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Vom Bauen in der Warteschleife
Spectrum

Die Aussichten für die Architekten der Steiermark, sich international erneut als Markenzeichen zu behaupten, sind derzeit gering. Nicht, dass kein kreatives Potential vorhanden wäre - was fehlt, ist ein Bekenntnis zur Förderung durch die öffentliche Hand.

21. Juli 2001 - Karin Tschavgova
Noch kann sie nicht in Frieden ruhen, die „Grazer Schule der Architektur“. Sie muß herhalten zur Grenzziehung für die jüngste Architektengeneration, die zwar nichts mehr zu tun haben will mit ihr, sich mit „Nach der Grazer Schule“ letztlich aber doch über sie definiert. Sie dient jenen als quotenträchtiges Schlagwort, an deren Ohr mit erheblicher Zeitverzögerung gedrungen ist, daß mit ihr Staat und bare Münze zu machen sei. Und sie taucht auf als Seufzer, als Reminiszenz an eine bessere Zeit in den Köpfen der vielen damaligen Nutznießer unter den Architekten.

Unbestritten verkörpert sie eine produktive Ära außerordentlich ambitionierten Architekturgeschehens, die, 1980 als „Modell Steiermark“ initiiert, mehr als zehn Jahre getragen war vom dezidierten politischen Bekenntnis zu Baukultur und ihrer Ermöglichung durch die öffentliche Hand. Ihr Ende begann mit geänderter Macht- und Kompetenzverteilung nach den Landtagswahlen 1991, als das Ressort des Wohnbaus einem Landesrat untergeordnet wurde, der im damals schon mit internationalem Lob versehenen steirischen Wohnbau eine Spielwiese für künstlerische Selbstverwirklichung sah, der er den Garaus machen wollte. 1996 wurde die für Hochbau zuständige Fachabteilung 4a des Landes zerschlagen. Ein unwürdiges Ende für eine Bewegung, deren Exponenten noch leben und arbeiten müssen. So geistert die Grazer Schule der Architektur unerlöst herum, vielleicht auch, weil sie nie einer kritischen Rückschau und Selbstanalyse unterzogen wurde.

Peter Blundell Jones, Kritiker der renommierten englischen Zeitschrift „Architectural Review“, spricht im Buch „Dialog in Time - New Graz Architecture“ von „windows of opportunity“ als zeitlich begrenzten guten Bedingungen für ein offenes kulturelles Klima, die, wie die Geschichte zeigt, nie sehr lange anhalten. So gesehen entsprächen die Veränderungen seit den frühen neunziger Jahren einem logischen Wechsel der Zeitläufe, in die auch die Auswirkungen des Sparprogramms einzurechnen sind. Es schiene auf den ersten Blick erklärbar, daß der neue Landesrat, der neben Tourismus, Sport und Kultur auch für den Wohnbau verantwortlich ist, die Fördermittel bis zum nächsten Jahr auf 1200 Wohnungen jährlich halbieren will und Gutachterverfahren (als taugliches Wettbewerbsinstrumentarium mit einer kleineren Anzahl geladener Architekten) erst ab 50 Wohneinheiten je Bauvorhaben zwingend vorschreibt.

Diese Maßnahmen stellen eine Existenzgefährdung für rund 45 Prozent der steirischen Architekten dar, die im Wohnbau tätig sind. Wer sich nicht schon zuvor, frustriert vom alltäglichen Beschneidungsritual genossenschaftlicher Wohnbauwillkür, andere Betätigungsfelder auftun konnte, ist arm dran, denn ein langfristiges Konzept zur Förderung zeitgenössischer Baukultur als gebauter Einschreibung in die Entwicklung des Landes ist nicht erkennbar.

