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Captain Kirk baut in Meidling
ORF.at
8. August 2000 - Roland Schöny
Die Poor Boys sind die am längsten bestehende Gruppe der so genannten „zweiten Generation“ junger Architekten: Sie kommen aus der Klasse der ersten Generation von Gruppen und haben bei Wolf Prix von COOP Himmelblau ihre Diplome gemacht. Als Gruppe zusammengeschlossen haben sie sich Anfang der 90er Jahre und nach einem Jahrzehnt der Zusammenarbeit wollen sie ihre bisherige Struktur lösen und unabhängig von einander in verschiedenen Feldern weiterarbeiten.

Zunächst zurück zu den Anfängen, bzw. zur Basis des Nachdenkens über Architektur. Beides geht Hand in Hand. Denn als im Jahr 1991 eine Gruppe von jungen Architekten den Entschluss fasste, unter dem Label „Poor Boys Enterprise“ aufzutreten und ein Denklabor für Experimente und Forschungen im Stadtraum zu begründen, zeichnete sich eine breite Unsicherheit in den gängigen Architekturdiskussionen ab.


Post- oder Zweite Moderne?

Die entscheidenden Bereiche zeitgenössischer Architektur, die - bis hinein in Philosophie-Diskussionen - zu einander in Konkurrenz standen, hießen Postmoderne und Zweite Moderne. Oder anders gesagt: Eine mit verschiedenen Zitaten aus der Geschichte aufgeladene Erlebnis-Architektur einerseits und klare, sachlich strukturierte Bauten auf der anderen Seite.

Maßgebliche Symposien zu dieser Zeit wurden mit Schlagworten wie „Architektur am Ende?“ oder „Architektur im Aufbruch?“ betitelt. Da war es naheliegend, nach Vorstellungen und Definitionen von Architektur zu suchen, die ganz unmittelbar mit dem Leben in einem Stadtteil, mit Recycling von Materialien oder mit der Umgestaltung vorhandener Bausubstanz hatten.

Die Architektur von innen heraus denken, wie das später mit einem Schlagwort hieß. Florian Haydn von den Poor Boys präzisiert: „Ob das jetzt ein Fest war, oder ein Herumflanieren und reden über Stadt, wir haben zum Beispiel eine Zeitschrift herausgegeben, wo nur wir die Leser und Redakteure waren. Das war wie ein erweitertes Studium.“


Das Salz der Architektur

Das sollte grundsätzlich in Frage gestellt werden - sprachlich, diskursiv und poetisch: Bewusstseinskur heißt es in einem der Texte der Poor Boys: „Ein Monat kein Salz, nun spürst Du, wo das Salz drinnen ist - und ob Du es brauchst. Hauslernen - Zusammenhänge verstehen“. Sich also von Informationsflut und Übersättigung mittels Ideologie befreien wollten die Poor Boys Enterprise. Manche der Texte scheinen sprachliche Sedimente aus dem Sinnlichkeitsanspruch der Alternativkultur zu haben, zugleich erzählen sie von einer genauen Kenntnis stadtplanerischer Strategien.

Aber die Poor Boys Enterprise ist auch ein Kind der Populärkultur der 70er und 80er Jahre, wie Poor Boy Ernst J. Fuchs ausführt: „Alle haben wir eine Beziehung zu Raumschiff Enterprise, einer Serie, die wir damals geliebt haben. Da ist uns einfach das Wort Enterprise nahe gelegen. Die Poor Boys haben mit den 80er Jahren zu tun, wo das Wirtschaftswachstum eher stagnierte.“


Abseits der Postkartenmotive

Der spätere Kern der Poor Boys bestand aus Marie Therese Harnoncourt, Ernst J. Fuchs und Florian Haydn. Eines der Parade-Beispiele für die Umsetzung von Beobachtungen und Recherchen im Stadtraum war das Projekt „97 Stühle“ 1993 in New York und Wien. Ausgangspunkt war die Frage nach spezifischen Definitionen einer Stadt. Marie Therese Harnoncourt: „Wenn man in einer Stadt lebt, sind es nicht die Postkartenmotive, die für einen die Stadt ausmachen.“ Charakteristisch für New York ist der auf die Straße gestellte Unrat, mitunter diverse Möbelstücke, die nicht mehr gebraucht werden und auf Boulvards oder in Hauseingängen herumstehen.

