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Was bleibt, was muß fallen?
Was bleibt, was muß fallen?, Foto: Paul Ott
Was bleibt, was muß fallen?, Foto: Paul Ott
Spectrum

Radikale Änderung oder minimale Intervention: Diese beiden Extreme markieren den Spielraum bei Umbauten. Geänderte Funktionen sind eine zusätzliche Herausforderung für den Architekten. Hans Gangoly hat in Graz einen Gewerbebau, Sepp Hohensinn in Weiz einen Industriebau in einen Wohnbau transformiert.

16. Dezember 2000 - Karin Tschavgova
Über Sinn oder Unsinn von Umnutzungen läßt sich trefflich streiten, zumindest in Hinsicht auf Funktionalität und räumliche Qualität des neu Installierten. Entschieden wird die Frage über den Faktor der Wirtschaftlichkeit –möchte man meinen. Mitnichten: Beweggründe für aufwendige Umbauten und Sanierungen sind mannigfaltig. Demjenigen, der in jahrelanger mühsamster Kleinarbeit eine Scheune oder Mühle zu Wohnraum umwandelt, ist es pure Liebhaberei, Freude am Einzigartigen, Unkonventionellen, für die er Widrigkeiten und unvorhersehbare Ereignisse in Kauf nimmt. Für eine bestimmte Schicht oft künstlerisch tätiger Städter ist es das Flair von Gewerbebauten mit ihrer vom Gebrauchswert abgeleiteten Kargheit, vor allem aber die Möglichkeit, viel Raum zu einem relativ niedrigen Preis zu erhalten. Dafür werden Nachteile wie unzureichende sanitäre Versorgung, geringe Wärmedämmung und schlechte Beheizbarkeit in Kauf genommen. Manch stolzer Loftbewohner wußte der winterlichen Not durch Rückzug in eilig gezimmerte Bretterverschläge – durch ein „Raum-im-Raum“-Prinzip also – abzuhelfen.

Gelegentlich scheint Prestigedenken die Sinnfrage zu ignorieren und die Frage der Wirtschaftlichkeit hintanzustellen. Oder kann sich jemand vorstellen, daß in das einmalige Industriedenkmal der Gasometer in Simmering, dessen Erhaltungswürdigkeit unumstritten ist, Wohnungen ohne wesentlich größeren, auch finanziellen Aufwand und ohne rigorose Einschränkung der Wohnqualität hineingebaut werden können?

In Graz wollte ein Unternehmer ein aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts kommerziell verwerten und hat es zu einem Wohnhaus mit 22 Wohnungen umgebaut. Für eine Geschäftsnutzung war weder die Lage der Immobilie noch deren Beschaffenheit geeignet, denn die Stadtmühle, die 1928 stillgelegt und seither als Lager genutzt worden war, ist mit Ausnahme der Gründerzeitfassade eine reine, über alle fünf Geschoße reichende Holzstützenkonstruktion. Sie wurde 1995 unter Denkmalschutz gestellt, um die Tragstruktur in ihrer architektonischen und handwerklichen Qualität zu erhalten. Diese Vorgabe, dann die enorme Gebäudetiefe von 27 Metern, Nord-Süd-Orientierung und die Lage knapp am Gehsteig forderte allerdings auch für den Einbau von Wohnungen enormen planerischen Einsatz, Phantasie und Fingerspitzengefühl.

Hans Gangoly, ein Burgenländer mit Bürositz in Graz, war der richtige Mann. Schon an einem viel beachteten Umbau eines Wirtschaftsgebäudes zu einem Wohnhaus und beim Einbau einer Galerie in ein kleines burgenländisches Bauernhaus hat er gezeigt, daß er das Maß an Bewahrung und Erneuerung sorgfältig auszuloten weiß.

