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Avantgarde in Mexikos Farben
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Sofort ist man in der Luis-Barragán-Schau von den intensiven visuellen Eindrücken gefesselt. Ungewöhnlich hohe und lange Stellwände, weiß oder purpurrot, gliedern die MAK-Ausstellungshalle in ein Gefüge von schrägen Räumen und Durchblicken. Diese Ausstellungsarchitektur entspricht ganz den Projekten von Luis Barragán.

27. November 2000 - Dorothee Frank
Alles an seinen Landhäusern, Landschaftsgärten, Türmen und Sakralbauten ist große, weiträumige, elegante Geste, und das bei einfachsten, ornamentlosen, reduzierten geometrischen Formen.


Farbige Moderne

Der 1902 in Guadalajara geborene Barragán ist aber kein Repräsentant der sogenannten weißen Moderne. Typische Farben Mexikos - Terrakotta, intensives Blau, Rot, Hellbraun oder Ocker - waren integraler Bestandteil seiner Entwürfe.
"Es sind die Farben, die man im mexikanischen Alltag dauernd sieht, an der Kleidung der Leute, am folkloristischen Spielzeug, an der traditionellen Architektur, sagt Kuratorin Emilia Terragni.


De Chiricos Einfluss

Das Titelfoto der Ausstellung zeigt eine Ansicht aus dem Urbanisierungsprojekt Los Clubes. Das locker gefügte Spiel farbiger, hoher, langer Mauern bildet einen umfriedeten Raum. „Barragán hat immer gesagt, es wäre bei dem heißen und sonnenreichen mexikanischen Klima ein Fehler, den Schutz der Mauern aufzugeben zugunsten der großen Glasfronten, wie sie in der europäischen Bau-Avantgarde üblich geworden sind.“, sagt Kuratorin Terragni. „Er war ein sehr moderner Architekt, aber er modifizierte das Vokabular der Moderne, indem er auf die mexikanische Tradition einging.“

Barragáns Entwürfe haben einen leicht entrückten, surrealen Charakter. Sie verbinden die Klarheit mexikanischer Klosterarchitektur mit der Atmosphäre der Architekturszenarien auf Bildern von de Chirico, der Luis Barragán wesentlich beeinflusst hat.

Licht und Schatten und der Blick auf den weiten, blauen Himmel sind wichtige Komponenten der Inszenierung. Architektur mit Dach (Häuser) oder ohne Dach (Landschaftsgestaltung), das machte für ihn keinen essentiellen Unterschied.


Architektur ohne Dach

Barragán hat mehrfach Gartenstadt-Gebiete und Erholungsareale geplant. Sein größtes derartiges Projekt, die Jardines del Pedregal entstanden auf Lavaland südlich von Mexiko City. Gemeinsam mit einem Kompagnon kaufte er sechs Millionen Quadratmeter sozusagen für ein paar Cent. Das Land war ökonomisch vorher nichts wert, konnte aber nach der Erschließung mit Gewinn weiterverkauft werden. „Barragán betrachtete diese Landschaft mit ihren bizarren Felsen und ihrer ungewöhnlichen Vegetation als typisch für Mexiko - hier konnte er eine genuin mexikanische Gartenlandschaft realisieren.“, sagt Emilia Terragni.


Übergreifender Gestaltungswille

Die Jardines del Pedregal sind durch Mauern, Gitter, Skulpturen, Teiche und Fontänen auf eine grandiose Art im Wechselspiel mit der Natur gestaltet. Das Land wurde dann parzelliert und als Baugrund für Villen verkauft - mit der Auflage, dass nur in einer modernen Formensprache gebaut werden durfte.

Barragán, als Architekt gleichzeitig auch Eigentümer und urbaner Entwickler des Geländes, konnte also die Spielregeln selbst festlegen und behielt die Kontrolle über das Gesamt-Erscheinungsbild. In Europa würde man da von einem seltenen glücklichen Zusammentreffen sprechen - in Mexiko ist das nichts ungewöhnliches: Viele Architekten sind hier ihrer eigenen Auftraggeber.

„Barragan sagte, er wäre kein Architekt, sondern Immobilien-Developer, was natürlich so nicht stimmt. Er war vieles in einem - auch Poet, Geschäftsmann, Katholik.....“, schwärmt die Kuratorin. Für das Kloster von Tlalpan hat Barragán eine Kapelle errichtet - auf eigene Kosten, als Geschenk an die dortigen Ordensschwestern.


Kinetische Skulpturen

Wie der Brunnen, die Fontäne, die Mauer, so ist auch der Turm ein Hauptelement in Barragáns symbolisch aufgeladenem Formenrepertoire.

An der Zufahrt zum neuen Stadtteil Ciudad Satélite in Mexiko City setzte er Ende der fünfziger Jahre mit den „Torres Satélite“ ein markantes urbanes Zeichen. „Diese Türme sind wie eine kinetische Skulptur. Sie haben keine Nutzfunktion. Sie bestehen aus Stahlbeton, haben dreieckige Grundrisse und sind innen leer. Wenn man mit dem Auto auf sie zufährt, sieht man sie als messerschafe Klingen. Von der Seite, im Vorbeifahren, nimmt man sie als flache Oberflächen wahr; und zuletzt, im Zurückschauen, sehen sie rechteckig aus.“, erläutert Emilia Terragni. Barragán selbst bekannte einmal, dass ihn die Türme von San Gimigniano in der Toskana zu diesem Entwurf inspiriert hätten.


Überzeugende Präsentation

Die Projekte des 1988 verstorbenen Luis Barragán sind in ungewöhnlich hoher ästhetischer Qualität dokumentiert - nämlich in den Vintage Prints des Fotokünstlers Armando Salas Portugal. Mit ihm hat er Zeit seine Lebens gearbeitet.

Emilia Terragni: „Salas Portugal wurde das fotografische Auge von Luis Barragán. Es war nicht so wie üblich - erst baut der Architekt, dann wird fotografiert. Nein: Portugal machte schon im Vorfeld der Planung Bilder von dem betreffenden Gelände. Manchmal zeichnete er Barragán den Plan einer Grundstückserschließung direkt auf das Foto. Aufgrund der Bilder, die dann während des Bauprozesses entstanden, modifizierte er die Projekte immer wieder. Es war ein ständiger Dialog zwischen Fotografie und Architektur.“


[ Die Ausstellung Luis Barragán - The Quiet Revolution (zusammengestellt von der Barragán Foundation im schweizerischen Birsfelden in Zusammenarbeit mit dem Vitra Design Museum) bleibt bis zum 28. Jänner geöffnet. ]

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