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Architektonische Weltspitze
Neue Zürcher Zeitung

Spanische Baukünstler in Frankfurt und Florenz

Die moderne Architektur fand in Spanien erst relativ spät ein Echo. Doch seit den fünfziger Jahren wurden hier wegweisende Positionen diskutiert. Diese bereiteten jener kreativen Baukunst den Boden, die sich nach Francos Tod dank grossem Nachholbedarf fast explosionsartig entfalten konnte und längst Weltklasse erreicht hat

8. Dezember 2000 - Roman Hollenstein
Auch die internationale Architekturszene hat ihre Charts, deren Topposition seit Jahren bei den Stars der Rotterdamer Guru Rem Koolhaas, bei den Ländern aber eine Troika einnimmt: Holland, Spanien und die Schweiz. Nun bietet das Deutsche Architekturmuseum in Frankfurt zum Abschluss seiner verdienstvollen, wenn auch nicht immer völlig überzeugenden Länderreihe einen Blick auf die vielgerühmte spanische Architektur, die baukünstlerisch und urbanistisch auch deswegen als Vorbild gilt, weil sie das humane Mass respektiert. Die durch die Schrecken von Bürgerkrieg und Diktatur geschärfte menschliche Sicht kommt allerdings in der Frankfurter Schau nur am Rand zum Tragen, da diese sich in atemlosem Zelebrieren von architektonischen Spitzenleistungen aus den letzten 100 Jahren erschöpft. Gleichwohl wird so bestätigt, was jeder, der die neuere Entwicklung der spanischen Architektur mitverfolgt hat, längst weiss: dass nämlich das Niveau des zeitgenössischen Bauens - trotz zersiedelten Küstenregionen und viel spanischer Selbstkritik - überdurchschnittlich ist und dass in jüngster Zeit von der Hafenanlage über das Krankenhaus bis zum Auditorium in jeder Gattung ausser im Kirchenbau wegweisende Werke entstanden sind.


Formaler Pluralismus

Dabei war es gerade ein Sakralbau, der Spaniens berühmtestem Architekten, Antoni Gaudí, so sehr am Herzen lag. Seine Sagrada Familia sucht man allerdings vergeblich in der überlegt zusammengestellten Schau, kennt doch der katalanische Modernisme mit Gaudís Casa Batlló oder dem Palau de Música von Lluís Domènech Ikonen, die der 160 Werke umfassenden Frankfurter Blütenlese mehr entsprechen. Es liegt in der Natur einer solchen Gipfelschau, dass die Gewichtungen mitunter etwas irritieren. So mag man bedauern, dass hier Sevillas maurisch inspirierter Orientalismus, der noch immer kaum bekannt ist, auf Aníbal González' Plaza de España reduziert wurde. Besser erging es der klassisch-modernen Architektur, die in Spanien erst mit José Aizpurúas 1929 in San Sebastián erbautem Segelklub und der kurz danach gegründeten Gatepac-Gruppe in Erscheinung tritt. Sie ist mit Werken wie dem Parlamentsgebäude von Miguel Martín in Las Palmas, aber auch mit dem einst im ganzen Land beliebten Art déco (etwa Luis Gutiérrez' Kino Barceló in Madrid) gültig vertreten.

Kulminierte die Moderne 1937 in Josep Lluís Serts Pariser Weltausstellungspavillon der spanischen Republik, so favorisierte das Franco-Regime eine historisierende Staatsarchitektur, die 1951 im Luftfahrtministerium, einem Escorial-Zitat des längst «bekehrten» Gutiérrez, ihren erzkonservativen Ausdruck fand. Dabei hatte Francisco Asís Cabrero schon zwei Jahre zuvor mit der Zentrale der franquistischen Gewerkschaften in Madrid bewiesen, dass sich durch die Verschmelzung von Monumentalität und Rationalismus ein zeitlos modernes Vokabular kreieren liess, dem Rafael Moneo im «Bankinter»-Gebäude von 1976 noch seine Reverenz erwies. Die eigentlichen Meister der fünfziger Jahre aber waren der einem organischen Rationalismus verpflichtete, später für Miralles oder Torres & Lapeña wichtige Katalane José Antonio Coderch sowie Alejandro de la Sota, dem 1957 mit der Provinzialverwaltung in Tarragona das neben Moneos Römischem Museum in Mérida (1985) wohl folgenreichste Bauwerk des Jahrhunderts in Spanien gelang. Nach einer Krisenzeit entwickelte sich die Architektur seit 1975 zu einer zwischen minimalistisch-neomodernem und organisch-dekonstruktivistischem Idiom oszillierenden Vielfalt, aus der unter anderem das 1993 von Enric Miralles und Carme Pinós realisierte Internat von Morella, der Sitz der Landesregierung von Extremadura in Mérida von Juan Navarro Baldeweg (1995) und - als jüngstes Gebäude der Schau - Moneos Kongresspalast in San Sebastián herausragen.

