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Mit dem Maß der sozialen Kompetenz
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Anna-Lülja Prauns Wohnungs- und Geschäftseinrichtungen wie auch ihre Häuser zeichnet eines aus: Ihre prägenden Eingriffe schaffen einen gestalterischen Freiraum für die Benutzer und Bewohner. Zum 95. Geburtstag der Grande Dame der österreichischen Architektur, der eine Wiener Ausstellung gewidmet ist.

5. Mai 2001 - Judith Eiblmayr
Es waren kosmopolitische Einflüsse, die das architektonische Verständnis von Anna-Lülja Praun formten. Von Bulgarien und Österreich, Rußland und Frankreich gingen die Prägungen aus, die eine fruchtbare Symbiose für jene Vitalität herzustellen vermochten, die die Grande Dame der Architektur kennzeichnen. Ihr biographischer und beruflicher Werdegang durchmißt fast das gesamte 20. Jahrhundert.

Die Öffnung der Universitäten für Frauen machte es auch ihr möglich, als eine der ersten Studentinnen an der Technischen Universität in Graz eine professionelle Ausbildung zu erlangen. Gemeinsam mit Margarete Schütte-Lihotzky ist sie daher eine der wesentlichen weiblichen Repräsentantinnen der österreichischen Architekturgeschichte.

Der Lebensweg führte Anna-Lülja Praun als Kind einer russischen Mutter und eines bulgarischen Vaters nach St. Petersburg und Sofia, in den Ferienmonaten zum Schwarzen Meer und 1924 als Studentin in der Zwischenkriegszeit über die Alpen nach Graz. Während sie hier ihre ersten Karriereschritte machte, wurde ihr Vater in Sofia im Zuge einer politischen Säuberungswelle ermordet.

Die Politik holte Anna-Lülja Praun in der Folge 1934 auch in Österreich ein. Da sie mit dem Architekten Herbert Eichholzer, der der linken internationalen Avantgarde in der Steiermark zuzurechnen war, zusammengelebt hatte, wurde auch sie verhaftet, schließlich aber wieder freigesetzt. Der Nationalsozialismus unterbrach nicht nur ihre Karriere und trieb viele Hochbegabte in die Emigration, er kostete Herbert Eichholzer auch das Leben. Als Widerstandskämpfer wurde er 1943 hingerichtet. Anna-Lülja Praun verließ Graz und kehrte 1939 über Berlin und Paris nach Sofia zurück. Hier arbeitete sie bis 1941 im Ministerium für Eisenbahn und Wasserverkehr.

1942 reiste sie nach Österreich, um ihren Fachkollegen Richard Praun zu heiraten. Noch im selben Jahr kam ihre Tochter Svila zur Welt. Die Schaffensperiode als eigenständige Architektin begann jedoch erst nach ihrer Scheidung mit Mitte Vierzig, als sie ab 1952 in Wien ihr eigenes Atelier führte, in dem sie seit über fünfzig Jahren unermüdlich arbeitet.

Architektur ist für Anna-Lülja Praun nicht nur Qualifikation, sondern Leben. Sie baut fü r Menschen, aber auch an Menschen. Ihre Wohnung war und ist geselliger Treffpunkt der unterschiedlichsten Sparten internationaler Provenienz. In ihrem „offenen Wohnzimmer“, im Kreise bewährter Freundschaften und neuer Zuzüge setzt Anna-Lülja eine Salon-Tradition fort, deren Basis die soziale Kompetenz darstellt. In den jeweiligen Konstellationen können ihre Einflüsse wirksam werden. Hier prägt die Architektin Menschen, indem sie ihnen fachliches Wissen weitergibt. So ist sie als Person und als Architektin eine Brücke zwischen Tradition und Moderne.

Bei all den multikulturellen Einflüssen und trotz ihres bis vor dem Zweiten Weltkrieg eingeschränkten Wienbezugs entwickelte sich Anna-Lülja Prauns eigene Möbelbaukunst sehr stark in der Tradition des „Wiener Möbels“. Beeinflußt war sie dabei sicherlich durch ihren Mann Richard Praun, der einer Tischlereidynastie entstammte und ihr wohl direkten Einblick in die Kunstfertigkeit von Handwerkern verschaffte, sowie durch jene von Oskar Strnad und Josef Frank in der Zwischenkriegszeit propagierte moderne Wohnkultur. In den fünfziger Jahren arbeitete sie als Architektin für Josef Franks Einrichtungshaus „Haus & Garten“ in Wien. Nach wie vor verabsäumt sie es nicht, auf die praktischen Vorzüge von Strnad- und Frank-Sesseln, die selbstverständliche Bestandteile ihrer eigenen Einrichtung sind, zu verweisen, wie ganz generell die Auffassung der beiden Architekten in ihrer Wichtigkeit zu verdeutlichen.

