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Virtuell ist alles realisiert
Der Standard

Im Centre Georges Pompidou blickt Jean Nouvel auf sich selbst zurück: Er lädt, ohne Anspruch auf Vollständigkeit, zu einer virtuellen Reise durch seine Ideen vom urbanen Raum.

15. Dezember 2001 - Olga Grimm-Weissert
Paris - Ein wie ein Regenbogen schillerndes Autoporträt präsentiert uns Jean Nouvel im Centre Georges Pompidou. Der Architekt als Stadtplaner, der konzeptuell und kontextuell vorgeht: „Keiner meiner Bauten ignoriert, wo er sich befindet“, lautet einer seiner zentralen Sätze. Auf 1100 Quadratmeter Ausstellungsfläche präsentiert sich der 57-Jährige auf unübliche, weil völlig virtuelle Weise:

Er projiziert Bilder seiner bloß angedachten, im Computer simulierten und nicht realisierten Projekte sowie der Architekturen, die in der Realisierungsphase bzw. im Bau sind. Zehn Gebäude, die in einem langen Saal in Realgröße als Diashow ablaufen, vermitteln die Illusion, sich im Inneren der Bauten zu bewegen.

„Indem man Architektur zeigt, begreift man die Materie, das Spiel des Lichts, die Nähe zum urbanen Kontext“, kommentiert Nouvel. Die von Georges Fessy fotografierten Ein-, Aus- und Anblicke beginnen mit dem Pariser Institut du Monde Arabe, zeigen die Lyoner Staatsoper, die Berliner Galeries Lafayette und natürlich den Wiener Gasometer.

Apropos Wien: Ein Gerücht geht um, dass Jean Nouvel an der Akademie zum Architekturprofessor ernannt werden könnte. Seine Antwort ist ein kategorisches „Bedaure, ich habe keine Zeit! Ich reise so viel in der Welt herum, dass ich in der restliche Zeit in meiner Pariser Agentur, wo derzeit mehr als 100 Leute arbeiten, die Projekte weiterbringen muss.“ Die Wiener müssen also noch warten, bis sie die hohe, massige, stets schwarz gekleidete Gestalt des charismatischen Glatzkopfes als Professor erleben können.


Show für alle

Die Pompidou-Kuratorin Chantal Béret definiert Nouvels Schau so: „Weder ausufernd noch objektiv noch retrospektiv noch didaktisch noch wissenschaftlich, wendet sich die Ausstellung nicht an die Eingeweihten: Erwarten Sie weder Pläne noch Modelle.“ Die Ausstellung präsentiert also nichts Abstraktes. Nouvel bricht - wie auch bei seinen Architekturen (und wie bereits das „neu“ in seinem Name ankündigt) - mit Standards, experimentiert, bringt Neues: bunt bewegtes Bildmaterial, kleine Filme auf Minibildschirmen (von Alain Fleischer gefilmt).

Selbstverständlich findet man seine (Bau-)Konstanten oder fixen Ideen wieder: Der Parcours ist dunkel, Licht und Farbe kommen nur durch die Projektionen oder die von hinten beleuchteten Diapositive in die Gänge. Gleich der erste Saal illustriert Nouvels Methode: ein relativ kleiner, quadratischer Raum mit schwarz spiegelndem Marmorboden, in dessen Wände große Dias mit 200 Projekten eingelassen sind. Ein Licht-Juwelen-Kaleidoskop, dessen Farbenfreude eine lebenslustige Begrüßung für die Besucher ist. Dessen glänzender Marmorboden jedoch diejenigen, die unter Schwindelgefühlen leiden, verunsichert.

Auf die Frage, ob er bewusst mit der Angst der Menschen spiele, nimmt Nouvel die nächste schon voraus und antwortet: „Wegen des Schwindelgefühls? Die Leute müssen ja nicht in meine Gebäude hineingehen, wenn ihnen das nicht behagt.“ Eine souveränere Replik wäre dem heurigen Preisträger des japanischen Praemium Imperiale würdiger gewesen. Aber sie entspricht auch dem, was in der Ausstellung illustriert wird: Jean Nouvel hat gern Recht. Deshalb demonstriert er auch im Centre Pompidou, inwiefern seine städteplanerischen Projekte, z. B. das von der Bibliothèque National de France bis zum Institut du Monde Arabe als „Seine Rive Gauche“ bezeichnete, mit Grünflächen kontextuell durchdachte Konzept, besser gewesen wäre als die Fleckerlteppichpraxis ohne jegliche Einheit, für die die Stadt Paris sich in den 90er-Jahren entschieden hat.

Unter den in der Planungsphase befindlichen Bauten lockt Nouvels (immer wiederkehrende) Idee eines endlosen Turms, den er nun an einem Kreisverkehr in Barcelona als „irisierenden Phallus“ bauen wird. Die Ausstellung wandert in den nächsten Jahren um die Welt.


[Bis 4. März 2002 ]

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