Aus dem fast unerschöpflichen Reichtum neusten Schaffens hätte man strenger auswählen können, da das Dokumentieren ohnehin vom gut gemachten Katalog übernommen wird. Dies hätte es erlaubt, mehr Originalmaterial zu zeigen und darüber hinaus auch einige urbanistische Arbeiten zu würdigen, für die nun stellvertretend die legendäre Plaça de Sants von Viaplana & Piñón in Barcelona steht. Prestigebauten ausländischer Stars wären in der Schau ebenfalls entbehrlich gewesen, da selbst die Glanzlichter kaum Einfluss auf das spanische Architekturgeschehen hatten. So bezog sich in Bilbao das Nachwuchsteam Soriano & Palacios mit seinem Euskalduna-Musikpalast auf die alten Werftanlagen und nicht auf die Stahlmagnolie von Gehrys Guggenheim-Museum; und der Koolhaas-Schüler Eduardo Arroyo, der mit 36 Jahren jüngste Architekt der Schau, baute einen Kindergarten, in dem er sich mehr um die Bedürfnisse der Kleinen als um architektonische Extravaganz kümmerte. Dieses vielleicht interessanteste Werk der in Frankfurt nur schwach vertretenen Generation unter 40 erhebt sich ganz in der Nähe des vor kurzem eingeweihten Sondica-Flughafens von Santiago Calatrava. Hier zählt selbst Calatrava noch zu den Jungen und wird mit nur einem ausgestellten Werk, der Alamillo-Brücke in Sevilla, auch so behandelt.


Calatrava Superstar

Spielt man in Frankfurt den Erfolg des Wahlzürchers hinunter, so lassen sich die Italiener von seiner formalen Eloquenz nur allzu gern betören. In einer grossen Retrospektive im Palazzo Strozzi in Florenz wird Calatrava jedenfalls als «scultore, ingegnere, architetto» zum Universalgenie in der Nachfolge von Leonardo und Michelangelo emporstilisiert. Diese Apotheose gilt einem Künstler, der seine zoomorphe architecture parlante - Brücken, Bahnhöfe und Flughäfen ebenso wie Kirchen und Museen - mit steingewordener Musik vergleicht, der sich aber vor allem als Plastiker versteht. Im Innenhof des Palastes, gleichsam im Herzen der Ausstellung, die anders als das Frankfurter Unternehmen mit zahlreichen Modellen, Skizzen und Zeichnungen (etwa vom eben erst eröffneten Museo de las Ciencias in Valencia) aufwarten kann, stehen denn auch seine organischen und kinetischen Skulpturen. Diese bewirken allerdings einen unnötigen Verdoppelungseffekt, denn Calatravas ingenieurtechnische Höhenflüge in der Nachfolge von Gaudí, Maillart, Nervi und Candela sind ja selbst schon Skulptur genug.


[Die Frankfurter Ausstellung dauert bis zum 31. Dezember. Katalog: Architektur im 20. Jahrhundert. Spanien. Hrsg. Deutsches Architekturmuseum. Prestel-Verlag, München 2000. 368 S., Fr. 137.- (DM 68.- in der Ausstellung). - Die Ausstellung in Florenz dauert bis zum 7. Januar. Katalog 48 000 Lire.]

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