Schnell war klar, daß Qualität und Eigenart des Gebäudes nur erhalten bleiben können, wenn Prämissen wie Offenheit und Freilassen die Forderung nach äußerster Nutzungsdichte ersetzen. In einem mehrjährigen Planungsprozeß konnte der Bauherr davon überzeugt werden, daß ein Teil des Volumens zum innen liegenden „Leerraum “in Form einer mehrgeschoßigen Halle für alle wird, die fehlende Balkone und private Freiräume ersetzt. Sie ist gleichermaßen Herzstück und Charakteristikum des Wohnbaus geworden, von dem aus die Wohnungen in den einzelnen Geschoßen über Stege erschlossen werden.

Durch das Freilegen des Stützenrasters und die Entfernung mehrerer Deckenträme wirkt sie leicht und luftig; hell wird sie durch das Öffnen des mächtigen Daches mittels großflächiger Verglasung. An der für Wohnungen ungünstigen Nordseite reicht die Halle bis zur Fassade, die an dieser Stelle entfernt und durch eine überwiegend offene Betontragstruktur ersetzt wurde. Sie wird so zum geschützten Innenhof mit Sicht zum Mühlgang, der unter dem Haus durchfließt.

Wie ein Gürtel legen sich die einzelnen Wohneinheiten um diesen großzügig dimensionierten Raum, der die tiefen Grundrisse zusätzlich belichtet. In Leichtbauweise, mit heller Holzverschalung und Zwischenwänden in Rigips sind sie in die dominante Tragstruktur eingeschoben und belassen die alten Deckenbalken und Rundstützen weitgehend unberührt. Die für Wohnbau außergewöhnliche Raumhöhe ermöglichte es, die Sanitäreinheiten als niedrigere Volumina in den Raum zu stellen und da durch die Holzkonstruktion noch stärker hervorzuheben.

Auf diese Weise entstand ein äußerst reizvolles Spannungsverhältnis zwischen Alt und Neu. Mit den neuen, innen vor der Wand geführten Schiebefenstern, die die undichten, ebenfalls denkmalgeschützten Fensterflügel ergänzen, setzt Gangoly diesen Dialog konsequent fort. Zugleich illustrieren jene sorgfältig detaillierten, selbstbewußt raumbildenden Elemente auf gelungene Weise, daß ein Eingriff in bestehende Substanz immer bedeutet, dem Vorgefundenen eine zeitgemäße Schicht hinzuzufügen. Denn letztlich ist es unehrlich und inkonsequent, durch Beschränkung auf Restaurieren alle Spuren der Erneuerung zu verwischen – eine Geschichtsklitterung.

Diese Frage stellte sich bei der Errichtung von Wohnungen im Areal des ehemaligen Ziegel- und Betonwerks Volpe in Weiz nicht. Eine städtebauliche Nutzungsstudie empfahl die Umnutzung der Industriebrache, die mittlerweile Teil eines vorstädtischen Wohngebiets ist, für Wohnzwecke im Geschoßwohnbau. Dabei sollten vorhandene Ressourcen wie das Freiland mit den Ziegelteichen einbezogen und aufgewertet werden. Die Substanz der Hallenstruktur aus den vierziger Jahren wurde als erhaltenswert eingestuft – vorerst. Die Lage der Industriebauten – zwei parallele Stahlskeletthallen in unterschiedlicher Länge, ergänzt durch einen annähernd quadratischen Massivbau und einen im rechten Winkel dazu situierten Kopfbau – ergab also die künftige städtebauliche Figuration des Wohnbaus, mit dessen Planung Sepp Hohensinn, ehemaliger Partner von Hubert Rieß, betraut wurde.

Eine umfassende Sanierung wurde angestrebt und auch beibehalten, nachdem sich über eine Kosten-Nutzen-Rechnung herausgestellt hatte, daß es sich nur lohnte, die Tragstruktur der langen Halle und ihr Dach, wenn auch mit Mehraufwand, zu erhalten. Die Baukörperstellung wurde übernommen. Entstanden ist ein dichtes, urban anmutendes Gefüge mit einer Wohngasse und einem platzartigem Siedlungszentrum, das die Nachteile von teils geminderter Besonnung und eingeschränkter Privatheit im Erdgeschoß in Kauf nimmt.