Also erbarmten sich die Poor Boys der in der Stadt herumstehenden Stühle, die schließlich zu Studienobjekten wurden, um über Design und Funktion von Gegenständen nachzudenken. Aber auch Begriffe wie Innenraum, Geschichte oder die Nutzung öffentlicher Flächen wurden zu Themen. Letztlich wurden die Stühle in einem Container nach Wien transportiert, um ihnen eine neue Funktion zu geben. Im Rahmen eines Festes auf einem Garagendach wurden sie weitergegeben an Künstler und andere Interessierte. Der Künstler Heiko Bressnik entdeckte darin eine interessante Malvorlage und Edgar Honetschläger verwendete einen der Stühle für ein Fotoprojekt mit Japanern und Japanerinnen, das auf der documenta X zu sehen war.


Alternative Stadtraumanalyse

Es wurden also Gegenstände, Räume und Funktionen hinterfragt. Durch scheinbar so nebensächliche Dinge wie eine Bar im Container gelang es für kurze Zeit, die übliche Definition einer bestimmten Zone im Stadtraum zu verändern. Wesentlich offensiver war eine Aktion bzw. eine Installation der Poor Boys Enterprise mit dem Titel Hirnsegel. Die Bezeichnung ist eine der typischen Wortkreationen der Poor Boys: ein Zwischending zwischen Alternativjargon und Stadtraumanalyse.

Der Ort des Geschehens befand sich unter der Eisenbahnbrücke des Wiener Südtirolerplatzes, ein Stück städtischer Peripherie unweit von den so genannten Innenbezirken. Über der Brücke hing dann ein Riesenplakat mit dem Titel „Hirnsegel“. Der Raum darunter wurde in eine temporäre Zone für Kulturveranstaltungen verwandelt.

Das alles sind Projekte, die aus der fast privilegierten Situation heraus entstanden sind, nicht bauen zu müssen. Das Ergebnis ist ein umfangreiches Repertoire an Denkfiguren und Refelxionsmöglichkeiten über die Stadt der Gegenwart.


Meidlinger Wohnträume

Gabaut haben die Poor Boys aber auch - neben der Teilnahme an zahlreichen Wettbewerben. Nicht nur ihr Entwurf für die Bebauung der Gründe der Kabel- und Drahtwerke AG in Wien Meidling wurde ausgezeichnet. Auch ein Dachboden-Ausbau oder ein Hallenbad wurden in Wien realisiert. In Graz wurde bestehende alte Bausubstanz durch einen Dachaufbau in der Parkstraße erneuert. Kleinwohnungen sollten in die bestehende zerklüftete Dachlandschaft eingebaut werden.

Das Besondere an diesen Wohnungen: vorhandene Träger wurden nicht ersetzt sondern belassen, sind also in den Dachgeschoßräumen durchaus sichtbar. Das Wesentliche, neben dem Versuch, trotz beschränkter Flächen geräumig wirkende lichtdurchflutete Räume zu schaffen: Die Poor Boys haben jene in Dachhöhe gezwungenermaßen entstehenden Nischen und Kanten nicht verändert, um sie den Bewohnern zur freien Gestaltung zu überlassen.

Der Dachboden-Ausbau wurde nicht frei finanziert, sondern über geförderte Wohnbaumodelle. Also nicht das übliche Gerüst aus Finanzierung, Bauordnung und funktionalem Denken bestimmt die Entwürfe der Poor Boys, wie Florian Haydn meint, sondern die Verknüpfung der Ortsanalyse mit dem Versuch, in einem begrenzten Rahmen Utopisches zu verwirklichen. In Hinkunft wird das kaum noch unter dem Label Poor Boys passieren. Denn nach einem Jahrzehnt der erfolgreichen Zusammenarbeit gehen die einzelnen Mitglieder der Gruppe ihre eigenen Wege.

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