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Weisse Stadt am Meer
Neue Zürcher Zeitung

Das Seebad Heiligendamm soll wiederbelebt werden

Wie an einer Perlenkette aufgereiht, fügen sich die Schaufassaden der Häuser Heiligendamms zu einem eindrucksvollen Ensemble an der Ostsee. Im Zentrum rahmen zwei grosse Hotels, das ehemalige Grand-Hotel und das Haus Mecklenburg, einen Platz, dessen Abschluss das klassizistische Kurhaus von Carl Theodor Severin bildet.

30. Oktober 2000 - Jürgen Tietz
Den besten Überblick über das älteste Seebad Deutschlands gewinnt man von der Seebrücke aus, die weit in die Ostsee hineinragt: In sanftem Schwung reihen sich die Fassaden der Cottages genannten kleinen Villen und führen hinüber zu den grossen Hotels und dem 1814/16 von Carl Theodor Severin realisierten Kurhaus, die das klassizistische Herz der Anlage bilden. Von hier aus wird verständlich, warum der von dunklem Wald gerahmte Ort auch «die weisse Stadt am Meer» heisst. Der Blick von der Seebrücke schafft freilich auch die notwendige räumliche Distanz, um den bröckelnden Putz und die Zeichen des seit Jahren fortschreitenden Verfalls der derzeit grösstenteils leerstehenden Gebäude Heiligendamms nicht so deutlich wahrnehmen zu müssen.


Vom Adel zum Bürgertum

Vom Vorbild englischer Seebäder angeregt, entdeckte der Herzog von Mecklenburg-Schwerin, Friedrich Franz I., Heiligendamm 1793 für sich als Seebad. Während sich das gesellschaftliche Leben in der Sommersaison zunächst im nahe gelegenen Bad Doberan abspielte, diente Heiligendamm als reiner Badeort. Doch bald schon setzte auch unmittelbar an der Ostseeküste eine rege Bautätigkeit ein. Neben Severins Kurhaus entstanden in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts die malerischen Cottages für die herzögliche Familie. Für die meisten der damals errichteten Gebäude zeichnete der vom Berliner Klassizismus beeinflusste Hofbaurat Georg Adolph Demmler verantwortlich. Auf ihn geht auch die malerische städtebauliche Komposition Heiligendamms zurück.

1843 errichtete er mit der «Burg Hohenzollern», die sich dem Kurhaus leicht nach hinten versetzt anschliesst, eines der markantesten Gebäude Heiligendamms. Der Name erinnert an die preussische Herkunft der Gemahlin des Grossherzoges Paul Friedrich. Die mit symmetrisch angeordneten Türmen im Tudor-Stil versehene Schaufassade der «Burg» erwies sich somit nicht nur als eine Reminiszenz an die Vorbilder der englischen Architektur allgemein, sondern vor allem auch als ein Rückbezug zur zeitgleichen romantisch-mittelalterlich geprägten Architekturauffassung in der Nachfolge Schinkels in Brandenburg-Preussen.

Mit dem aus wirtschaftlichen Zwängen erfolgten Verkauf des Seebades im Jahre 1873 begann dessen Wandel von der adeligen zur bürgerlichen Sommerfrische. Seinen architektonischen Niederschlag fand diese Entwicklung im Bau eines Grand-Hotels sowie einer seeseitigen Erweiterung von Haus Mecklenburg. Nach einer weiteren Blütezeit in den 1920er Jahren nahm während des Dritten Reichs zunächst die Ferienorganisation der «Deutschen Arbeitsfront» (DAF), «Kraft durch Freude» (KdF), Besitz von Heiligendamm, der während des Zweiten Weltkriegs eine Kadettenschule der Marine folgte.

In der DDR wurde Heiligendamm dann zum «Kurbad der Werktätigen» - mit einschneidenden Folgen für die Gebäude, die teilweise eine starke Übernutzung erfuhren. So wurde nicht nur das Grand-Hotel noch in den achtziger Jahren im Inneren erheblich umgestaltet. Bereits 1948/49 war die «Burg» - die als Symbol des vom Sozialismus überwundenen alten Systems galt - weitgehend umgebaut worden. An die Stelle der Türme im Tudor-Stil trat eine beruhigt klassizistische Architektur mit Walmdach. Der architektonische Wandel drückte sich auch in der Benennung des Gebäudes aus: Aus der «Burg Hohenzollern» wurde das Haus «Glück auf». Verantwortlicher Architekt für den Umbau war Adolf Kegebein, der 1930 immerhin das Wohn- und Atelierhaus von Ernst Barlach am Heidberg bei Güstrow entworfen hatte.


