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Puristische Bauten in strahlendem Weiss
Neue Zürcher Zeitung

Ausstellung über Richard Meier in Rotterdam

Er gilt als Meister einer blendend weissen Spätmoderne: der New Yorker Architekt Richard Meier, der in den achtziger Jahren mit skulpturalen Bauten in den USA und in Europa Weltruhm erlangte. Nun feiert ihn das Nederlands Architectuurinstituut (NAI) in Rotterdam mit einer aus Los Angeles übernommenen Retrospektive.

17. März 2001 - Roman Hollenstein
Kreative Neugier, öffentliche Förderung und eine ausgeprägte Diskussionskultur standen am Anfang des holländischen Architekturbooms der letzten 20 Jahre. Kritisch begleitet wird die Entwicklung seit langem vom Nederlands Architectuurinstituut (NAI) in Rotterdam. Dieses begnügt sich nicht damit, die neusten Tendenzen im Lande selbst zu reflektieren. Es lädt auch immer wieder ein zur Auseinandersetzung mit wichtigen internationalen Architekturpositionen. In diesem Rahmen ist die neuste, dem amerikanischen Meisterarchitekten Richard Meier gewidmete Retrospektive zu sehen. Auch wenn dessen Werk heute quer zur niederländischen Architekturentwicklung steht, so war es doch Meiers Entwurf, der 1986 im Wettbewerb für das neue Rathaus von Den Haag den in zwischen zum Guru aufgestiegenen Rem Koolhaas auf die Plät ze verwies und damit eine wichtige Auseinandersetzung auslöste. Der 1995 vollendete Grossauftrag, Meiers komplexestes Werk neben der Getty-Zitadelle in Los Angeles, war für das Rotterdamer Ausstellungshaus denn auch Anlass, die aus europäischer Sicht etwas unzeitgemäss wirkende Schau vom Museum of Contemporary Art in Los Angeles zu übernehmen. Die im grossen Parterresaal des NAI vom Meister selbst erfrischend einfach eingerichtete Retrospektive zeigt die wichtigsten Bauten in Form von Zeichnungen, Plänen, Fotos und einer audiovisuellen Präsentation - vor allem aber mittels prachtvoller weisser Maquetten und eines gigantischen, acht mal dreizehn Meter grossen Originalmodells des Getty Center.

Mit dem Pritzker-Preis von 1984 und der im Jahr darauf erfolgten Eröffnung seines ersten europäischen Meisterwerks, des Museums für Kunsthandwerk in Frankfurt, avancierte der New Yorker zum Liebkind der Architekturszene. Meiers frühe amerikanische Villen und Kulturbauten wurden einem von den baulichen Banalitäten der siebziger Jahre angeödeten Publikum zu Wegweisern in eine schönere Zukunft. Die aus dem Grün von Parks und Küstenlandschaften weiss aufleuchtenden Gebäudeskulpturen waren das Ergebnis einer architektonischen Recherche, die Meier - den einstigen Mitarbeiter von SOM und von Marcel Breuer - auf die Spuren von Le Corbusiers Purismus geführt hatte. Das Interesse an der weissen Moderne teilte er damals mit Eisenman, Graves, Hejduk und Gwathmey, mit denen er 1972 das folgenreiche Manifest «Five Architects» herausgab. Im Gegensatz zu Eisenman interessierte sich Meier allerdings mehr für das Bauen als für die graue oder in diesem Fall doch eher «weisse» Theorie.

Nach kleineren Anfängerbauten gelang ihm 1967 mit dem aus weiss gestrichenem Holz und viel Glas errichteten Smith House in Darien an der Felsenküste von Connecticut der Durchbruch. Die corbusianischen Hauptthemen dieser Villa, die «Wohnmaschine» und das «Schiff», die sich im puristischen Weiss, in Rampen, Brücken, Promenaden und in einer völlig aufgelösten Front zum Meer hin manifestierten, wurden im dramatisch über dem Michigansee inszenierten Douglas House mit Kaminen, Decks und Relings perfektioniert. Mit dem Zentrum für behinderte Kinder in der New Yorker Bronx näherte sich Meier kurz dem Hightech: Hier experimentierte er mit einer Verkleidung aus silbergrauen Aluminiumplatten, die dann - weiss emailliert - im 1979 vollendeten Atheneum von New Harmony erneut auftauchten und seither zum Markenzeichen wurden. Neben den Schiffsmetaphern setzte Meier hier erstmals einen jener barock geschwungenen, geschlossenen Baukörper ein, die bald an puristische Gemälde, bald an Borrominis Kirchenfassaden erinnern, mit welchen er sich 1973 während eines Romaufenthalts beschäftigt hatte.

Jeder dieser drei Bauten stellte einen wichtigen Schritt hin zum High Museum of Art in Atlanta (1983) dar, dessen Foyer als geniale und durchaus kritische Antwort auf Frank Lloyd Wrights New Yorker Guggenheim-Schnecke gelesen werden kann. Dieses meisterhafte Museumsgebäude markiert den eigentlichen Höhepunkt in Meiers Schaffen, denn schon das vielgerühmte Frankfurter Museum für Kunsthandwerk sollte in seiner formalen Exaltiertheit erste Ansätze zu einer Manieriertheit zeigen, der - von Eisenmans pseudophilosophischem Dekonstruktivismus bis hin zu Graves' verspieltem Postmodernismus - auch seine einstigen Mitstreiter erlagen. Seither realisierte Meier nur noch einige kleinere Arbeiten wie das Ackerberg House in Malibu oder das (anders als die Grossbauten in Barcelona, Basel oder Ulm) wirklich überzeugend in den städtischen Kontext integrierte Museum for Radio and Television in Beverly Hills, bei denen die architektonische Verunklärung wieder einem klareren Rationalismus Platz machte. Dies und die Tatsache, dass Meier immer wieder dieselben Themen variierte, dass er die durch Rotationen gegeneinander leicht verschobenen Raster komplexer werden und die Fassaden im geometrischen Formalismus und im kalten Weiss des Emails erstarren liess, führten gerade auf dem alten Kontinent zu einem schwindenden Interesse am Werk dieses Amerikaners, der doch in seiner Heimat als ganz besonders europäisch gilt.

Die Skepsis gegenüber Meiers Schaffen wurde noch durch eine in Europa zunehmend kontextueller und antirationalistischer gewordene Sichtweise gemehrt, aber auch durch die Enttäuschung über das in seiner funktionalen Komplexität formal nicht wirklich bewältigte Getty Center. Nun offenbart die Rotterdamer Schau jedoch, dass Meier sich dieser Problematik durchaus bewusst ist: In seinen neusten Projekten, den Courthouses in Phoenix, Arizona, und in Islip, New York, versucht er sich nämlich aus dem Teufelskreis des Selbstzitats zu befreien. Gelungen ist ihm dies im minimalistisch simplen, fast transparenten Neugebauer House mit dem V-förmigen Dach in Naples, Florida - und ebenso bei der aus sphärisch gekurvten Schalen bestehenden, für das Giubileo geplanten Kirche in Rom, die allerdings kaum vor dem kommenden Herbst geweiht werden dürfte.
[Bis 15. April im NAI in Rotterdam. Katalog: Richard Meier Architect. Hrsg. Richard Koshalek und Dana Hutt. Monacelli Press, New York 1999. 336 S., hfl. 170.- ($ 60.-). ]

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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