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Van Dyck und fette Musen
Neue Zürcher Zeitung

Neue Projekte für Antwerpens Museumslandschaft

21. Oktober 2000 - Marc Zitzmann
Es lohnt sich, in Antwerpen vom Grote Markt zum Hanzestedenplaats zu spazieren. Binnen Minuten gelangt man vom pittoresken Flandern des 16. und 17. Jahrhunderts in Europas zweitwichtigsten Hafen mitsamt den unvermeidlichen Begleiterscheinungen - torkelnde Gestalten, leichtgeschürzte Musen hinter Glas, fetttriefende Imbissstände. Auf dem Hanzestedenplaats, einem grossen Rechteck, das zwischen Altstadt und Hafen in zwei Scheldebecken hineinragt, stehen derzeit verwahrloste Büro- und Lagergebäude. In näherer Zukunft sollen sie einem ambitiösen Museum für Stadtgeschichte weichen: dem Museum aan de Stroom (MAS). Dieses dürfte ganz oder teilweise die Sammlungen des Volkskundemuseums, des Marinemuseums (Nationaal Scheepvaartmuseum «Steen») und des Fleischerhauses (Vleeshuis) übernehmen.

Voraussichtlich im Jahr 2005 soll das MAS, dessen Rohbau mindestens eine Milliarde belgische Francs kosten wird, eröffnet werden. Sieger des internationalen Wettbewerbs, an dessen Endrunde u. a. Tadao Ando und Bernard Tschumi teilgenommen haben, ist das in Amsterdam und Antwerpen etablierte Team Willem Jan Neutelings und Michiel Riedijk. Die beiden niederländischen Architekten haben einen quaderförmigen Bau entworfen, der auf einer Grundfläche von 35 mal 35 Metern aus zehn spiralförmig übereinander gestapelten Kästen besteht. Jeder von ihnen ist ganz oder teilweise verglast: So bieten sich auf dem Weg nach oben immer wieder neue (Teil-) Ansichten der Stadt und des Flusses, bis in 53 Metern Höhe von der Dachterrasse aus das gesamte Panorama im 360-Grad-Winkel erfasst werden kann. Einige der verglasten Bereiche erstrecken sich ohne Zwischendecke über zwei Stockwerke: Dort sollen grossformatige Exponate gezeigt werden, die als Wahrzeichen der Stadt auch von aussen zu sehen sind. Zu dem rund 12 000 Quadratmeter grossen Gebäude führt ein tiefer gelegener Platz, der eine permanente Freiluftausstellung beherbergen und von fünf kleinen Pavillons für Cafés u. ä. gesäumt werden soll.

Doch ist das künftige MAS nur die spektakulärste Neuerung in Antwerpens Museumslandschaft. Auch bestehende Institutionen werden sich verändern. Das Vleeshuis etwa plant, ein Gutteil seiner Sammlung an Häuser wie das MAS oder das Museum Mayer van den Bergh (Kunst des 14. bis 16. Jahrhunderts) abzugeben. Letzteres soll, wie das jüngst wiedereröffnete Museum Smidt van Gelder, in dem Gemälde, Möbel und Porzellan aus dem 17. bis 19. Jahrhundert zu bewundern sind, von dem flämischen Architekten Stéphane Beel umgebaut und eventuell zusammen mit dem Rubenshuis, für das Beel einen eleganten Pavillon aus Glas entworfen hat, unter gemeinsame Leitung gestellt werden. Bis 2004 wird das Vleeshuis in ein dem Antwerpener Musikleben gewidmetes Museum verwandelt. Dort möchte der Konservator Karel Moens Instrumente, Gemälde und Drucke, im Kellergeschoss sogar ganze Ateliers zeigen.

Nicht zurück, sondern in die Zukunft blickt das Museum van Hedendaagse Kunst Antwerpen (Muhka). Den strahlend weissen, 1993 schon einmal vergrösserten Bau möchte der Museumsdirektor Flor Bex nunmehr ganz für Wechselausstellungen nutzen; für die rund 750 Werke umfassende Sammlung soll am nahe gelegenen Scheldeufer ein Neubau entstehen. Wegen der Nähe zum und der Aussicht auf den Fluss kann das rund 10 000 Quadratmeter grosse Gebäude weder in die Tiefe noch in die Höhe gehen: Folglich wird es lang gezogen (eventuell über mehrere hundert Meter) und eingeschossig sein, mit Glasfronten zur Schelde hin. Ein internationaler Wettbewerb dürfte demnächst ausgeschrieben werden; obwohl der flämische Kulturminister das auf 500 Millionen belgische Francs veranschlagte Projekt als «nicht prioritär» bezeichnet hat, hofft Bex, es mit Hilfe von Sponsoren bis 2004 zu realisieren.

Vielleicht angesteckt von der Aufbruchstimmung in den Antwerpener Museen hat sich auch das u. a. für seine Gemälde von Rubens und Van Dyck bekannte Koninklijk Museum voor Schone Kunsten daran gemacht, in einem auf zehn Jahre angelegten Masterplan Desiderata wie eine bessere Zugänglichkeit des Gebäudes oder die Wiederherstellung von dessen Ursprungszustand aus dem Jahr 1890 aufzulisten. Nicht ohne Hintergedanken wirft die Museumsleitung dabei einen Blick auf das 1997 renovierte Musée des Beaux-Arts in Lille, dem das in die Endrunde des MAS-Wettbewerbs gelangte Architektenduo Jean-Marc Ibos und Myrto Vitart einen Verwaltungs- und Ausstellungstrakt angefügt hat. Anekdotisch, aber vielleicht nicht nur für Touristen von Interesse sind schliesslich der anstehende Umzug des beliebten Diamantmuseums in die Nähe des Centralbahnhofs und die Eröffnung eines Olympiamuseums. Dieses ist im Wesentlichen eine Kompensation dafür, dass Antwerpen nicht wie vier andere belgische Städte die Horden und Hooligans von Euro 2000 empfangen durfte. Dafür hat der rechtsextreme Vlaams Blok bei den Gemeindewahlen vom 8. Oktober ein Drittel der örtlichen Stimmen eingeheimst. Über die möglichen Folgen dieses (einmal mehr) in den belgischen Medien als «schwarz» bezeichneten Sonntags für das Kulturleben der zweitgrössten Stadt des Landes wird gegenwärtig debattiert.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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