Problematische Revitalisierung

Nach der Wende erwarb die Kölner Fundus-Gruppe 1996 die grössten Teile Heiligendamms aus Bundesbesitz. Nach einem ersten fehlgeschlagenen Versuch, das traditionsreiche Seebad über einen Immobilienfonds wiederzubeleben, hat die Fundus-Gruppe jetzt mit der Grundsteinlegung im Frühsommer 2000 einen zweiten Versuch gestartet. Dessen erste Etappe soll 2002 mit der Eröffnung eines Grand-Hotels ihren Abschluss finden. Das geplante Hotel der Luxusklasse wird dann die historischen Einzelbauten des Kurhauses, des Hauses Mecklenburg, des ehemaligen Grand-Hotels, der «Burg» sowie eines rückwärtig gelegenen ehemaligen Orangerie-Gebäudes mit einbeziehen. Finanziert wird auch dieses Projekt über einen Immobilien-Fonds. Betreiber des Hotels wird die Kempinski AG, die schon das ebenfalls von Fundus über einen Fonds finanzierte «Adlon» am Pariser Platz in Berlin betreibt.

Während für Carl Theodor Severins Kurhaus auch im Inneren ein weitgehender Bestandsschutz besteht, werden die teilweise zu DDR-Zeiten veränderten übrigen Bauten des neuen Hotelkomplexes mit Einverständnis der Denkmalpflege im Inneren weitgehend entkernt, die Fassaden hingegen entsprechend den historischen Vorlagen restauriert. Problematisch erscheint dies im Fall der «Burg», deren Umgestaltung zur Zeit der DDR zugunsten des demmlerschen Entwurfs rückgängig gemacht werden soll. Gerade hier hätte sich die Chance geboten, einen qualitätvollen DDR-Umbau zu bewahren, der sich gut in das Gesamtensemble Heiligendamms einpasst. Zudem wäre mit dem Verzicht auf Rückbau und Rekonstruktion der «Burg» auch die wechselvolle geschichtliche Entwicklung des Seebades baulich ablesbar geblieben.

Ergänzt werden die historischen Bauten des neuen Hotelkomplexes an der Seite des ehemaligen Grand-Hotels durch den Neubau des sogenannten Hauses Severin, das unter anderem einen Wellness-Bereich beherbergen wird. Statt das denkmalgeschützte Ensemble Heiligendamms an dieser Stelle durch eine qualitätvolle und massstabgerechte zeitgenössische Architektur weiterzuentwickeln, hat sich der Investor leider für ein Gebäude mit historisierender Fassade entschieden, für dessen Entwurf mit Hentrich, Petschnigg und Partner (HPP) eines der grossen Architekturbüros aus dem Westen Deutschlands verantwortlich zeichnet.

Da das ohnehin als Zugeständnis an die Fundus-Gruppe von der Denkmalpflege Mecklenburg-Vorpommern akzeptierte Haus Severin das ursprünglich genehmigte Bauvolumen im letzten Entwurf um etwa 20 Prozent überschritt und damit die Wirkung des Ensembles entscheidend verändert, lehnte die Denkmalpflege den Bau ab. Doch die wirtschaftliche Bedeutung, die die Landesregierung dem Hotelprojekt für die Region beimisst, sorgte dafür, dass das Votum der Denkmalpflege von übergeordneter Stelle ausgehebelt und eine Baugenehmigung erteilt wurde.


Öffentliche Uferanlage

Die kleineren Cottages, die sich entlang der Ostseeküste anschliessen und die Fundus ebenfalls erworben hat, werden nicht in den Hotelkomplex einbezogen. Sie sollen stattdessen durch das Hamburger Architekturbüro von Bassewitz, Hupertz, Limbrock denkmalgerecht in hochwertige Eigentumswohnungen umgewandelt werden. Der ursprüngliche öffentliche Charakter des Areals, das sich zwischen den Villen und der unmittelbar an den Strand anschliessenden Uferpromenade ausbreitet, soll erhalten bleiben. Allerdings muss für den notwendigen Hochwasserschutz Heiligendamms eine leichte Böschung des Gebiets in Kauf genommen werden.

Neben der Anlage eines Golfplatzes sowie dem Ausbau des nahe gelegen Gutes Vorder Bollhagen zum Reitsportzentrum soll in einer zweiten Ausbauphase Heiligendamms das angrenzende Wiesenareal zu einer Villensiedlung im Stil des «New Urbanism» umgewidmet werden. Für dieses Gebiet hat der US-Amerikaner A. M. Stern, ein führender Verfechter der Postmoderne, einen Masterplan geliefert. Die Wiederbelebung Heiligendamms reiht sich ein in den allgemeinen Boom der Ferienindustrie im sonst strukturschwachen Mecklenburg-Vorpommern. Von Binz auf Rügen bis Boltenhagen bei Wismar wächst die Konkurrenz unter den Urlaubsorten entlang der Ostseeküste. Im Wettstreit um die Gunst der zahlungskräftigen Touristen wird sich künftig auch Heiligendamm behaupten müssen. Dank seinem einzigartigen architektonischen Erbe verfügt es freilich über ein besonders kulturgeschichtliches Pfund, mit dem es wuchern kann. Auch deshalb muss bei der anstehenden Herrichtung der Bausubstanz Heiligendamms mit der allergrössten Behutsamkeit verfahren werden.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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