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Mit der 108. Arbeit im Gepäck
Mit der 108. Arbeit im Gepäck, Foto: Paul Ott
Spectrum

Kaum ein Werk ist in unserer Umwelt derart manifest wie das des Architekten. Die öffentliche Wertschätzung des Berufs ist hingegen gering. Gewürdigt werden Architekten frühestens im Greisenalter. Es sei denn, sie sterben jung - wie Herwig Illmaier. Eine Erinnerung.

8. Dezember 2001 - Karin Tschavgova
Als der in Graz tätige Herwig Illmaier im August dieses Jahres auf einer griechischen Insel beim Versuch, einen Ertrinkenden zu retten, ums Leben kam, war er ein durchaus erfolgreicher, im steirischen Raum bekannter und in Fachkreisen geschätzter Architekt. Ein längerer Bericht im Lokalteil des regionalen Kleinformats, der eher auf die tragischen Umstände seines Todes zurückzuführen ist; eine kurze Notiz in der überregionalen Presse mit der Erinnerung an sein bekanntestes Werk, eine Fußgängerbrücke über die Mur; berührende Würdigungen von Kollegen und die vage Ankündigung einer Ausstellung seiner Arbeiten - das war's.

Warum auch mehr? Herwig Illmaier lebte bis zuletzt ein ziemlich normales Architektenleben - das eines talentierten „Jungarchitekten“, als der man hierzulande noch mit ergrautem Haupt gilt, weil bedeutende Bauaufgaben und Bekanntheit sich in der Regel später als in jedem anderen Beruf einstellen.

Seine Begabung konnte er, der im Treibhausklima der Zeichensäle an der Technischen Universität in Graz geschult worden war, in der bekannt architekturfreundlichen Steiermark an der Wende zu den neunziger Jahren produktiv nützen. Die erste größere Realisierung, der Umbau und die Erweiterung der Volksschule St. Michael bei Leoben (1993 bis 1995), ist eine auf den ersten Blick sperrige, brüske Arbeit, minimalistisch und eigenständig, die sich doch bei genauer Betrachtung als sensible paßgenaue Ergänzung erweist.

In diesem Entwurf zeichnet sich deutlich der Ausspruch des großen Architekten Louis Sullivan ab: „Man sollte einmal zehn Jahre auf Ornament verzichten und sich nur mit Form auseinandersetzen.“ Illmaier machte ihn zu seinem Leitspruch und reflektierte damit auch die Architektur der Grazer Schule, die die Erfolgsstory seiner Vorväter und damit Teil seiner Geschichte war. Für den Zubau zur Schule wurde er 1996 mit dem Steirischen Landespreis für Architektur honoriert. Damals war er 39 Jahre - alt oder jung? Jung an Jahren für eine Ehrung, wenn auch sein ?uvre bereits auf die stolze Zahl von 63 angewachsen war - Projekte wohlgemerkt, realisierte und nicht realisierte Arbeiten. Bis zu seinem Tod wurden es 107, die Unterlagen für die 108. Arbeit fanden sich im Koffer für den Urlaub.

In trockenen Zahlen bedeutet das mehr als 100 verschieden große Projekte in rund 15 Jahren, davon die Mehrzahl in den zehn Jahren selbständiger Tätigkeit. Was davor lag, in der damals noch fünfjährigen Praxiszeit bis zur Ziviltechnikerprüfung und Erlangung einer Arbeitsbefugnis als Architekt, waren je ein Studenten- und Ab-solventenwettbewerb, kleinere Wohnungsumbauten und Wettbewerbsbeteiligungen unter ei- nem anderen Namen - was für Absolventen, die ungeduldig in den Startlöchern scharren, durchaus üblich ist, allerdings im rechtlosen Raum. In einem vereinten Europa, dessen Länder einen leichteren und schnelleren Berufszugang ermöglichen , scheint das Beharren der österreichischen Kammer auf drei Jahren Praxis anachronistisch.

