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Wie ein Phönix aus der Asche
Neue Zürcher Zeitung

Wettbewerb für das Kulturzentrum „Palace“ in Lugano

1. Juni 2001 - Roman Hollenstein
Als frühes Meisterwerk der Schweizer Tourismus-Architektur kommt dem ehemaligen Grand-Hotel Palace in Lugano eine wichtige kulturgeschichtliche Stellung zu. Doch das 1851-55 von Luigi Clerichetti im Stil des Mailänder Klassizismus errichtete und 1903 vom international tätigen Luzerner Hotelarchitekten Emil Vogt aufgestockte Luxushotel verkam nach dem Verkauf im Jahre 1975 durch ein spekulatives Trauerspiel zur Ruine und brannte Anfang 1994 aus. Daraufhin propagierte der freisinnige Sindaco Giorgio Giudici - unterstützt von der Lega - die Idee, die denkmalgeschützten Überreste durch einen Kasino-Neubau zu ersetzen (NZZ 7. 3. 98). Das Volk jedoch wehrte sich dagegen und wollte auf Grund einer Petition das «Palace» als Zeugen einer grossen touristischen Vergangenheit wiederhergestellt sehen. Doch erst als die Kasino-Anforderungen des Bundes Giudicis Tabula-rasa-Projekt bedrohten, wagte er die Flucht nach vorn und machte sich im Stadtrat für den Umbau des «Palace» in ein Kulturzentrum stark. Im Juli 2000 wurde ein zweistufiger internationaler Wettbewerb ausgeschrieben, in welchem die Teilnehmer aufgefordert waren, zwischen Hotelfassaden, Renaissancekreuzgang und Kirche sowie im Park ein Museum, einen Theater- und Musiksaal sowie Wohnbauten zu entwerfen.


Stunde der Wahrheit

Dieser Wettbewerb zählte zweifellos zu den anspruchsvollsten baukünstlerischen Herausforderungen der vergangenen Jahre in der Schweiz, weil architektonische Meisterwerke aus verschiedenen Jahrhunderten erhalten und unter Anwendung einer zeitgenössischen Formensprache zueinander in Bezug gesetzt werden mussten. Die Präsentation der Resultate (vom 21. Mai bis 1. Juni im Ausstellungszentrum Mac 7 in Lugano; NZZ 23. 5. 01) machte klar, dass die hochkarätige Jury unter dem Vorsitz von Mario Botta gute Arbeit geleistet hat. Auch wenn in der zweiten Runde vier Projekte einheimischer Architekten die vordersten Plätze belegen, trifft der verschiedentlich laut gewordene Vorwurf, einmal mehr habe die «Ticino Connection» gespielt, nicht zu. Die Jury würdigte vielmehr die Tatsache, dass Tita Carloni, Ivano Gianola, Michele Arnaboldi und Sebastiano Gibilisco am sorgfältigsten auf den historischen Ort und die städtebaulich empfindliche Lage am See eingegangen sind.

Dem grossstädtischen Erscheinungsbild des «Palace» zollte Carloni am meisten Respekt. Viele auswärtige Architekten hingegen ignorierten die Bedeutung der klassizistischen Schaufront als Südeingang zum Centro storico, die doch Anlass zum Wettbewerb gegeben hatte, und sahen sich durch das zu erhaltende Gemäuer in ihrer Kreativität gehindert. Dies bewirkte in zahlreichen Entwürfen eine Degradierung des «Palace» zum Bühnenbild oder zur potemkinschen Fassade, was einer endgültigen Zerstörung des Gebäudes gleichkäme. Selbst Dominique Perrault kokettierte mit dieser simplen Lösung: Der Architekt, der im Niemandsland hinter der Pariser Gare d'Austerlitz den kontroversen, aber wichtigen Neubau der Bibliothèque nationale de France zustande gebracht hatte, versagte vor der Luganeser Herausforderung kläglich mit einer hoch über den Ruinen des «Palace» aufgeständerten goldenen Theaterkiste. Wie Perrault blieben auch die anderen Stars - Bellini, Chipperfield, Kleihues - schon im vergangenen Herbst bei der ersten Sichtung der 122 eingereichten Projekte auf der Strecke.

