor Schwanzer wenig später in die Wiener Tiefgarage Am Hof. Dort unten wollte man ihm die vollendete Entwurfsarbeit präsentieren, und Karl der Große stieg tatsächlich am 28. Juni des Jahres freiwillig in die Düsternis des Parkhauses hinab.

Unten fand er sich, wie das Licht von den Motten, sogleich von 40 Harley-Davidson-Rittern in Aktion umschwärmt wieder. Lärm und Abgasgestank müssen grandios gewesen sein. Karl der Große wurde zum lebenden Beweis seiner Würde, er fackelte nicht lange, erklomm den Sozius einer der Maschinen und wurde zu einem - heute würde man sagen: Joyride durch die unterirdischen Parkräumlichkeiten entführt. Er umrundete hurtig die an diesem unkonventionellen Abgabeort aufgebauten Entwurfsübungen und donnerte unter anderem auch an „The Great Vienna Auto-Expander“ vorbei, mit dessen motorisch-psychedelischer Hilfe der Benutzer „das Röhren des Jahrhunderts“, also den ultimativen Motorenlärm, zu erleben können sollte.

Zünd-Up wurde mit dieser Aktion sofort zur Architekturlegende, und gewissermaßen sind die vier Exstudenten das bis heute geblieben. Im Gegensatz zu anderen Architekturrevoluzzern ihrer Zeit, zu Coop Himmelb(l)au oder den Haus-Ruckern, zerfiel die Gruppe bald wieder, und man kann nicht leugnen, dass diese Art der Konservierung eine gewisse Frische garantiert. In den paar Jahren, die man zusammen aktionistisch verbracht hatte, wurden Konventionen abgefackelt, brannten Ideen und Visionen. Eine neue Publikation, sorgfältig von der Wiener 60er-Architektur-Spezialistin Martina Kandeler-Fritsch herausgegeben, schürt die alte Zünd-Up-Glut, und tatsächlich fliegen noch Funken, wenn auch nicht mehr ganz so hoch. Eine Aufarbeitung der kurzen, intensiven Geschichte der Gruppe war längst angesagt - genial nach wie vor die Collagen von Timo Huber, erfreulich auch die Zusammenstellung der verschiedenen Zünd-Up-Manifeste.

„Unser Ansatz war ein politischer“, sagt Timo Huber heute. Wer die aktuellen jungen, scheinbar wilden Architekten mit ihren 60er-Ahnen vergleicht, der möge einen Kontrollblick in dieses Buch werfen und überlegen, ob ähnliche Radikalitäten heutzutage auch nur irgendwo ansatzweise zu verspüren sind: „(...) weg von den einfamilienhausweiden, dem komfortgreuel, der rücksichtslosen demonstration von pekuniärer potenz, dem klassenbewusstseinsgartenzwerg. wer baukunst sagt, wird erschossen. dieser stil ist sehr ästhetisch. diese ästhetisch geschwungenen formen. diese ästhetische materialentsprechung. scheißen sie bitte ästhetischer. (...)“


[Martina Kandeler-Fritsch (Hg.), Zünd-Up. öS 491,80/
EURO 34,76/270 Seiten, Springer, Wien New York 2001.]

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