Hinter dem Zahlenspiel steht 107mal Illmaiers intensive Auseinandersetzung mit der Planungsaufgabe, ein Eingehen auf Themen, Orte, Bauherren, Vorgaben. Dies alles in Form von Wettbewerben, Studien und Vorentwürfen, denen eine Realisierungsquote von weniger als 27 Prozent gegenübersteht. 25 Realisierungen zu 82 Ideen, die in der Schublade landen und die - zählt man nicht zu der Handvoll Architekten, die ihre „unbuilt projects“ als Zeichnungen vermarkten können - bestenfalls mit einem Vorentwurfshonorar oder als Preisgeld zu Buche schlagen. Zielstrebig und ehrgeizig, wie Herwig Illmaier war, weist seine Statistik für diesen Zeitraum mindestens 25 Wettbewerbsbeteiligungen auf.

Gedacht als faires Instrumentarium, verkamen Wettbewerbe in den letzten Jahren zu Hasardspielen. Die Verfahren sind oft schlecht vorbereitet, der Sieger kann sich ob fehlender Absichtserklärungen nicht sicher sein, daß sein Projekt umgesetzt wird, oder die Realisierung hängt in der Luft, weil Bedarf, baurechtliche Genehmigungen und Finanzierung erst danach abgeklärt werden. Nun ist ein Wettbewerb schon lange keine Fingerübung mehr, die der Architekt am Wochenende mit genialem Strich hinlegen kann. Leistungsumfang und professionelle Darstellung fordern die Kapazität eines Büros und darüber hinaus zugekaufte Fremdleistungen, in Summe mindestens 100.000 Schilling (7267 Euro) bis zu einer Viertelmillion (zirka 18.200 Euro). Es sind Investitionen mit hohem Risiko, die der Architekt zu tragen hat, neben solchen für zusätzliche Arbeitsplätze und Personal, wenn ein Entwurf unter enormem Zeitdruck umgesetzt werden muß. Dazu kommt ein hoher Vorfinanzierungsanteil, da Architekten im nachhinein honoriert werden und die Zahlungsmoral öffentlicher Bauherren immer mehr zu wünschen übrigläßt.

Herwig Illmaier konnte immerhin sechs seiner Wettbewerbe gewinnen und durfte vier davon bauen. Otto Kapfinger beschreibt ihn zu Recht als einen der besten Architekten seiner Generation in der Steiermark und charakterisiert seine Arbeiten als präzise, leicht, offen, subtil und eigenständig.

Mit den Kollegen der „dritten Generation“ von Grazer Architekten verbindet ihn, daß er keinen Wert auf eine durchgehende Architektursprache mit Erkennungsfunktion legte. An jede Aufgabe ging er mit der Neugier und Lust von Kindern heran, sah sie als neue Herausforderung. Wie die Tragkonstruktion des Augartenstegs, den er mit einer Spannweite von 74 Metern als Le ichtbauwerk bewältigen wollte. In seinem Entwurf wird eine Stahl-Holz-Konstruktion aufs möglichste minimiert, ohne in der Form minimalistisch zu sein.

Die Fußgängerbrücke zählt neben der Schule in St. Michael, der noch nicht abgeschlossenen Generalsanierung des LKH Fürstenfeld und dem Umbau des Andritzer Hauptplatzes zu den großen Bauaufgaben des Büros. Mehrheitlich waren die 25 Realisierungen Kleinstaufträge, denen sich der Architekt mit gleicher Intensität widmete. Für einen Unternehmensberater mag derartiger Zeit- und Kraftaufwand unangemessen sein, für Herwig Illmaier, der der Suche nach der Form absolute Priorität einräumte, war er Teil seines Berufsethos.

Was bleibt? Ein Schuldenberg, der den Erbverwalter der unversorgten Kinder vor eine große Aufgabe stellt; Arbeiten, die durchwegs Sensibilität und Engagement zeigen und Qualität, die sich in die Architekturgeschichte des Landes einschreiben wird; die Erinnerung an einen genußfreudigen Menschen, dessen Begeisterung für das „Lebensmittel“ Architektur ansteckend war.

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