Anna-Lülja Praun ist eine Praktikerin, der ein produktives Verhältnis zu „ihren“ Handwerkern und ein daraus resultierendes formvollendetes Produkt wichtiger sind als hehre Theorie. Materialkundigkeit der Architektin ist die eine Sache, viel wichtiger jedoch ist Praun die Kunstfertigkeit des jeweiligen Handwerkers, um die Qualitäten der unterschiedlichen Materialien in einem Möbelstück richtig zur Geltung bringen zu können. Um dies zu erreichen, ist eine sehr direkte, persönliche Auseinandersetzung mit den Professionisten nötig - und diese scheut sie nicht.

Dasselbe gilt für den Umgang mit den Bauherren; dieser Aspekt ist insofern wesentlich, als es sich bei ihren Entwürfen fast ausschließlich um private Direktaufträge handelt. Das Gelingen der diffizilen Aufgabe, das persönliche Umfeld von Menschen zu gestalten, hängt primär vom Einfühlungsvermögen des Architekten und von dessen verinnerlichtem Wissen um scheinbar banale Alltagsabläufe ab.

Gleich wichtig ist die Akzeptanz durch die Bauherrenschaft, das heißt, es ist in hohem Maße Beziehungsarbeit zu leisten, um zu einem für beide Seiten befriedigenden Ergebnis zu gelangen. Voraussetzung dafür ist ein dementsprechend hohes Niveau der Auftraggeber - ein Umstand, über den sich Anna-Lülja Praun bei ihrer Klientel nicht beschweren konnte und kann. Welcher Architekt kann schon auf so außergewöhnliche Bauaufgaben wie Bootseinrichtungen (zum Beispiel für Wolfgang Denzel) oder ein Komponierpult (für György Ligeti) verweisen?

In Prauns Wohnungs- und Geschäftseinrichtungen ist immer der kooperative Ansatz des „Sich-aufeinander-Einlassens“ spürbar. Ihr im Stil unverkennbares Maßmobiliar steht - ganz im Sinne von Strnad und Frank - mit unaufdringlichem Selbstverständnis ne- ben des Bauherrn persönlichen Möbeln und Gegenständen des Alltags. Sie schafft es, trotz ihrer geschmackvoll prägenden gestalterischen Eingriffe eine Qualität an Freiraum für die Bewohner zu erzeugen, in welchem diese ihre eigenen Stilvorstellungen entfalten können.

Das Zusammenspiel dieser zwei Komponenten ergibt die Praunsche Raumkunst, wie sie in ihren zwei umfangreichsten Werken, dem Haus Sailer in Salzburg und dem Haus Ligeti in Wien, in unnachahmlicher Weise spürbar ist. Beweis für das Vertrauen in ihre Gestaltungskompetenz ist die Kontinuität ihrer Bauherrenbeziehungen, die sowohl bei den beiden eben genannten wie vor allem auch bei Wolfgang Denzel über mehrere Jahrzehnte währ(t)en.

Es gibt nur noch ganz wenige Architekten und Architektinnen, die mit der beschriebenen Verve die Gestaltung von Maßmöbeln betreiben. Auch der Wille potentieller Bauherren, in die Exklusivität solch feiner Einzelstücke zu investieren, ist durch die zunehmende Perfektionierung und die Vielfalt industriell gefertigter Produkte zweifellos im Abnehmen begriffen. Es wird spannend zu beobachten sein, ob hinkünftig die Tradition der Wiener Handwerkskunst ihren Stellenwert behaupten und in Form eines eigenständigen Wiener Möbels weiterhin manifest bleiben wird.

Anna-Lülja Praun ist eine wichtige Frau der österreichischen und eine Integrationsfigur der Wiener Architekturszene, die auch im hohen Alter nicht müde wird, ihr Leben mit Kreativität zu füllen, und andere daran partizipieren und davon profitieren läßt.


[Im Haus Wittgenstein (Wien III, Parkgasse 18) ist von 11. bis 24. Mai die Ausstellung „Anna-Lülja Praun - Werk- u. Lebensschau der Architektin zum 95. Geburtstag“ zu sehen (täglich 9 bis 17 Uhr). Zur Ausstellung erscheint ein neuer, von Lisa Fischer und Judith Eiblmayr erstellter Katalog: „Möbel in Balance“, 88 S., geb., S 290, Euro 21,08 (Anton Pustet Verlag, Salzburg).]

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