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Eine Schlange am Guadalquivir
Neue Zürcher Zeitung

Rem Koolhaas' Kongressgebäude für die Kalifenstadt

4. August 2001 - Klaus Englert
Lange Zeit zehrte das verschlafene Córdoba vom Ruhm seiner grossen Vergangenheit. Nun wagt die Stadt am Guadalquivir den Sprung ins 21. Jahrhundert. Neben der Neugestaltung der Uferanlagen wird zurzeit das Projekt für ein Centro de Congresos de Córdoba (CCC) genanntes Tagungszentrum diskutiert, das nach den Plänen von Rem Koolhaas in einer Flussschleife nahe der alten Römerbrücke realisiert werden soll.

Die Vergangenheit galt bisher als Córdobas Attraktion. Die von den Karthagern gegründete andalusische Stadt bauten die Römer zur prosperierenden Kolonie aus, von der heute noch die Brücke über den Guadalquivir zeugt. Seine Glanzzeit erlebte Córdoba, nachdem die maurischen Omaijaden im 8. Jahrhundert nach Spanien übergesetzt waren, die Stadt zum Sitz des Kalifats gemacht und einzigartige Werke in Architektur, Kunsthandwerk, Wissenschaft und Literatur hervorgebracht hatten. Noch heute mag die Altstadt nostalgischen Touristen wie eine Schatztruhe vorkommen. Doch die Politiker haben erkannt, dass Córdoba nicht auf Dauer von der ruhmreichen Tradition leben kann. Als César Portela vor zwei Jahren nördlich der Altstadt den neuen Busbahnhof baute, gelang es ihm, römische Überreste in moderne Bauformen zu integrieren.


Zeitgemässes Image

Der Erfolg des mit dem spanischen Architekturpreis ausgezeichneten Busbahnhofs mag die Baubehörde dazu bewogen haben, ein Bild der zukünftigen Stadt zu entwerfen. So wurde im Januar ein internationaler Wettbewerb für das Centro de Congresos de Córdoba (CCC) ausgeschrieben, der wegweisende und hochkarätige Architektur garantieren sollte. Ähnlich wie sich das mittelalterlich geprägte Santiago de Compostela mit Bauten von Alvaro Siza und mit Peter Eisenmans «Ciudad de la Cultura de Galicia» ein zeitgemässes Image gibt (NZZ 2. 2. 01), setzt auch Córdoba ganz auf die architektonische Avantgarde. Neben den andalusischen Stars Antonio Cruz und Antonio Ortiz wurden Rafael Moneo, Rem Koolhaas, Zaha Hadid und Toyo Ito um Entwürfe gebeten. Der Wettbewerb sah vor, am Südufer des Guadalquivir, dem markante städtebauliche Akzente fehlen, ein Kongresszentrum als Gegengewicht zur Grossen Moschee und zum Komplex rund um die römische Brücke zu schaffen. Das neue Wahrzeichen, das laut Ausschreibungstext «zum Bindeglied zwischen historischer Stadt und der künftigen Erweiterung Córdobas werden soll», entsteht auf einer Landzunge, die vor hundert Jahren noch ein Überschwemmungsgebiet mit Gärten war, in die sich die begüterten Bürger zur Sommerfrische zurückzogen.

Das CCC ist allerdings nur Teil eines übergreifenden Plans, der die Attraktivität der gesamten Uferzone verbessern soll. Der Architekt Juan Cuenca Montilla bepflanzt die unterhalb des Alcázar verlaufende Promenade mit Zypressen und Palmen, legt die alte Stadtmauer frei und stellt die arabische Wasserleitung wieder her, die einst zwischen Festung und Moschee verlief. Ausserdem transformiert er die dem zukünftigen Kongresszentrum vorgelagerte Zone in den Miraflores-Park, der über den Guadalquivir hinweg den Blick auf Altstadt und Sierra Morena freigibt. Zudem verwandelt Juan Navarro Baldeweg, Erbauer des kürzlich eröffneten Altamira-Museums in Santillana del Mar, das gegenüberliegende Ufer in ein Naherholungsgebiet. In diesem Bereich südlich des Altstadtrings restauriert er eine alte Mühle, die der Öffentlichkeit als Museum zugänglich gemacht wird. Zudem öffnet er die Stadt zum Fluss, indem er eine durch Pflanzen und Wasserläufe geprägte Parklandschaft anlegt.

