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Belle Epoque am Genfersee
Neue Zürcher Zeitung

Der Architekt Eugène Jost in einer Lausanner Ausstellung

20. Juli 2001 - Roman Hollenstein
Die Relativität unserer Sicht der Welt brachte im Bereich der Bilder und der Zeichen kaum einer so provokativ auf den Punkt wie der ungarisch-amerikanische Grafikdesigner Tibor Kalman in den von ihm gestalteten Ausgaben der Benetton-Zeitschrift «Color». Dem Schaffen dieses 1999 im Alter von 50 Jahren verstorbenen Gestalters widmet gegenwärtig das Lausanner Design-Museum «Mu.dac» eine irritierende Retrospektive. Blickt man - angeregt von Kalmans visuellen Fallen - vom Belvedere des Museums über Stadt und See, so wird einem bewusst, wie anders wir die Ufer des Léman sehen als noch die britischen Grand-Touristen, die - angelockt von Jean-Jacques Rousseaus «Nouvelle Héloïse» - rund um Montreux das irdische Paradies zu finden hofften.

Da sich aber das einfache, unverdorbene Leben angenehmer von bequemer Warte aus betrachten liess, boten die gewitzten Gasthausbesitzer und späteren Hoteliers in ihren Häusern immer mehr Komfort. Als dann mit der Eisenbahn ab 1860 immer mehr Gäste die milden Gestade von Montreux aufsuchten, entstand hier ähnlich wie an der Côte d'Azur ein Eden der Belle Epoque: Wo sonst konnte man unter Palmen und Zypressen lustwandeln und dabei einen Blick auf das schneebedeckte Hochgebirge werfen? Diese gründerzeitliche Welt liegt weit zurück, und gleichwohl ist sie - selbst inmitten der Jahrmarktstimmung des Jazzfestivals - zumindest architektonisch noch zugegen, bildet doch das «Montreux Palace» mit all seinen Annexbauten und dem einstigen Pavillon des Sports (mit dem restaurierten Tea-Room La Coupole) das vielleicht eindrücklichste Fin-de-Siècle-Ensemble unseres Landes.


Virtuose Entwürfe

Erdacht wurde diese grossbürgerliche Herrlichkeit von Eugène Jost (1865-1946), der - an der Ecole des Beaux-Arts in Paris ausgebildet - seit 1892 in Montreux tätig war als Architekt. Diesem lange Zeit vergessenen Baukünstler widmen nun die Archives de la construction moderne der ETH Lausanne im Forum d'architectures (FAR) eine eindrückliche Werkschau. Virtuose Entwürfe aus seiner Studienzeit zeigen Jost als genialen Zeichner und Erfinder, während die mit Plänen, Aquarellen und zeitgenössischen Photographien dokumentierten Bauten seine Fähigkeit belegen, der jeweiligen Aufgabe entsprechend mit den Stilen zu spielen und diese unter Anwendung aller technischen Errungenschaften den neuen Typologien von Bahnhof, Post oder Hotel anzupassen.


Gekonnte Realisierungen

Schon während er an der Restaurierung des Lausanner Schlosses arbeitete, konnte sich der 31-jährige Senkrechtstarter 1896 in einem Wettbewerb den Auftrag für das Hauptpostgebäude an der Place Saint-François sichern. Dieses eindrückliche, von der Schlossarchitektur der französischen Renaissance inspirierte Gebäude beherrscht noch heute in seiner ganzen Pracht das Weichbild der Stadt, auch wenn das Innere der durch die Eckrisalite zugänglichen Schalterhalle verunstaltet wurde. Neben der Post, dem nahe gelegenen Sitz der Credit Suisse, einem Mehrfamilienhaus und der Eisenkonstruktion des Pont Charles-Bessières besitzt Lausanne mit der überschwänglich neobarocken Rotunde des Hotels Beau Rivage in Ouchy ein weiteres Hauptwerk des Architekten. Josts übrige Bauten aber finden sich - die Berner Bollwerkpost ausgenommen - in Montreux. Der Bahnhof sowie mehrere zwischen Neugotik, zweitem Rokoko und Art nouveau changierende Villen und Hotels, darunter die denkmalgeschützten Ensembles von «Palace», «Grand-Hôtel» und «Hôtel des Alpes», werden gleichsam bewacht vom hoch oben am Berg thronenden «Caux Palace», einem riesigen und dennoch höchst pittoresken, von mittelalterlichen Türmen überragten Luxushotel.

Wie überlegt Jost, einer der grossen Hotelarchitekten der Schweiz, bei seinen Stilmischungen vorging, zeigt sich bei seinem Anbau an das «Hôtel Europe», dessen schwülstige Kurven er mit seinem streng gezeichneten Vokabular korrigierte. Trotz ihren unbestreitbaren architektonischen Qualitäten schienen Josts Belle-Epoque-Paläste mit dem durch den Ersten Weltkrieg eingeleiteten Niedergang des Luxustourismus dem Tod geweiht. Doch blieben sie wunderbarerweise bis auf das Casino erhalten. Die Karriere des einst von Hoteliers und Investoren umworbenen Architekten aber endete damals abrupt, auch wenn sich Jost 1928 noch am Wettbewerb für das Lausanner Métropole beteiligte. Allein, der Zuschlag ging an den nur sieben Jahre jüngeren Alphonse Laverrière, der den Schritt hin zu einer moderaten Moderne noch schaffte.


[Bis 29. Juli im FAR an der Avenue Villamont 4. Begleitpublikation: Eugène Jost. Architecte du passé retrouvé. Hrsg. Dave Lüthi. Presses polytechniques et universitaires romandes, Lausanne 2001. 200 S., Fr. 49.70. - Ausserdem kostenloses Faltblatt zu Eugène Josts Bauten in Lausanne und Montreux. ]

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