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Durchbrochene Geometrie
Neue Zürcher Zeitung

Der Architekt Henri Gaudin in Paris

5. Januar 2002 - Marc Zitzmann
Der 1933 in Paris geborene Architekt Henri Gaudin ist einem breiteren Publikum erst 1994 als Autor des Stade Charléty im 13. Pariser Arrondissement bekannt geworden. Das Institut français d'architecture präsentiert jetzt die erste seinem Gesamtwerk gewidmete Retrospektive. Zum Auftakt gibt es eine reiche Auswahl der Carnets, Skizzen, Zeichnungen und Aquarelle des anscheinend nie ohne ein Schreib- oder Malwerkzeug in der Hand anzutreffenden Architekten. Diese abstrakt-geometrischen oder figurativen Werke tragen mitunter zur Erhellung der Bauten bei, so im Fall der Gegenüberstellung von Tierskelett-Zeichnungen mit den eleganten Beton- und Metallträgern des Charléty-Stadions. Dieser Materialauswahl folgt eine klassisch-museale Präsentation der Projekte und realisierten Bauten, vom offiziellen Opus 1, zwei Schulgebäuden von 1973, über sehr eigenständige Arbeiten der Reifezeit wie die Universität Saint-Leu in Amiens und die Rechtsfakultät von Douai bis hin zu Gaudins unlängst vollendeten Hauptwerken: dem meisterhaft umgebauten Pariser Musée Guimet und der vielgestaltigen Ecole normale supérieure in Lyon.

Wiewohl bereits die Fotos, Pläne und Modelle deutlich machen, dass es dem Architekten um klare Konturen, Plastizität (selbst bei reglementierten Strassenfassaden) und die Verbindung (aber nicht: Fusion) von streng geometrischen und überraschend geschwungenen Formen geht, hätte man als Ergänzung der höchst subjektiven Zitate des Architekten kurze Informationstexte und ein paar Raumgefühl vermittelnde Videos begrüsst. Der (teure) Katalog bestätigt einmal mehr, dass Künstler selten die besten Kommentatoren ihrer Werke sind. Er handelt grössere im Entstehen begriffene Bauten wie ein Bürogebäude in Gentilly oder den Justizpalast von Besançon etwas gar schnell ab. Doch wird man mangels Alternative und auch dank dem reichen photographischen Material (leider fast nur schwarzweiss) auf den Band nicht verzichten wollen.


[Bis zum 27. Januar im Institut français d'architecture. Katalog: Henri Gaudin. Ed. Norma, Paris 2001. 224 S., EUR 57.90.]

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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