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„Mein Traumhaus ist kein Haus“
„Mein Traumhaus ist kein Haus“, Foto: Eilfried Huth
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Einiges in der Formensprache des Architekten Eilfried Huth ließe sich aus den Visionen der Achtundsechziger ableiten und alles, was sein soziales Engagement - bis heute - betrifft. Zum 70. Geburtstag: eine Würdigung des Gründervaters von Mitbestimmungsmodellen im Wohnbau.

2. Dezember 2000 - Karin Tschavgova
Im Garten des Lebens - zur Erinnerung: „In-A-Gadda-Da-Vida“ lautete der Phantasietitel eines Hits der Popgruppe Iron Butterfly aus dem Jahr 1968 - ist die Architektur nur eine der zu kultivierenden Pflanzen. In den späten sechziger Jahren wurde sie zur exotischen Blume im Nährboden soziokultureller und technischer Umbrüche, in ihrem Wildwuchs bestimmt von der Vision einer neuen Welt.

Eilfried Huth und Günther Domenig waren zu jener Zeit ein Team, das die steirische Architekturszene gründlich aufmischte. Eine klare Rollenverteilung ist in dieser kreativen Ehe nicht feststellbar, auch wenn Rezensenten den öffentlichkeitsscheueren Huth retrospektiv gerne zum Zweiten machen.

Erste gebaute Festlegungen in Sichtbeton wie die Pädagogische Akademie der Diözese Graz-Seckau standen zeitgleich neben visionären Ansätzen im Wohnbau. Geschult in unzähligen Diskussionen, weniger im Hörsaal als im legendären Café Schillerhof, schafften die „bad guys“ 1969 internationale Beachtung für ihre „Überbauung Ragnitz“ durch die Zuerkennung des Grand Prix d'Urbanisme et d'Architecture in Cannes. Man beachte: unter 800 Bewerbern und einer Jury, die sich wie das Who's who der damaligen Architekturkapazitäten liest: Louis Kahn, J. B. Bakema, Jean Prouvé, Bruno Zevi, Heikki Siren, Karl Schwanzer . . .

Ein realutopisches Projekt nennt Huth diese Megastadt aus einer Primärstruktur zur Versorgung und einschiebbaren Modulen als Variablen. Ein Gerüst der künstlichen Bauplätze, das in der detaillierten Durchplanung auch gleich seine Grenzen aufzeigte. Es war mit einer Nutzfläche von 30 Prozent nicht wirtschaftlich.

Dennoch dienten gerade Utopien wie diese oder das futuristisches Ambiente für die Trigonausstellung 1967 als Referenzen, die sie 1972 zur Olympiade nach München brachten, wo sie den Café-Pavillon in der Schwimmhalle und das Restaurant Nord bauen durften. Dieses Jahr markierte auch den Scheideweg des Duos. Während Domenig der Schubkraft der Grazer Emotionalität, mit der Friedrich Achleitner die Grazer Schule charakterisiert, 1975 in der Z-Bank Favoriten und ein Jahrzehnt später im Steinhaus höchsten Ausdruck verlieh, führte das Attentat auf die israelischen Sportler bei der Olympiade für Huth zu einem Infragestellen von Ästhetizismus und künstlerischer Selbstverwirklichung und in gebauter Konsequenz zu den Mitbestimmungs- und Beteiligungsprojekten im Wohnbau.

Abgeschlossen war die Arbeit an einem Symbol technischer Fortschrittsgläubigkeit, dem For- schungs- und Rechenzentrum in Leoben (1968 bis 1973), für das Huth, offiziell noch in Bürogemeinschaft, schon alleinverantwortlich zeichnete. Es ist ein prätentiöses strukturelles Objekt mit drei abgehängten kreuzförmigen Geschoßen und einer in Fertigteilen vorfabrizierten Stahlfassade, die viel über die zu der Zeit weit verbreitete Faszination der Architekten an Karosseriedesign verrät. Huth bezeichnet diesen Stahlbau, der 1975 mit dem Preis der Europäischen Stahlkonvention geehrt wurde, als sein Hauptwerk. Erstaunlich, wo wir den Architekten doch schon mit der
Erkennungsmarke Partizipation versehen haben.

