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Gaudí: Architekt Gottes oder Scharlatan?
Der Standard

Antoni Gaudí soll in seinem 150. Geburtsjahr selig gesprochen werden - dies will eine Initiative in Barcelona.

27. Dezember 2001 - Nikolaus Nowak
„Antoni Gaudí war ein Genie“, sagt Juan Bassegoda Nonell, Lehrstuhlinhaber für Gaudí-Forschung und Leiter der Gaudí-Bibliothek in Barcelona, das wichtigste Archiv über jenen verschrobenen Sohn der Stadt. Mit seinen verschnörkelten, filigran-verspielten Märchenburgen verlieh er der katalanischen Hauptstadt einen unverwechselbaren Charakter.

Nächstes Jahr ist das 150. Geburtsjahr des Baumeisters, geplant sind zwanzig Ausstellungen. „Gaudí hat die Architektur von Zirkel und rechtem Winkel befreit“, lobt Bassegoda. „Auch das Kettenliniengewölbe war seine Erfindung. Gaudí erkannte, daß dies die physikalisch einfachste und daher natürlichste Form für ein Dach ist.“

Gaudí habe jenseits des irdisch-menschlichen Vermögens gewirkt und die Schöpfung in Stein weitergebaut. So sieht es eine Interessengemeinschaft, die den Architekten in den Kreis der Seligen erheben will.


Wunder des Sankt Antoni

Angeführt vom Pastor der berühmten Gaudí-Kathedrale La Sagrada Familia, Pater Lluis Bonet, wirbt die „Gesellschaft für die Seligsprechung Gaudís“ seit 1992 für dessen Beatifikation.

Das dicke Dossier, die Positio, liegt seit Jahren in Rom. Es fehlt auch nicht an Wundern des künftigen Sankt Antoni: Zeugen fanden sich, die nach Gaudís Anrufung von schwerem Leid befreit worden sein wollen. Die Vorkämpfer für die Seligsprechung hoffen auf das Jubiläumsjahr 2002 und auf Papst Johannes Paul II., der als Befürworter einer Überhöhung auch nichtgeistlicher Verstorbener gilt.

Bei ihren Gegnern erntet die Initiative indessen Spott. Gaudís Ruf als Architekt gilt in der Fachwelt als umstritten. Schon zu Lebzeiten kursierten Gerüchte über seltsame Neigungen des Sonderlings. Von Freimaurerei, Alchimie, Opiumkonsum und Homosexualität war die Rede.

Immerhin: Die Sagrada Familia erhält Spenden wie nie. „Hält der derzeitige Spendenfluß von jährlich rund fünf Millionen Mark an, ist die äußere Form in 20 Jahren fertig“, schätzt Bassegoda. Derweil ruht Gaudí selbst tief unten in der Krypta. „Ich bin kein Künstler. Ich führe nur das Werk Gottes fort“, so sein Vermächtnis.

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