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Neue Zürcher Zeitung

Das 3. Architektursymposium Pontresina

19. September 2000 - Roderick Hönig
In Pontresina fand vom 13. bis zum 15. September zum dritten Mal das internationale Architektursymposium statt. Wie schon in den Vorjahren versammelten sich Stararchitekten und ihre Gäste im Kongresszentrum Rondo: Hans Kollhoff, Jean Nouvel und Toyo Ito waren dieses Jahr mit von der Partie. Auch Massimiliano Fuksas hätte zur illustren Runde gehört, wenn ihm nicht ein «unverrückbarer Termin im Engagement für die Architekturbiennale in Venedig», so die offizielle Mitteilung, einen Strich durch die Rechnung gemacht hätte. Trotz der Absenz des italienischen Biennaledirektors (für den offensichtlich kein ebenbürtiger Ersatz gefunden wurde) hatte man erwartet, dass die angereisten drei Schrittmacher der Gegenwartsarchitektur genügend Diskussionsstoff zum Thema «Global city versus local identity» lieferten. Doch anders als bei den letzten Symposien wollten die durch die einzelnen Vorträge erzeugten Assoziationsflüsse nicht so recht zum grossen Gedankenstrom zusammenfinden - die Architekten gingen zu frei oder gar nicht auf das Thema ein.

Hans Kollhoff beispielsweise sprach über Bilder. Das zweidimensionale bildhafte Sehen löse zunehmend die dreidimensionale körperliche Wahrnehmung ab, stellte er fest. Vermarktungsbilder und spektakuläre Architekturfotos seien heute wichtiger als der Bau selbst. Er fordert deshalb, dass sich die Architektur aus dem Kunstdiskurs ausklinke und wieder dem Nutzer und dem Passanten diene. Während der polemische Auftritt und die traditionalistische Architektur Kollhoffs noch für eine Protestwelle beim Publikum und damit auch für eine Diskussion sorgten, blieb es bei den nüchternen und einfallslosen Werkschauen von Nouvel und Ito eher ruhig im Saal: Nouvel elektrisierte mit der ausgedehnten Präsentation seines Kunst- und Kulturzentrums Luzern höchstens noch Gäste aus dem Ausland, und Ito begann seinen Vortrag tatsächlich mit seinem «Turm der Winde» in Yokohama, ein Projekt aus dem Jahre 1986, das jede Architekturzeitschrift mindestens schon einmal publiziert hat.

Immerhin erfüllte sich teilweise die Hoffnung, durch die Vorträge der von den Stars eingeladenen Koreferenten unerwartete Anstösse zu bekommen: Itos Gäste Yoshiharu Tsukamoto und Momoyo Kaijima fesselten mit ihrer Studie über skurrile Bauten in Tokyo, die unter dem hohen baulichen Druck und den fehlenden Regulativen entstanden sind. Das junge Architektenteam zeigte beispielsweise ein «Betonmischerwohnhaus» oder eine Abwasseraufbereitungsanlage mit Sportplätzen auf dem Dach. Doch auch dieses Referat hatte mit dem eigentlichen Thema der Veranstaltung nichts zu tun, sondern faszinierte vor allem durch den Einblick in eine für die meisten Europäer unverständliche, exotische Welt.

Nach dem dritten internationalen Architektursymposium Pontresina stellt sich deshalb dringend die Frage nach der Struktur: thematisch oder nicht thematisch? Wenn ja, wie bringt man viel beschäftigte Stars dazu, nicht nur von ihren aktuellen Projekten zu erzählen, sondern sich gewissenhaft auf das gestellte Thema vorzubereiten? Vor allem diese Fragen müssen die Organisatoren lösen, wenn sie nicht wollen, dass der «Architekturgipfel» nach dem verheissungsvollen Start zu einem jährlichen Sehen-und-gesehen-Werden in Pontresina verkommen soll.


[Unter www.hochparterre.ch findet man Zusammenfassungen der Vorträge sowie Kommentare.]

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