Kein Klima für Architektur - daran ändert auch nichts, daß einzelne Projekte in letzter Zeit fast beschwörend als Architektur-Highlights angepriesen werden. Wer die blamable Genese eines Kunsthauses in drei Varianten und Standorten mitverfolgt hat, die Querelen um die Stadthalle, die jahrelange Verzögerung des Hauptplatzprojekts, die vertane Chance der Stadt, die Thalia, ein Fünfzigerjahre-Juwel, zu erwerben, um dadurch Art und Weise ihrer Verwendung selbst zu bestimmen, die zahlreichen nicht wettbewerbs-analog realisierten Wohnbauten, der sieht alles nüchterner.

Vielen Architekten im Lande geht es schlecht. Ob die nachschiebende Generation, deren Strategie zu sein scheint, sich in Gruppenstärke professionell, cool und optimistisch zu geben, ohne Starthilfe und Rückendeckung der Politik auskommen kann, wird sich zeigen. Ihr löbliches Selbstverständnis: weg vom Künstlertum, hin zum Dienstleister mit umfassendem Qualitätsangebot, allein bringt noch keine vollen Auftragsbücher. Die Steiermark ist nicht Vorarlberg, wo der Wert von Investitionen in Architektur so weit erkannt wurde, daß Arbeit in ausreichendem Maß vorhanden ist.

Im Jahr 2003 wird Graz als einzige Stadt Europas den Titel Kulturhauptstadt tragen, was ihr und dem ganzen Land einen immensen Imagegewinn und Investitionsschub bringen soll. Ein Leitthema wurde von der Intendanz nicht vorgegeben, wohl aber Schwerpunkte, zu denen man Architektur und „Stadtbefindlichkeit“ zählt. Eine Einladung zur Ideenfindung erging Anfang 1999 an die Architekten als eine Gruppe unter vielen. Für sie wäre 2003 eine Chance gewesen, Architektur aus der Steiermark neu zu positionieren, abseits der von der Intendanz vereinnahmten Bauvorhaben, die teils davor projektiert wurden und ohnehin realisiert worden wären. Einen medialen Wirbelsturm werden diese mit Ausnahme des Kunsthauses, dessen Realisierung bis 2003 mehr als ungewiß scheint und das kein Lebenszeichen der steirischen Architekten darstellt, nicht entfachen. Man hätte sich ein spektakuläres Projekt einfallen lassen müssen, einen Eyecatcher, an dem die internationale Presse nicht vorbeigekommen wäre.

Das hätte ein aufrüttelnder, irritierender, auch polarisierender, jedenfalls medienträchtiger und nicht zu übersehender Eingriff in das Stadtgefüge sein können, etwa das, was für Intendant Lorenz nun die in ihrer Sinnhaftigkeit sehr umstrittene, mindestens 70 Millionen Schilling (5,09 Millionen Euro) teure Murinsel von Vito Acconci ist. - Es ist eine Grundsatzentscheidung, ob man bei einem auf Events bauenden Kulturprogramm dabeisein möchte, und es ist klar, daß auch mediale Präsenz und internationale Reputation noch keinen Architektursommer machen.

Sie kann Initialzündung für eine nachhaltige öffentliche Diskussion sein, vor der Verantwortungsträger nicht die Ohren verschließen können. Heute muß man sich vielleicht dieser Mechanismen bedienen, auch wenn man Inhalte transportieren will. Wenn Peter Stein den „Faust“ ungekürzt in einem Stück spielen läßt, wird es zum viel kommentierten Medienspektakel, verliert deshalb aber noch lange nicht an Niveau.

Eine 1999 gegründete Architekturplattform hat sich mit Vorlage einer Projektmappe im Juni 2001 offensichtlich entschieden mitzumachen. Und ist umgehend damit abgeblitzt, unter Hinweis auf die allzu späte Einreichung und auf die Bedingung, die vielen unterschiedlichen Ideen als Gesamtpaket zu akzeptieren. Die zündende Idee war nicht darunter. Schade um die Chance, die die Architekten selbst in der Hand gehabt hätten und die vertan wurde. Eine Klimaverbesserung ist trotz ausreichend vorhandenem kreativem Potential im Land nämlich nicht in Sicht, weder im Wohnbau noch anderswo.

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