Artikel

Der weiße Wal ist anders
Der Standard

Coop Himmelb(l)au sind nie mit dem Rudel mitgeschwommen. Das hat sie gefährlich und unberechenbar gemacht, und unbequem. Doch jetzt springt der weiße Wal, und das ist spektakulär und schön anzuschauen.

10. März 2001 - Ute Woltron
Jetzt haben sie also den großen, fetten Wettbewerb gewonnen. In Lyon werden sie ein spektakuläres Museum bauen und endlich auch in 3D gleichziehen mit den Herren Libeskind, Gehry & Co. Mit dem soeben gewonnenen Prestigeprojekt in Frankreich katapultieren sich Wolf D. Prix und Helmut Swiczinsky auch im Lichte der weltweiten Öffentlichkeit dorthin, wo sie schon seit geraumer Zeit deutlich ihre Spuren ziehen - an die Spitze der Weltarchitektur.

Die Luft dort oben ist dünn, der Aufstieg mühsam, zeitintensiv und kräfteraubend und stets begleitet vom eifersüchtigen Schnappen kleinerer Fische. Doch das hat die Himmelblauen nie vom Sprung abgehalten. „Denn nicht durch ruhiges, gleichmütig träges Blasen tut der weiße Wal seine Nähe kund - nein, durch ein viel wunderbareres, gewaltigeres Schauspiel: Er springt. Da kommt der Wal aus den tiefsten Tiefen heraufgeschossen und wirft seinen ganzen ungeheuren Körper empor ins reine Element der Luft; und solch ein Gebirge von blendender Gischt türmt er auf, dass er seinen Ort auf sieben Meilen und mehr in der Runde verrät. Wie eine Mähne umflattern ihn die zornigen zerfetzten Wogen, die er von sich abschüttelt; oft ist der Sprung seine Herausforderung zum Kampf.“ Soweit Herman Melvilles Beschreibung Moby Dicks, des weißen Wales, der im wirklichen Leben Mocha Dick geheißen und vor fast 200 Jahren leibhaftig die Schifffahrer aller Weltmeere angriffslustig aufgemischt hat.

An zornige zerfetzte Wogen kann man auch angesichts des Museumsungetüms denken, das Coop Himmelb(l)au in den kommenden Jahren an den Ufern der Rhone und der Saone auftürmen werden, und zwar genau auf jenem prominent exponierten Landzipfel, der durch den Zusammenfluss der beiden Ströme am Eingangstor der Stadt entsteht. Das Gebäude fegt sozusagen wuchtig über den Ort, kristallisiert da zu einem enormen Stahl-Glas-Flügel, wabert metallisch glänzend und auf Stelzen abgehoben über die Erdoberfläche, schießt dort eine Doppelkegel-Tröte und Lichtspiele gen Himmel. Beherbergen soll die zerfetzte, zersprengte Architektur aus Glas, Metall, Beton und Licht ein Museum der Menschheitsgeschichte, und, so Prix: „Genau das hat uns enorm an diesem Wettbewerb gereizt, nämlich dass von den Bauherren nicht ein konventionelles Kunstmuseum in Auftrag gegeben wurde, sondern ein grundsätzlich neues Museumskonzept angedacht werden sollte.“

Was ist also dieses grundsätzlich Neue an dem Ding, das im Übrigen etwa so groß dimensioniert ist wie Frank O. Gehrys Guggenheim-Titanmuseum in Bilbao? Die Ausstellungen sind nicht, wie üblich, in Raumschachteln untergebracht, sondern ziehen sich durch die verschiedensten Zonen des Gebäudes. Prix:

„Die Räume sind durch die verschiedenen Bespielungen dynamisch veränderbar.“ Dazu verwirklichen die Himmelblauen hier ein Konzept, das sie für den - im Vorjahr von Zaha Hadid letztlich gewonnenen - Wettbewerb für das Kunstmuseum in Wolfsburg bereits angedacht haben: Der gesamte Museumskörper ist von Verkehrsvenen quasi durchzogen, der öffentliche Raum durchdringt in Form von Rampen und Boulevards das Gebäude, die Passanten schauen von ihren Spazierwegen in und auf die eigentlichen Ausstellungsbereiche, und sie fahren mit Aufzügen durch die Schauräume durch, ohne ihr Inneres sogleich direkt zu betreten. „Das System ähnelt eigentlich einer Peepshow“, so Coop-Außenminister Prix, „es ermöglicht den Austausch von Öffentlichem und Privatem. Diese Grenzüberschreitung, die uns immer wichtiger wird und die wir für das kommende Thema in der Architektur halten, ist hiemit tatsächlich vollzogen.“

Eigentlich haben Coop Himmelb(l)au eine ähnliche Durchmischung bereits mit ihrem UFA-Kinopalast in Dresden vorweggenommen. Auch dort bildet ein Glas-Stahl-Kristall eine halb öffentliche Zone, eine geschützte Fortsetzung des Platzes, die in die Privatheit der Kinoschachteln im angeschlossenen Stahlbetonriegel mündet.