Aber Huth entwirft - immer mittels freier Handzeichnung - ebensogern, wie er großflächige Tableaus malt. So bleibt auch bei den folgenden Arbeiten, besonders im Einfamilienhaus L. in Weinburg, ein starker Formwille ablesbar. Sogar in den Wohnmodellen Eschensiedlung in Deutschlandsberg und den Gerlitzgründen in Graz-Puntigam blinzelt im architektonischen Endprodukt der individuellen wie der gruppendynamischen Entscheidungsfindung das Gestische, Weiche, Orthogonalität Vermeidende durch - ganz dem Wesen des Architekten entsprechend.

Was aus der Teilfreigabe der formalen Entscheidung an Architektur entstand, ist ein Kompromiß, den manche als Alltagsästhetik bezeichnen. Für Huth ist es heute „das Bild einer durchschnittlichen Unkultur“, und er bemerkt selbstkritisch, daß die Mitbestimmung ein Wegbereiter für den Populismus war. Deren historisches Verdienst darin liegt, daß hier erstmals ein Planungsprozeß nicht hierarchisch gegliedert war und der Nutzer eine Stimme und Verantwortung bekam. Der Wert dieser Modelle muß nach anderen als ästhetischen Kriterien erfaßt werden: nach der Wohnzufriedenheit, dem hohen Identifikationsgrad, dem Entstehen von Gemeinschaft. Gerade die Reihenhaussiedlung Gerlitzgründe, ein sozialer Wohnbau der Stadt Graz, spiegelt den sozialen und politischen Aspekt in Huths Arbeit exemplarisch wider. Besucht der Architekt seine Siedlung heute, nach 20 Jahren, wird er dort wärmstens empfangen - eher eine Seltenheit.

Ein oberösterreichischer Forschungsauftrag, in den auch Huths Erfahrungen einflossen, trug den Titel: „Grenzen (!) und Möglichkeiten der demokratischen Mitbestimmung im sozialen Wohnbau“. Und so ist auch die Wohnanlage Ragnitz III aus den Jahren 1986 bis 1992 als Abgesang dieser Entwicklung anzusehen. Mehr Vorgabe steht weniger Mitbestimmung gegenüber, die Grundrisse können den Bedürfnissen der Nutzer „nur mehr“ angepaßt werden. Der Weg wurde nicht
weitergeführt, das Kapitel Mitbestimmung geschlossen.

G ebaut hat Huth seither wenig. 1985 ist er an die Hochschule der Künste in Berlin berufen worden. Bei Eilfried Huth traf diese Ehre eine ihn charakterisierende Lust an Kommunikation im Sinne einer konstruktiven Auseinandersetzung. Die Vermittlung von Architektur hatte er seit 1968 in „Unterrichtsversuchen zum Ästhetischen Lernen“ versucht. Bezeichnenderweise nennt Huth das Kapitel seiner ihm besonders wichtigen Lehrtätigkeit im Katalog, der zur Ausstellung anläßlich seines ursprünglich geplanten Abschieds von der Hochschule Berlin 1996 entstanden ist, „Vom Lehren und Lernen“.

A uch darin liegt die Qualität eines Architekten wie Huth: wach und offen zu bleiben, ohne Dünkel oder Abgeklärtheit; genau zu sein im Beobachten und im Denken; fähig, zu relativieren angesichts größerer Zusammenhänge, scharf und kompromißlos jedoch an der richtigen Stelle. In einer Zeit, in der der Wert von Architektur mehr denn je nach rein formal-ästhetischen Kriterien beurteilt wird und zur Elite erkorene Architekten-Jetsetter im globalen Dorf „Erste Welt“ von Politik und Wirtschaft hofiert werden, um ihre schnittigen Hochglanzprodukte als wirtschaftlichen Faktor zu verwerten, tut einer gut, der sagt: Achtung! Architektur verkommt zur Duftmarke für Investoren.

[ Im Grazer „Haus der Architektur“ (Engelgasse 3-5) ist von 4. Dezember bis 10. Jänner die Ausstellung „Prof. Arch. DI Eilfried Huth - ,Reflexionen über Fragmente meines Tuns'“ zu sehen (Montag bis Freitag 10 bis 19, Samstag 10 bis 13 Uhr). ]

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