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Kontemplative Inseln
Der Standard

Wenige Orte entziehen sich im internationalen Kuriositätenkabinett der Expo Hannover dem Lärm und der Bilderflut des Jahrmarkts der Eitelkeiten.

5. August 2000 - Franziska Leeb
Sehen, staunen, feiern" lautet ein Titel in einem PR-Magazin zur Weltausstellung in Hannover. Ja, es gibt einiges zu sehen und zu bestaunen, was es zu feiern gibt, ist nicht ganz klar. Die als Rekord-Expo angekündigte Schau in Hannover versprach unter dem Titel „Mensch - Natur - Technik“ Modelle für die Zukunft, für eine bessere Welt. Man erwartet sich also keine Sensationen, sondern Inhalte. „Nachhaltigkeit“ heißt das Zauberwort. Nachhaltig bleiben einem jedoch vor allem der nervtötende Sound der allgegenwärtigen Blasmusikkapellen im Ohr und die virtuellen Geisterbahnen der bildüberfluteten Themenausstellungen im Auge. Wenn das ein Ausblick auf die Zukunft ist, dann heißt es Baldriantropfen zur Beruhigung horten.

Nur wenige Orte bieten auf dem 160 Hektar großen Areal ein Umfeld zum Aufatmen. Einer davon ist der finnische Pavillon des Architektenehepaars Sarlotta Narjus und Antti-Matti Siikala. Zwei lange Riegel mit Fassaden aus thermisch präpariertem Holz - einem innovativen und angeblich höchst dauerhaften Naturwerkstoff - und Schmalseiten aus siebbedrucktem Glas umschließen einen lauschigen Birkenhain. Ökologische Überlegungen und energiesparende Technologien sind Teil des Konzeptes und entsprechen dem Thema der Expo. Ein Ökoschmäh, wenn man bedenkt, dass Birken, Moos und Gestrüpp des „echten“ Waldes eigens aus Lappland angekarrt wurden - vermutlich nicht mit Pferdegespannen. Dennoch ist das so genannte „Windnest“ eine der wenigen Inseln der Ruhe. Es kann auch architektonisch überzeugen und wird nach beendeter Ausstellung für eine neue, noch nicht klar definierte Nutzung weiterbestehen.

Weiterverwendet werden soll auch der „Christus Pavillon“, ein Gemeinschaftprojekt der evangelischen und katholischen Kirche. Die Hamburger Vielbauer von Gerkan, Marg und Partner (gmp) verstanden es bravourös, traditionelle Elemente der Sakralarchitektur in eine zeitgemäße Architektur zu transponieren und schufen eindrucksvolle Raumfolgen von großer Würde. Die pulverbeschichtete Stahlkonstruktion beruht auf einem modularen Raster von 3,40 x 3,40 x 3,40 Meter. Das einfache, fein detaillierte Baukastensystem kann leicht zerlegt werden und soll nach seinem Expo-Auftritt im thüringischen Zisterzienserkloster Volkenroda wieder aufgebaut werden. Eine Kolonnade schirmt den Vorhof der Anlage vom hektischen Treiben auf der Expo-Plaza ab. Herzstück des Ensembles ist die zentrale Hallenkirche, deren Hülle aus dünnen, transluzenten Marmorplatten für mystisches Licht im Innenraum sorgt. Umfasst wird diese Kathedrale der Kontemplation von einem 6,80 Meter hohen Kreuzgang, dessen Glasfelder mit symbolträchtigen Materialien aus den Bereichen Natur und Technik aufgefüllt sind. Baumscheiben und Zahnräder, Torf und Mikrochips, Mohnkapseln und Injektionsspritzen erzeugen konträre Bildpaare, die eine abstrahierte Technologiegeschichte erzählen und zum Nachdenken anregen.

Nur scheinbar ohne Technik kommt der gewiss konsequenteste und radikalste Beitrag zur Expo aus. Der Schweizer Pavillon von Peter Zumthor besteht vor allem aus übereinander geschichteten Balken aus Nadelhölzern, die auf der Expo zum Trocknen lagern und danach unbeschädigt als Baukonstruktionsholz weiterverwendet werden sollen. Doch wie der Schweizer Baukünstler sie stapelt! Ein raffiniertes Muster ergibt der Rhythmus der dünneren, quer zu den Hauptbalken liegenden Stapelhölzer, ausgeklügelt die Befestigung und Sicherung der ohne Schrauben oder Dübel aneinander gefügten, luftigen und duftenden Wandscheiben. Im Fundament verankerte Zugstangen mit Stahlfedern geben die notwendige Stabilität und machen das Schwinden des Holzes mit. Balkenlagen in Deckenhöhe sorgen für die Quersteifigkeit. Wie bei keinem anderen Pavillon entsprechen hier einander Form und Inhalt. Musiker bringen den „Klangkörper Schweiz“ zum Tönen, das Personal erfreut das Auge in Uniformen von Ida Gut, Gastronomen sorgen auf hohem qualitativen Niveau für das leibliche Wohl. Kurzum eine beeindruckende Integration von Kunst, Sinnlichkeit, Tradition und Schweizer Lokalkolorit, die der allgegenwärtigen Reizüberflutung wohldosierte Sinnesreize entgegensetzt.

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