Für die mexikanische Stadt Guadalajara planen die Wiener zurzeit ebenfalls Ähnliches, jedoch in unvergleichlich größerem Maßstab. Das Urban-Entertainment-Center, das dort in den kommenden Jahren als Teil eines engagierten, privatwirtschaftlich auf die Beine gestellten Städtebauprojektes der Sonderklasse entstehen wird, splittert den typisch amerikanischen Shoppingmall-Wahnsinn in verschiedene Ebenen und Zonen auf, durchmengt die Angelegenheit mit Lustwandelboulevards, streut diverse Büro-, Restaurant-, Unterhaltungssprengel ein und soll so Freifläche für den Bewohner zurückgewinnen und ein pulsierendes, kommunikatives neues Stadtzentrum bilden. Einen Ort, an dem man sich trifft und unterhält, wo man jausnet, ins Kino geht und auch sonst dem Beisammensein frönt, wie früher auf den Marktplätzen der alten Städte.

Prix und Swi haben also international in den letzten Jahren fest Fuß gefasst. In Los Angeles, wo man seit Jahren ein Büro unterhält, ist gerade ein Einfamilienhaus in Venice in Bau, für Hamburg planen die zwei ein kleines Stadtzentrum mit einem Hotel und einem Gerichtsgebäude. Für die Schweizer Landesausstellung des Jahres 2002 in Biel hieven sie zur Zeit eine enorme Plattform über den Bieler See und lassen Medienpavillons und Türme darauf tanzen, und in München soll nun, fast zehn Jahre nach einem gewonnenen Wettbewerb, doch endlich die Akademie eine fesche Erweiterung von himmelblauer Hand bekommen.

Es gibt also genug zu tun für die insgesamt rund 100 Mitarbeiter in den Büros in LA, Guadalajara und Wien. Doch wie schaut es auftragsmäßig in der alten Heimat Österreich aus? Durchaus gut, allerdings nach einer langen, öden Durststrecke. Im September sollen die Wohnungen in einem der vier Simmeringer Gasometer bezugsfertig sein, am Wienerberg entstehen Wohnhochhäuser, die 25 Meter über dem Erdboden mit einem Verbindungsgang zusammengespannt werden. Auf dem Areal der Liesinger Brauerei soll ein enormer Wohn-und Bürokomplex entstehen. Das Projekt auf dem Mariahilfer Platzl ist weiterhin im Gespräch, und in der Schlachthausgasse sowie in Erdberg sind Bürogebäude in Planung.

„Wichtig ist uns ein ständiges Weitergehen“, sagt Prix, „Wir wollen Architektur erzeugen, die auch im nächsten Jahrhundert noch Bestand hat.“ Diese ordentliche Portion Kampfeslust konnte man dem Wiener Architektenduo, das sich im Mai 1968 verbündet hatte, um der Welt mindestens einen Haxen auszureißen, noch nie absprechen. Mit einer wilden Polemik, avantgardistischen Projekten und ausgiebigen Happenings feierten die damaligen TU-Studenten die Architektur als neue Disziplin, die sich ihrer Ansicht nach, zum Teufel noch mal, endlich von den Zwängen des Althergebrachten zu befreien und so leicht und luftig wie der Himmel und die Wolken zu sein hätte.

Wer sich nicht an die ungeschriebenen Standesregeln seiner Zunft hält, dem weht bald ein scharfes Lüfterl entgegen, und die Himmelblauen wurden denn auch sofort von der Kollegenschaft mit wenig schmeichelhaften Prädikaten wie „pubertär“ und „wahnsinnig“ bedacht. Doch wenn irgendetwas wahr ist in der Branche der Häuserbauer, dann dass es viele Wahrheiten der Architektur gibt - nur hat die Koexistenz ungezähmter und domestizierter Individuen immer für Reibereien gesorgt.

