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Stilbildende Synagogenarchitektur
Neue Zürcher Zeitung

Der deutschjüdische Architekt Fritz Landauer in Augsburg

28. Dezember 2001 - Hubertus Adam
Der aus Augsburg stammende, 1937 nach London emigrierte Architekt Fritz Landauer wurde durch Synagogen in Augsburg und Plauen bekannt. Das Architekturmuseum Schwaben zeigt nun im Überblick das Œuvre des weitgehend vergessenen Architekten.

«Religion verlangt zeitgemässe Gestaltung, weil sie selbst Leben ist», konstatierte der Leipziger Rabbiner Felix Goldmann 1930 anlässlich der Einweihung der Synagoge im sächsischen Plauen. Zeitgemässer hätte die Gestaltung des Gebäudes nicht ausfallen können: Der Architekt Fritz Landauer (1883-1968) hatte das Raumprogramm, das neben der Hauptsynagoge auch eine Wochensynagoge, einen Gemeindesaal sowie Verwaltungsräume umfasste, in einem hell verputzten Kubus untergebracht, der - teilweise aufgeständert - über einem verklinkerten Sockelgeschoss schwebte. Nur ein in ein Rundfenster integrierter Davidstern zeugte von der eigentlichen Bestimmung des Volumens, dessen Konstruktion auf einem (unsichtbaren) Stahlgerüst beruhte. Entstanden war die erste Synagoge in der Formensprache des Neuen Bauens, und nicht ohne Grund wurde der Bau in der Schau «Kultbauten der Gegenwart» 1930 in Stuttgart ebenso als vorbildlich hervorgehoben wie im Jahr darauf auf der «Deutschen Bauausstellung» in Berlin. Ziel sei es gewesen, so der Architekt, «im Inneren und Äusseren eine Form zu erstreben, die mit unserer neuen Lebensauffassung in Einklang steht». Bewusst ähnelte die Plauener Synagoge einem Zweckbau, wenn auch - wie Landauer schrieb - einem Zweckbau «mit höchstem und idealem Zwecke».


Jüdisches Bauen in der Diaspora

Angesichts der weitgehenden Ablehnung, auf welche das Neue Bauen im Bereich des zeitgenössischen christlichen Sakralbaus stiess, erstaunt ein derart avantgardistisches Gebäude in der deutschen Provinz. Eine erste Erklärung dafür mag die funktionale Differenz bieten, welche die Synagoge von der Kirche unterscheidet: Es handelt sich um einen «Bet Haknesset», einen Versammlungsort der Gemeinde, nicht um einen mystischen Raum, in dem sich im Vollzug der Liturgie das Wunder einer Transsubstantiation ereignet. Darüber hinaus fehlte es dem Synagogenbau auf Grund der jahrhundertelangen Repression weitgehend an einer verbindlichen Typologie. Die Bauten, die in der deutschen Diaspora seit der Emanzipation entstanden waren, bewegten sich gestalterisch in einem Feld, das durch die Adaption lokaler und nationaler Bautraditionen einerseits und die Inszenierung des Fremden andererseits bestimmt war. Häufig mischte sich beides - der Aussenbau von Sempers berühmter Dresdner Synagoge entsprach dem zeittypischen Rundbogenstil, während das Innere in orientalisierenden Formen gehalten war. In den zwanziger Jahren schliesslich war diese Anlehnung an sakrale christliche Bauformen in jüdischen Kreisen zunehmend auf Ablehnung gestossen.

Votierten die Vertreter liberaler Positionen für eine Anlehnung an die künstlerische und architektonische Avantgarde der Zeit, so suchten die orthodox orientierten Theoretiker nach einer Alternative zur christlich inspirierten Formensprache. Daher konnte ein moderner «Zweckbau» wie die Synagoge von Plauen von beiden Richtungen akzeptiert werden; obgleich die räumliche Zusammenbindung von Aron Hakodesch und Bima der liberalen Tradition entsprach, diente das Gebäude auch dem orthodoxen Ritus. Ebenfalls in kubischen Formen entstand wenig später die liberale Synagoge in der Hamburger Oberstrasse (1929-31); Landauer hatte vier Entwürfe eingereicht, doch wurde ein Gemeinschaftsprojekt der ortsansässigen Architekten Ascher und Friedmann zur Ausführung bestimmt.

Nicht erst seit dem Plauener Bau galt Fritz Landauer als Spezialist für Synagogenarchitektur. Einer deutschjüdischen Textilfabrikantenfamilie entstammend, studierte der gebürtige Augsburger in München und Karlsruhe, bevor er in das Büro von Friedrich von Thiersch eintrat und an der Planung der Frankfurter Festhalle mitwirkte. Die dort gewonnenen Erfahrungen und Kontakte flossen in das Projekt ein, das Landauer zum Renommee verhalf: die 1914-17 gemeinsam mit dem Thiersch-Mitarbeiter Heinrich Lömpel realisierte Synagoge in Augsburg. Die über einen vorgelagerten Hof betretbare Synagoge mit ihrer zweischaligen Eisenbetonkuppel wird von zwei symmetrisch angeordneten Gebäuden flankiert. In der Nachfolge von Edmund Körners Essener Bau (1912) wandten sich Landauer und Lömpel vom Eklektizismus ab und suchten nach einer vereinheitlichen Formensprache, die an den späten Jugendstil des in Süddeutschland überaus einflussreichen Theodor Fischer erinnert. Die Synagoge, die durch glückliche Fügung die Pogromnacht des Jahres 1938 weitgehend unbeschädigt überdauerte, besticht auch heute noch durch ihre grandiose Raumwirkung und die dekorative Gestaltung mit einem ausgeklügelten ikonographischen Programm. Ungewöhnlich war dabei eine (heute ersetzte) Davidstatue in der Vorhalle.


Wiederentdeckung eines Lebenswerks

Eine Ausstellung des Architekturmuseums Schwaben in Augsburg gibt nun einen Überblick über das Werk des von der Architekturhistoriographie über Jahrzehnte missachteten Fritz Landauer. Wie bei anderen emigrierten Architekten - etwa Arthur Korn oder Harry Rosenthal - folgte auch bei Landauer der Emigration (1937) das Vergessen in der Heimat. Basis der Ausstellung bildet eine langwierige Forschungsarbeit der Architekturhistorikerin Sabine Klotz, die sich vor allem auf den in Kalifornien entdeckten und zum Teil nach Augsburg übergebenen Nachlass Landauers stützt. Die materialreiche Dokumentation liegt nun als Begleitpublikation vor.

Wegen der beschränkten räumlichen Bedingungen des Museums kann die Ausstellung das Œuvre des Architekten nur ausschnitthaft dokumentieren. Im Zentrum der Präsentation stehen mit den Synagogen von Augsburg und Plauen die beiden Hauptwerke des Architekten. Doch werden darüber hinaus auch die wesentlichen Projekte und Bauten der übrigen Lebensabschnitte dokumentiert: die noch ganz der süddeutschen Tradition einer vom Heimatschutzgedanken geprägten Stilarchitektur folgenden frühen Wettbewerbsentwürfe, aber auch die umfangreichen Arbeiten der zwanziger Jahre - Siedlungsbauten, Privatwohnhäuser, Ladenlokale und Industriearchitektur. Zeigten die meisten Projekte eine eher konservative Formensprache, so können zwei Villen in Augsburg und Fürth (1930/31) zu den Meisterleistungen des Neuen Bauens in Bayern gezählt werden; Lochfenster und traditionelle Konstruktionsweise bedeuten gleichwohl Distanz zur zeitgenössischen Avantgarde.

Anders als manche seiner verfolgten Berufskollegen bereitete Landauer die Emigration nach London langfristig vor. Verschiedentlich reiste er in die britische Kapitale und realisierte in den Vororten zwei bescheidene Synagogen, bevor er - ausgestattet mit einer dauerhaften Aufenthalts- und Arbeitsbewilligung - 1937 endgültig übersiedelte. Tragisch ist, dass Landauer in der Profession des Architekten nicht mehr zu reüssieren vermochte. Grund dafür war nicht allein die Rezession in England, sondern auch die mangelnde Fähigkeit Landauers, sich auf die britischen Arbeitsbedingungen einzulassen - von Sprachproblemen ganz zu schweigen. Als Broterwerb diente ihm «Monumental Art Ltd.» - Landauer stellte Grabsteine her, vornehmlich für Emigranten. Zum Teil konnte er dabei auf Entwürfe aus der Münchner Zeit zurückgreifen. Als Landauer nach langem Ringen 1955 vom deutschen Staat entschädigt wurde, konnte er die «Ersatz-Tätigkeit» aufgeben. 1968 verstarb er in London. - Ergänzend zur Ausstellung zeigt das Jüdische Kulturmuseum Augsburg eine Dokumentation über die dortige Synagoge. Leider ist es nicht gelungen, die im unlängst in Argentinien entdeckten Nachlass von Heinrich Lömpel befindlichen Entwürfe der Baudetails zumindest leihweise nach Augsburg zu holen.


[Bis 10. Februar. Begleitpublikation: Sabine Klotz: Fritz Landauer. Leben und Werk eines jüdischen Architekten. Dietrich-Reimer-Verlag, Berlin 2001. 334 S., Fr. 87.-.]

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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