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Muss Denkmalschutz Ahnenkult bedeuten?
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Sabine Oppolzer ist der Frage nachgegangen, welche Bauten des 20. Jahrhunderts von Experten und der öffentliche Meinung als schützenswert erachtet werden.

3. Oktober 2000 - Sabine Oppolzer
Im Denkmalschutz gilt: 100 Jahre Baualter genügen bei einem Gebäude, um die Gemüter zu rühren. Beträgt das Baualter allerdings 30 bis 80 Jahre, dann wird es kritisch. Die Öffentliche Meinung ist sich nicht einig darüber, was schützenswert ist und was nicht. Die Erhaltung und Rettung von Gebäuden des 20. Jahrhunderts ist Zufällen und vor allem Privatinitiativen überlassen.


Saniertes Sanatorium

Eines der wohl bekanntesten Beispiele, das erst in den letzten Wochen wieder in den Medien auftauchte: Das 1904 von Josef Hoffmann errichtete Sanatorium Purkersdorf. Der seit Jahrzehnten leer stehende und verfallende Bau wurde 1991 von dem Bauunternehmer Walter Klaus gekauft und quasi aus privater Liebhaberei außen renoviert. Derzeit überlegt die Gemeinde eine Nutzung des berühmten Baus als Kulturzentrum. Bereits für den Spätherbst hofft man auf den Beginn der Innenrenovierung.


„Neue Bauten“ schützen

Die Denkmalpflege von Bauten des 20. Jahrhunderts war lange kein Thema. Erst mit der Renovierung der Werkbundsiedlung zu Beginn der 80er Jahre nahm sie die Öffentlichkeit als neue Problemstellung wahr. Die zu Beginn der 30er Jahre vom Werkbund als Sprachrohr des „Neuen Bauens“ konzipierte Schausiedlung war von internationalen Architekten errichtet worden.


Experimentierfreudige Moderne

Die Renovierung übernahmen die österreichischen Architekten Otto Kapfinger und Adolf Krischanitz. Fenster und Fassaden an zeitgemäße Wohnbedürfnisse anzupassen, stellte die Architekten vor ein komplexes Problem.

Schwierigkeiten also, die für fast alle Bauten der Moderne Gültigkeit besitzen, wie Architekt Otto Kapfinger meint: „Bei diesen Bauten der klassichen Moderne gibt es fast nichts mehr an Gestaltung, sondern nur mehr glatte Flächen und besonders sorgfältig ausgewogene Proportionen. Das betrifft auch die Tiefe von Vorsprüngen und Fensterleibungen und wenn man das mit modernen Dämmfassaden einpackt, dann verändert sich diese ganze Proportion. Das Wenige, was an Gestaltung noch da ist, kippt dann in die Unkenntlichkeit.“

Typisch für die klassische Moderne war auch die Einfachverglasung, die nicht einfach durch die von den Bewohnern heute gewünschte Isolierverglasung ersetzt werden kann. Durch die doppelte Spiegelung geht die Offenheit dieser Bauten verloren. Diese Frage zeigt, wie viel Wissen um die Ziele der Moderne und jedes einzelnen Architekten die Renovierung eines solchen Baus verlangt.


Moderne war nicht Schwarz-Weiß

Zumeist wird auch die Farbigkeit dieser Zeit kaum wahrgenommen. Durch das Fehlen der Farbfotografie wurde die klassiche Moderne international vor allem in Schwarz-Weiß-Tönen rezipiert.

Irrtümlicherweise, wie Architektur-Publizist Walter Tschokke ausführt: "Le Corbusier selbst spricht davon, dass er die Farben erst im Rohbau festgelegt hat und dann zum Beispiel Decke und Wände ganz minimal differenziert. Das muss ich einfach wissen: Wenn jemand im Kopf hat, „die Moderne war weiß“, dann ist das einfach falsch."


Sisyphosarbeit Renovierung

Die Renovierung mit Originalverputzen gleicht einer Sisyphosarbeit, denn die Architektur des „white cube“ ist durch die Temperaturschwankungen in unseren Breiten extrem anfällig. Otto Kapfinger: „Beispielsweise das berühmt Haus Gammering am Attersee. Um es in seinem Originalzustand zu halten, muss es alle zwei Jahre gestrichen werden, weil es Anflüge von Mikroorganismen, (Moos, Schimmel, etc. ) gibt. Das heißt, das ästethische Ideal der 20er Jahre verträgt sich sehr schlecht mit unseren klimatischen Gegebenheiten.“

Während es heute leicht ist, für die Bewahrung eines beliebigen Gründerzeithauses breite und emotional gestützte Zustimmung zu erhalten, gleicht die knapp eine Generation zurückliegende Zeit einer Terra incognita. Erst die Enkel sind bereit, in den Arbeiten der Großväter Beispielhaftes zu sehen. Denn nur die zeitliche Distanz scheint die sachliche Beurteilung solcher Bauten zu ermöglichen.


Postmoderner Abbruch

Zerstört wurde zum Beispiel das Franz-Domes-Heim der Wiener Arbeiterkammer, das von Roland Rainer am Beginn der 50er Jahre erbaut worden war. Ein Haus, das all den sozialen Hoffnungen eines gesunden, hellen und freundlichen Heimes für Lehrlinge entsprach. Ein Haus, bei dessen Eröffnung Theodor Körner sagte, es sei ein Zeichen des Aufbruchs, ein Zeichen der Zeit.

An seine Stelle ist in den 80er Jahren ein Bildungs- und Kulturzentrum im so genannten ortsüblichen „Schönbrunner-Stil“ getreten. Eine gewaltsame und kostspielige Demonstration postmoderner Architektur, die nicht ohne Kritik blieb.


Nationalstolz Stadthalle

Diskussionen gab es auch um die ebenfalls von Roland Rainer errichtete Wiener Stadthalle: der Stolz der Nation in den 50er Jahren. Wie Kritiker anmerken, wird dieses Bauwerk im Zuge einer dem so genannten Publikumsgeschmack entsprechenden „Modernisierung“ sukzessive durch Dekoration zerstört.


Der Diskurs entscheidet

Der Prozess der Wertschätzung der Bauten der jüngeren Architekturgeschichte ist längst nicht abgeschlossen, wie Walter Tschokke meint: „Dieser Diskurs ist natürlich nie abgeschlossen und für die Moderne erst recht nicht.“ Für Walter Tschokke ist eine Einschätzung einzelner Bauten keineswegs Sache des Denkmalamtes, sondern des öffentlichen Diskurses.

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