Prix und Swiczinsky, die weißen Wale der heimischen Architekturszene, waren und sind in ihren Urteilen über die Produkte anderer auch nicht gerade zimperlich, doch eines können sie sich zugute halten: Qualität erkennen sie über die Barrieren von Sympathien und Antipathien hinweg an, auch wenn die rezensierten Kollegen, wie etwa Peter Zumthor und Herzog&deMeuron, ein ganz anderes Architekturcredo pflegen. Dem Glauben an die reine Lehre nur einer bestimmten Architekturrichtung mögen schlichtere Gemüter anhängen. Wer sein Leben lang nur Wittgenstein studiert hat, bleiben die köstlichen Sensationen eines Nabokov oder Melville verborgen.

Coop Himmelb(l)au haben sehr früh ihre Grundsätze definiert, haben sie stets weiterentwickelt, sind sich dabei immer treu geblieben. „Wenn wir von Schiffen sprechen“, so plakatierten sie ihre Architekturgesinnung auch im Jahr 1991 mit ungebrochener typisch-himmelblauer Arroganz und Herausforderung, „denken andere an Schiffbruch. Wir jedoch an von Wind geblähte weiße Segel. Wenn wir von Adlern sprechen, denken andere an Vögel. Wir aber sprechen von der Spannweite der Flügel. Wenn wir von schwarzen Panthern sprechen, denken andere an Raubtiere. Wir aber an die ungezähmte Gefährlichkeit von Architektur. Wenn wir von springenden Walen reden, denken andere an Saurier. Wir aber an das Fliegen von 30 Tonnen Gewicht. Wir finden Architektur nicht in einem Lexikon. Unsere Architektur ist dort zu finden, wo Gedanken schneller sind als die Hände, um sie zu begreifen.“ Lange Jahre blieb es bei himmelblauen Gedanken und Entwürfen, der Wal hob zwar im akademischen Sinn ab, ordentliche Luftsprünge tat er aber selten. Umgesetzte Projekte blieben klein und rar. 1980 fackelten Prix und Swi zum Beispiel einen architektonischen „Flammenflügel“ über einem Hof der TU-Graz ab, 1981 dekonstruierten sie die Barräume des „Roten Engels“ in Wien zu einem spannenden Szenelokal, und von 1984 bis 1986 setzten sie dem Eckhaus in der Wiener Falkestraße ein kompliziertes Büro-Hauberl auf, das nicht nur die Passanten unten stehen und hinaufstarren ließ: Der Dachausbau Falkestraße mit seinen aufgerissenen Räumen, den komplizierten Lichteffekten und dem quer über das Dach zischenden Stahl-Glas-Flügel wurde von der internationalen Architekturpresse viel intensiver und enthusiastischer wahrgenommen als von den heimischen Kritikern.

Der Bürobau in luftiger Innenstadthöhe fehlt bis heute in den meisten Wiener Architekturführern. Dafür schaffte er den Sprung auf die Titelblätter wichtiger internationaler Architekturmagazine - und er stach irgendwann auch dem Henker und Scharfrichter der Branche, Philip Johnson, ins Auge. Der betagte amerikanische Architekt und Königsmacher, eine der boshaftesten und einflussreichsten Architektursibyllen des 20. Jahrhunderts, organisierte damals gerade eine Ausstellung im New Yorker Museum of Modern Art, in der er wieder einmal die geheimnisvollsten Architekturströmungen der Zeit einfangen und ihre wichtigsten Proponenten in geballter Kraft vorstellen wollte. Die Schau „Deconstructivist Architecture“ lief 1988 und provozierte einen Aufschrei der Erleichterung bei all jenen, die der damals wütenden Postmoderne samt ihren Zinnen, Türmchen, Verbrämungen müde waren. Die allesamt unbekannten Leute, die Johnson nach New York geholt hatte, stehen heute alle an der Architekturweltspitze, sie hießen Koolhaas, Hadid, Gehry, Libeskind, Eisenman, Tschumi und Coop Himmelb(l)au.

Es habe, so Melville, stets „verschiedene denkwürdige historische Persönlichkeiten von Walen gegeben, die zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Stellen des Ozeans allgemein bekannt waren“. Prix und Swiczinsky sind ordentlich herumgeschwommen in der Welt, bis sie allgemein bekannt und anerkannt waren. Nach ihrem letzten großen Sprung dürften auch die letzten gschnappigen Korallenfischchen daheim endlich das Maul halten.

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: Der Standard

Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroomoffice[at]nextroom.at

Tools: