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Architektur als Entertainment
Neue Zürcher Zeitung

New York zelebriert den Architekten Frank O. Gehry

7. Juli 2001 - Roman Hollenstein
Der New Yorker Ausstellungssommer steht ganz im Zeichen der Architektur. Mit einer monumentalen Doppelausstellung wird Mies van der Rohe geehrt; und das Solomon R. Guggenheim Museum zelebriert in einer grossen Retrospektive das Schaffen von Frank O. Gehry. Der kalifornische Meisterarchitekt nutzt mit viel künstlerischem Geschick die schwierige Rotunde des Wright-Baus für einen fulminanten Auftritt.

In einer Zeit, da die Jugend alles gilt, traut man dem Alter kaum noch Visionen zu. Manch einer reibt sich daher erstaunt die Augen, wenn er in der neusten Guggenheim-Ausstellung in New York feststellt, dass der Exzentriker, dem hier gehuldigt wird, schon 72 Jahre alt ist. Frank O. Gehry, 1929 in Toronto geboren und seit nunmehr 40 Jahren im Grossraum Los Angeles als Architekt tätig, gehört zu jenen Künstlern, denen - wie etwa Kandinsky - erst spät Erfolg beschieden war. Fast wie eine Komposition von Kandinsky wirkt denn auch die mit einem Gespinst aus Wellblech, Maschendraht und Spanplatten umhüllte Gehry Residence in Santa Monica, mit der er 1978 erstmals die Fachwelt irritierte.

Dieses Werk - halb Skulptur, halb biederes Vorstadthaus - liess sich nicht leicht einordnen. Wohl verstiess es gegen die Tradition der Moderne, doch wollte es nicht in die postmoderne Welle jener Jahre passen. Es brauchte Philip Johnson, das Enfant terrible der amerikanischen Architektur, um «Frank Gehry's Merzbau» 1988 in der MoMA-Ausstellung «Deconstructivist Architecture» in einen stilistischen Kontext zu stellen.

Rasanter Aufstieg
Bereits ein Jahr zuvor hatte der Basler Rolf Fehlbaum Gehry nach Europa geholt und ihn mit dem Bau des Vitra-Design-Museums in Weil am Rhein beauftragt, das nach seiner Eröffnung 1989 als neues Ronchamp sogleich zu einem Wallfahrtsort des internationalen Architekturtourismus wurde. Nicht zuletzt dieser fern am Horizont ganz neue Dimensionen ankündigende neobarocke Musentempel trug Gehry noch im gleichen Jahr mit dem Pritzker Prize die prestigeträchtigste Auszeichnung der Branche ein. Erneut Furore machte er anlässlich der 5. Architekturbiennale von 1991 in Venedig mit der Präsentation seiner bis heute nicht vollendeten Walt Disney Concert Hall in Los Angeles. Damit begab sich Gehry in die Arme von Dream Factory und Entertainment Industry, deren Rezepte damals gerade vom Guggenheim Museum übernommen wurden. Dieses ermöglichte ihm den Jahrhundertbau von Bilbao, der 1995 während der Kunstbiennale Venedig bei Peggy Guggenheim ausgestellt wurde (NZZ 14. 6. 95). Hier konnte er erstmals demonstrieren, wie eng und einzigartig in seinem Workshop traditionelles Handwerk, bildhauerische Virtuosität und Hochtechnologie zusammenspielen.

Dieser venezianische Ausstellungstriumph wird nun im New Yorker Solomon R. Guggenheim Museum noch übertroffen. Mit künstlerischem Gespür steckte Gehry die grosse Spirale von Frank Lloyd Wrights Meisterwerk in ein silbernes Kettenhemd, hinter dem man auf der Schneckenrampe bunte Modelle erahnen kann. Es wundert nicht, dass das hochkommerzialisierte Ausstellungsunternehmen Guggenheim die populär inszenierte Schau vor allem dazu benutzt, um Goodwill für sein umstrittenes Projekt einer Dependance in Lower Manhattan zu schaffen. Das dürfte ihm gelingen, denn der Ausstellungsauftakt ist mit den Maquetten dieses Museumsprojekts schlicht atemberaubend: Eine sich im East River spiegelnde Wolke aus Titan schwebt um einen gläsernen Turm, der wie eine Reminiszenz an das kürzlich gescheiterte «New York Times»-Hochhausprojekt wirkt. Durch die weit über dem Strassenniveau sich öffnenden Fenster erblickt man kleine Figürchen vor miniaturisierten Serra-Plastiken und Stella-Bildern. Betört von dieser Puppenstube, pilgert das Publikum anschliessend die Rampe hoch - vorbei an zahllosen architektonischen Miniaturen, die anders als die nur vereinzelt aufgelegten Planbücher auch für Laien lesbar sind und die es ihnen so gestatten, die Werkentwicklung zu studieren. Die frühen Fingerübungen, die Bricolage der schrägen Gehry-Residence, die kubischen Villen der achtziger Jahre und der klassizistisch anmutende Campus der Loyola Law School in Los Angeles zeigen noch einen Suchenden. Doch dann markieren die beiden Vitra-Bauten in Weil am Rhein und Birsfelden die grosse Öffnung hin zu den barock wirbelnden Kulturbauten, aus denen die metallenen Girlanden bald organisch quellen, auf denen sie bald aber auch wie appliziert erscheinen.