Dabei konnten hier die Architekten wie selten sonst ihre Fähigkeit, mit dem historischen Kontext umzugehen, unter Beweis stellen. Dazu eignet sich allerdings weder ein postmoderner Mix aus Rossi-Bauten und Turiner Schlossplatz noch eine gestenreiche dekonstruktivistische Rahmenkonstruktion in der Art der Grazer Domenig-Adepten Wolff-Plotegg und Böhm. Interessanter ist da der Versuch von Hans Frei und seinen Kasseler Mitarbeitern, die Neubauten in den Hügel einzugraben, um sie dann durch Folies à la Bernard Tschumi im Park anzudeuten. Noch diskreter verstecken die Zürcher Herczog Hubeli Comalini ihr Theatergehäuse im Berg, während der St. Galler Marcel Ferrier sein Theater in den eigens terrassierten Grünraum integriert. Völlig unabhängig voneinander bedrängen die beiden Mailänder Architekten Pierluigi Nicolin und Mario Bellini das «Palace» mit einem Neubau in der Form einer riesigen ovalen Pillbox. Sonst aber dominiert bei den Italienern der Hang zur planerischen Hysterie, die nun auch bei den jüngsten Tessinern vermehrt Gehör zu finden scheint.

Eine nicht ganz unberechtigte Kritik an den Veranstaltern, die vielleicht zu viel auf dem historischen Gelände unterbringen wollten, wagt der angekaufte Entwurf des Berliner Architektenteams um Uli Ackva, das schon im vergangenen Jahr mit dem Umbauprojekt für eine ehemalige Fabrik in Vaduz in Fachkreisen Aufsehen erregte. Um nicht an beliebiger Stelle einen Theaterneubau hinzusetzen, bringt es das gesamte Bauprogramm hinter den «Palace»-Fassaden unter und opfert dafür den Renaissance-Kreuzgang, der allerdings einen unantastbaren Bestandteil des nationalen Baudenkmals von Santa Maria degli Angeli darstellt. Als einziges äusseres Zeichen weist eine entfernt an den gläsernen Leuchtbalken der Tate Modern erinnernde Aufstockung auf die Eingriffe hinter dem klassizistischen Gemäuer hin. Das Wettbewerbsprogramm kritisiert ein weiteres Projekt, das ebenfalls angekauft wurde: Nicole und Sandro Cabrini aus Lugano stellen ihren halbtransparenten Theaterpavillon just dort an den See, wo sich bis vor gut 80 Jahren eine malerische Häusergruppe mit der Renaissance-Kapelle Santa Elisabetta befand. Ein naheliegender Vorschlag - doch verlangt die prominente Lage an der Bucht von Lugano entschieden nach einem genialen Wurf à la Utzon in Sydney, Nouvel in Luzern oder Gehry in Bilbao.


Intelligente Lösungen

Solch seltene Glücksfälle lassen sich kaum herbeizaubern: Auch unter den vier Siegerprojekten - so intelligent sie die Aufgabe angehen - ist keines auszumachen, das in allen Punkten befriedigt. Carloni überzeugt durch einen denkmalpflegerisch behutsamen Umgang mit dem ruinösen Baukörper und den Fassaden, die er bis hin zu Clerichettis klassizistischer Farbgebung und Vogts Dachabschlüssen restauriert. Auch in der Klarheit des Plans, die sich in der Placierung der übrigen Bauteile (Theater und Wohnblock) äussert, besticht sein Vorschlag. Leider aber gleicht der verglaste Theaterkubus allzu sehr einer «banca in periferia». Zu einer ähnlichen Setzung der Bauten fand Gibilisco, ein bis anhin wenig bekannter Nachwuchsarchitekt. Allerdings wirkt seine Wohnsiedlung am Hang eher schwerfällig - verglichen etwa mit den über einem parallel zum Hügel gelegten Basiskörper elegant auskragenden Wohnkuben von Roberto Briccola, dessen Entwurf wegen sonstiger Mängel nicht in die zweite Runde kam. Bei Arnaboldi gefällt die deutschschweizerisch anmutende Grundrissgestalt, dank der sich das «Palace» in eine spannungsreiche Stadtfigur verwandelt. Gianola schliesslich führt die Volumetrie des «Palace» geschickt fort und fügt - ähnlich wie der leer ausgegangene Chipperfield - dem Altbau einen bergseitigen, für das Theater bestimmten Flügel an.

Nun müssen sich die vier Sieger auf Wunsch von Stadt und Jury zu einer gemeinsamen Lösung zusammenraufen. Es wäre jedoch durchaus zu erwägen, die Restaurierung und Erneuerung des «Palace» direkt Carloni zu übergeben, die Wohnbauten am Hang unter allen vier Beteiligten ausmachen zu lassen und für das Theater, das in der von Carloni und Gibilisco vorgeschlagenen Position zu einem prägnanten Bau werden könnte, einen kleinen Wettbewerb unter den Siegern und einigen gezielt geladenen Architekten (etwa Ben van Berkel, Zaha Hadid, Steven Holl oder Peter Zumthor) auszuschreiben. So bestünde die Chance, dass neben dem «Palace» als erstrangigem Zeugen der Baukultur des 19. Jahrhunderts ein ins 21. Jahrhundert weisendes Gebäude entstehen könnte.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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