Gebaut wurde in Holzsystembauweise, einer industriellen Vorfertigung von Großtafelelementen. Gedämmt, vorinstalliert und mit Fenstern versehen, werden sie auf der Baustelle nur mehr montiert. Bei der Volpe in äußerst kurzer Gesamtbauzeit von zwölf Monaten inklusive Abbruch und Außengestaltung. Diese Bauart mit geringer Gesamtlast erlaubte, drei Geschoße ohne zusätzliche Fundierung auf die bestehende Betonplatte zu stellen – was für die Beibehaltung der bebauten Grundfläche spricht. Alte und neue Stahlrahmen tragendas Dach und sämtliche hinzugefügten Sekundärstrukturen aus Stahl wie Treppen, Laubengänge und Balkone. Die Geschoßwohnungen und Maisonetten sind als Zeile freistehend unter die Dachstruktur geschoben. Das frei überstehende Dach als „shelter“ wird zum Erinnerungsstück, gemeinsam mit dem weithin sichtbaren Schlot und der erhaltenen Giebelwand des Betriebsgebäudes mit dem Firmenzug.

Von der Substanz ist allerdings nichts geblieben. Das Neue ist ein herkömmlicher Wohnbau –mit sorgfältiger Materialauswahl und schönen Details –, der mit der Vorstellung von Wohnen in der Fabrik, das ja zugegebenermaßen ein städtisches Desiderat ist, nichts zu tun hat. Anders als bei der Sargfabrik in Wien-Penzing haben die räumlichen Vorgaben hier auch nicht dazu geführt, die Bauordnung und die Bestimmungen der Wohnbauförderung phantasievoller zu interpretieren. Die bekannt hohen Anforderungen der steirischen Wohnbauförderung übertrifft der Bau spielend mit dem im Vergleich zu einem Massivbau wesentlich höheren Wärmeschutz. Was die Nutzer, allesamt Mieter, freuen wird. Allerdings könnte er genauso gut auf der grünen Wiese stehen. Die räumliche Figuration der ehemaligen Ziegelei war in dem Fall keine zwingende Vorgabe, sondern bestenfalls eine Vorlage, die der Architekt als städtebauliches Entwurfsmotiv für brauchbar empfunden hat. Zumindest am neuerrichteten Punkthaus, das pro Geschoß je eine Wohnung in Nordost- und Nordwestlage enthält, wie die nachgebaute Vorlage aber keine Balkone, ist dies zu bezweifeln. Zwiespältig auch der nun entstandene Gassenraum, ein halböffentlicher Bereich, in den private Winzlingsvorgärten ragen, einengend abgeschirmt mit Gerätehütten. Konsequenterweise hätte die Erdgeschoßzone der zweiten Zeile frei von Wohnungen bleiben müssen.

An beiden Beispielen zeigt sich, daß die Frage nach dem Wieviel an Bewahren und Erneuern immer eine Gratwanderung ist, die nicht nur nach wirtschaftlichen Aspekten entschieden werden darf. Manchmal werden Einschränkungen nur als Pferdefuß gesehen und führen zu grotesken Auswüchsen, wenn ganze Häuser, deren Fassade erhalten bleiben muß, ausgehöhlt werden. Jede Beschränkung bietet jedoch auch Chancen, genormte Vorstellungen zu verlassen und gelungene Neuinterpretationen eines Themas zu finden – unübliche Wohnungszuschnitte oder Erschließungen etwa.

Daß dies geschätzt wird, zeigt der Umbau von Hans Gangoly. Zumindest in der Stadt gibt es eine Klientel für unkonventionelle Wohnformen: Für die 22 Wohnungen in der Stadtmühle gab es 140 Bewerbungen – ohne Werbeaufwand.

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