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Die Landschaft unter dem Sternenhimmel
Der Standard

Der internationale Starrummel um Spitzenarchitekten verstellt den Blick auf die breite Front der wackeren Streiter im Dienste guter Architektur.

29. Dezember 2001 - Ute Woltron
Die letzten Tage des Jahres verleiten gerne zu so genannten Rückblicken, zu einer Art Wiederkäuen und Verdauen des Gewesenen, was nur dann Sinn macht, wenn die Analyse des zurückgelegten Weges einen Fort-Schritt in die Zukunft weist.

Was die Architektur anbelangt, so hat das vergangene Jahr einen massiven Trend fortgesetzt, der seit einiger Zeit unaufhaltsam scheint: Die internationale mediale Aufmerksamkeit für diese öffentlichste aller Kunstdisziplinen ist weiter gestiegen - und mittlerweile hat sie in Form heftigen Prominentenrummels durchaus gefährliche Höhen erreicht. Wer stets nur die Bergspitzen und den Sternenhimmel darüber betrachtet, der verliert leicht den Überblick über die Täler und ihre verborgenen Schönheiten.

Die fast schon hysterische weltweite Anbetung von Architektur-Stars aller Art in allen Gazetten lässt diejenigen ein wenig in eine vergessene Einsamkeit rutschen, die sich lokal jahrein jahraus der Mühen der Ebene annehmen und mit konstant guter Arbeit einen unschätzbaren, öffentlich erstaunlich unbeachteten kulturellen Beitrag leisten. Jeder Volkswirt weiß und kann das auch vorrechnen, dass vor allem die gesunden mittelständischen und kleineren Betriebe die Räder in Gang halten, dass sie Krisenzeiten abpuffern und das Leuteausbilden übernehmen, während die begehrten und mit Förderungsmitteln aller Art umworbenen Multis gerne schnell das Handtuch werfen, Personal abbauen, abwandern, volkswirtschaftliche Totalpleiten hinlegen, wenn die Rendite einmal nicht den Konzernerwartungen entspricht.

In der Architektur, die ihrerseits als Wirtschaftszweig angesehen werden muss, funktioniert das Spiel ganz ähnlich. Gegen eine gesunde, zugkräftige Prominenz ist dabei selbstverständlich in keiner Branche etwas einzuwenden, im Gegenteil: Jede Szene braucht ihre Propheten, Ausrufer, Glitzergestalten, Reibebäume, doch in Maßen zelebriert ist auch gefeiert.

Mittlerweile ist es fast schon egal geworden, was Größen wie etwa Frank O. Gehry, Rem Koolhaas, Herzog & de Meuron oder Norman Foster, um nur ein paar der Fixsterne anzuvisieren, auf die grüne Wiese stellen: mediale Kritik wird kaum je laut, eine konstruktive, gründliche Auseinandersetzung mit Starprodukten rotiert höchstens kurz in Kritikerkreisen, die mächtigeren Mediengeschütze fahren meistens voll auf diese Art von Gebäudekult ab, und wirklich gut tut das vor allem der Architektur selbst nicht.

Denn wenn wichtige städtebauliche Widmungen, wie etwa besondere Gebäudehöhen, nur mehr in Kombination mit klingenden Architektennamen an Bauträger quasi als Förderungen vergeben werden, hört sich der Sternenspaß ganz schnell auf, dann geht die Politik in vorauseilendem Gehorsam vor der Macht der Medien in die Knie, und die bestimmende Architekturkritik findet letztlich nur mehr auf den Adabei-Prominentenseiten der Zeitungen statt.

Dabei verfügt die heimische Bauszene über eine gut gewachsene Schar tadelloser Architekten und Architektinnen, sie alle werden sich im kommenden Jahr wieder wacker durch Höhen und Tiefen ihres schwierigen Geschäftes kämpfen. Medial oder gar mittels Förderungen unterstützen wird sie, im Vergleich zu anderen Branchen, kaum jemand dabei, obwohl die architektonischen Produkte als wichtiges Allgemeingut die Landschaft prägen.

Das kommende Jahr wird auch für diese Bauszene ein paar erfreuliche internationale Highlights bringen. Zaha Hadids Bergisel-Schanze wird gerade eingesprungen, im April eröffnet man das neue Gebäude des Österreichischen Kulturinstituts in New York von Raimund Abraham, im Mai erfolgt die feierliche Seidenschleifendurchschneidung von Hans Holleins Vulkan-Museum in der Auvergne. Zuhause wird man derweilen darüber weiterstreiten, ob die abgebrannten Sophiensäle in Wien rekonstruiert oder doch besser zu einem ordentlichen Bauplatz für Zeitgenössisches plattgewalzt werden sollen. Es werden zahllose unpraktische Häuslbauerhäuser ihre Satteldachgleiche feiern, es werden aber auch viele feschere darunter sein, die Anleihe genommen haben an den gut durchdachten, geschickt einfachen Familienvillen, die, vor allem in Westösterreich, im vergangenen Jahrzehnt von Architekten geplant wurden.

Mitte des Jahres stehen die Kammerwahlen an, und dem Vernehmen nach rumort es bereits jetzt heftig im Gebälk der Architektenvertretung. Diverse Misstände müssen rasch in Angriff genommen werden, um der Zunft auch künftig ein Auskommen zu sichern: Der so genannte Witwen-und-Waisen-Fonds der Kammer, die Pensionsregelungen, das bundesweite Anerkennen der Wettbewerbsordnung, die allgemein grassierende und auch von den Architekten selbst verschuldete Unmoral bezüglich der Gebührenordnung - all das sind wichtige Themen, die diskutiert und in geordnete Bahnen gelenkt werden müssen. Es wird ein spannendes Architekturjahr werden.

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