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Gebaute Museumsreform
Neue Zürcher Zeitung

Eine Ausstellung in Wien

18. September 2000 - Gabriele Reiterer
Der erste Museumsbau an der Wiener Ringstrasse wurde zu einem Vorbild für nachfolgende Kunstgewerbemuseen in Europa. Zwischen 1868 und 1871 errichtete Heinrich von Ferstl zusammen mit Rudolf von Eitelberger das k. k. Museum für Kunst und Industrie. Nach dessen provisorischer Unterbringung in der Hofburg war der anfängliche Plan einer Verbindung des Kunstgewerbemuseums mit den Hofmuseen an prominenter Lage gescheitert. Das Haus entstand am Stubentor, einem ehemaligen Exerzierplatz und zukünftigen Stadterweiterungsgebiet.

Beim verwirklichten Plan handelte es sich um Ferstls zweiten Entwurf. Das Museum stand von Anbeginn an unter zweckorientierter Prämisse. Die Produkte angewandter Kunst wurden nicht nur ausgestellt, sondern mit deren Herstellung und Gebrauch in Verbindung gebracht. Die Dreieinigkeit von Kunst, Wissenschaft und Industrie bestimmte - ganz im Sinne der Semper'schen Reformen - das Wiener Kunstgewerbemuseum. Die Architektur trug dem neuen künstlerischen Utilitarismus Rechnung. Ferstl kombinierte Renaissance-Elemente mit einer Glas-Eisen-Konstruktion. Die angrenzende Kunstgewerbeschule, ebenfalls von Ferstl ausgeführt, stellte die Pädagogik als Teil der Museumsreform des 19. Jahrhunderts ins Zentrum und spiegelte den Wiener Kulturliberalismus der zweiten Jahrhunderthälfte.

Die von Rainald Franz betreute, sorgfältig gestaltete Schau im Wiener Museum für angewandte Kunst (MAK) dokumentiert die Baugeschichte des Wiener Kunstgewerbemuseums. Allerdings wäre für diesen im Kontext der Museumsarchitektur so wichtigen Bau ein grösserer Ausstellungsrahmen wünschenswert gewesen: So hätte das MAK seiner eigenen architektonisch-konzeptuellen historischen Vorreiterrolle mehr Bedeutung beimessen können.


[Die Ausstellung im MAK dauert bis zum 29. Oktober. ]

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