Diese landschaftsgestalterischen Eingriffe sind der Auftakt zum projektierten CCC. Bereits vor dem Wettbewerbsentscheid wurde von einem «neuen architektonischen Wahrzeichen» gesprochen. Seit kurzem weiss man nun, dass Koolhaas den hochkarätigen Wettbewerb für sich entscheiden konnte, und dies obwohl der holländische Pritzkerpreisträger den vorgegebenen Standort ignoriert und einen 360 Meter langen Keil zwischen die Uferböschungen der Guadalquivir-Schleife zwängt. Die Jury, der unter anderen der portugiesische Literaturnobelpreisträger José Saramago angehörte, zeigte sich beeindruckt von diesem Vorschlag, der Platz für den angrenzenden Miraflores-Park und eine geplante Brücke bietet, welche die römische Brücke entlasten soll. Erstaunlich ist dabei, dass Koolhaas in seine schlangenartige «Linear City» das erforderliche Programm von Besucherzentrum, Konferenzsaal, Auditorium, Shopping-Center, Ausstellungsräumen und Hotel unterbringt.

Trotz der aussergewöhnlich langgestreckten Form des Kongresszentrums nimmt Koolhaas Konstruktionsprinzipien wieder auf, die er gegenwärtig auch in der niederländischen Botschaft in Berlin anwendet. Sie radikalisieren Le Corbusiers Leitgedanken einer promenade architecturale: Das von Pilotis getragene Gebäude wird durch Rampen gegliedert, die die Besucherströme vom Eingangsbereich bis hinauf zur Dachterrasse führen und so für eine unaufhörlich fliessende Bewegung sorgen. Derart werden die horizontalen Schichtungen aufgelöst, und es entstehen unregelmässige Geschossebenen, die so eingeschnitten und verformt sind, dass sie mit den darunter oder darüber liegenden Ebenen ein fortlaufendes Band bilden. Dieses Gebilde nennt Koolhaas ein «programmatisches Sandwich». Erst seine Faltungen und das Zusammenziehen der Raumsegmente lassen die verschiedenen Funktionsbereiche entstehen. Lediglich die Rückseite des Gebäudes scheint diesen Bewegungsfluss aufzuhalten. Hier lässt Koolhaas keilförmige Kanzeln auskragen, in denen Konferenzsaal und Auditorium untergebracht sind.


Urbanes Ensemble

Für die schwierige städtebauliche Situation an der Guadalquivir-Schleife hat Koolhaas die beste Lösung ausgearbeitet - ein Kongresszentrum, das, wie er schreibt, «das Miraflores-Viertel, den Fluss und die Altstadt zu einem kohärenten urbanen Ensemble vereinigt». Cruz & Ortiz hingegen, die demnächst das Amsterdamer Rijksmuseum umgestalten werden, placierten das extrem flache und ausgedehnte Prisma ihres Kongresszentrums vorschriftsmässig an die Uferzone und verhinderten damit eine sinnvolle Eingliederung des Parks und eine direkte Blickachse zur Altstadt. Moneo, dessen «Kursaal» am Strand von San Sebastián von der spanischen Architekturkritik zum herausragendsten Bauwerk der letzten Jahre geadelt wurde, ignorierte jedes einheitliche Gestaltungsprinzip, indem er neben einem L-Block ein Hotel mit Patios wie einen durchlöcherten Teppich anlegte und für den Kongresssaal «eine Ansammlung segmentierter Kuppeln» vorsah - als Reverenz an Córdobas arabische Tradition.

Der Japaner Toyo Ito fand eine ansprechende Lösung: Die Grundfläche seines Modells entspricht fast der gesamten Ausdehnung des Kongresssaals, dessen Halbdunkel und labyrinthische Fluchten an die Grosse Moschee erinnern sollen. Eingeschnitten in dieses Gefüge sind die ondulierenden Volumina des Auditoriums, des Besucherzentrums und des hoch emporragenden Hotelturms. Niemand war schliesslich überrascht, dass die in London lebende Irakerin Zaha Hadid, die kürzlich einen städtebaulichen Auftrag für Barcelona erhielt, die avantgardistische Formensprache am deutlichsten ausreizte. Zwar folgte sie den Standortvorgaben, doch den örtlichen Gegebenheiten ist ihr Vorschlag am wenigsten angepasst. Ihr Modell mutet an wie ein Vogel mit weit ausgebreiteten Flügeln. Wie nicht anders zu erwarten, blieb Hadid mit diesem aus der Reihe fallenden Entwurf ihrem konstruktivistischen Dynamismus treu. - Der Entscheid für das Projekt von Koolhaas zeigt, dass Córdoba nach einigen eher zaghaften Versuchen in moderner Architektur mit einem neuen Wahrzeichen den Weg in die Zukunft beschreiten will.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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