Der Architekt als Künstler
Der entwerferische Akt, der bei Gehry immer ein plastisch-gestalterischer und kein abstrakt-konzeptioneller Vorgang ist, feiert in der Lewis Residence Triumphe. Dieser nicht realisierte Schlüsselbau diente dem Meister über Jahre als Laboratorium. Er führte ihn hin zum computertechnischen Entwurfssystem «Catia» und ermöglichte damit erst die Entstehung der stählernen Magnolie von Bilbao. Dass Gehry daneben aber auch ganz banale Ideen entwickelte, zeigt das Bürohaus «Fred und Ginger» in Prag, dessen Fassadenentwurf mit den einfältig tanzenden Lochfenstern seither bei Wohn- und Verwaltungsbauten immer wieder auftaucht und die Grenzen seines Formenvokabulars in der Alltagsarchitektur eindrücklich demonstriert. Doch Gehry wäre nicht Gehry, könnte er sich nicht immer wieder auffangen. So entwarf er für den Pariser Platz eine vergleichsweise traditionelle Steinfassade, die sich jedoch schnell als höchst intelligente Antwort auf den Berliner Klassizismus entpuppte. Hinter der steinernen Lochfassade explodiert dann der Raum, um sich im schwebenden Pferdekopf des Konferenzzentrums, eines trendigen Stücks Computerarchitektur, wieder zu verdichten.

Gehrys Masslosigkeit beim Zusammenstellen dieser Schau führt dazu, dass er sein eigenes Werk zerredet. Gleichzeitig aber gelingen ihm auch immer wieder Sequenzen oder ganze Räume von faszinierender Dichte: etwa das nächtliche Aquarium des ersten Ausstellungssaals im Gwathmey-Annex mit den schummrig illuminierten Kartonmöbeln und den durch den Raum schwimmenden Fisch-Leuchten - oder die Studioatmosphäre evozierende Präsentation des gesamten Plan-, Skizzen- und Modellmaterials für das Stata Center auf dem MIT-Campus in Cambridge. Obwohl Gehry den neusten Projekten viel Platz einräumt, vermisst man eine Arbeit: den Entwurf für das New Yorker Hotel Astor Place, mit dem er sich schon auseinandersetzte, bevor Ian Schrager die Zusammenarbeit mit Herzog & de Meuron und Rem Koolhaas quittierte (NZZ 27. 6. 01). Gespannt fragt sich New Yorks Architektenszene nun, ob Gehry dafür das einer gigantischen Fazzoletti-Vase aus Muranoglas gleichende «New York Times»-Projekt, dessen Scheitern ihn so schwer getroffen hat, aus der Mottenkiste zaubert.

Die Vorgänge um das Astor-Place-Projekt zeigen ebenso wie die Ausstellung selbst, dass in der Gunst des grossen Publikums das Verspielte stets über das Intellektuelle siegt. Die Schau im Guggenheim ist ein Fest für die Sinne, aber tiefere architektonische Erkenntnis bringt sie kaum. Dass der politische, soziale, geschichtliche und baukünstlerische Kontext unterschlagen wird, ist bei monographischen Ausstellungen leider längst die Norm. Vom Katalog aber, der im Grunde nichts anderes als einen bunten Bilderreigen durch Gehrys Schaffen bietet, hätte man einen erweiterten Blick erwarten dürfen.


[Bis 26. August. Katalog: Frank Gehry. Architect. Hrsg. Fiona Ragheb. Abrams, New York 2001, und Hatje Cantz Verlag, Ostfildern 2001. 390 S., Fr. 116.- ($ 45.-/75.- in der Ausstellung).]

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