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Resonanzen und Obertöne
Resonanzen und Obertöne, Foto: Robert Newald
Resonanzen und Obertöne, Foto: Christian Kühn
Resonanzen und Obertöne, Foto: Michaela Seidler
Spectrum

Die Frage ist längst nicht mehr „Ja oder nein?“, es geht inzwischen ums Wo und ums Wie: Hochhäuser in Wien. Ein Konzept mit vagen Vorgaben existiert zwar, zwingende stadträumliche Ideen, die dem Investitionsdruck standhielten, stehen indessen noch aus.

19. Januar 2002 - Walter Zschokke
Große Städte, noch dazu, wenn sie viele hundert Jahre alt sind, verfügen über eine spezifische Anziehungskraft, die in den Köpfen weiter Bevölkerungskreise ansetzt. In ihren auf eine, zwei Silben verschliffenen Namen klingt mehr mit als die bloße Bezeichnung. Es sind die zahllosen Chancen, die eine Stadt bietet, sich hochzuarbeiten, sein Glück zu machen. Abstürze werden selbstverständlich verdrängt. Wer an sich glaubt, ist überzeugt, es irgendwie zu schaffen.

Dieses Potential - jene in den Vorstädten, die es irgendwie schaffen wollen, sowie jene, die von der Stadt träumen, um dem begrenzten Raum ihrer Dörfer und abgelegenen Kleinstädte zu entkommen - erzeugt einen mentalen Umschlingungsdruck. Der Drang, sich in Metropolen niederzulassen, ist keine Modeerscheinung, sondern wirkt permanent. Selbst wenn materielle Grenzen - ob aus Stein und Stahl, mit Kontrolltoren und -posten, oder wirtschaftlicher Natur, etwa hohe Lebenshaltungskosten und Repräsentationsausgaben - ein Vordringen in die „Stadt“ erschweren, bleiben die kulturellen Gravitationskräfte bestehen. Sie verstärken sich sogar, weil das Drinnen oder Draußen so eindeutig ist.

Materieller Ausdruck dieser zentripetalen Kräfte ist das Ansteigen der Geschoßzahl, wie dies etwa im Wien des 18. und 19. Jahrhunderts der Fall war. In Manhattan ist es die Insellage, die zur Höhenentwicklung der untypischsten amerikanischen Stadt geführt hat. Die wachsenden technischen Möglichkeiten erlaubten alsbald Gebäudeproportionen, die den materiellen Zwang zur Verdichtung überstiegen und ins Symbolhafte vordrangen. Seither gibt es zwei Argumentationsachsen für den Bau von Hochhäusern: jene des Drucks der Massen und der Ökonomie sowie die des repräsentativen Ausdrucks.

Das Bild von Manhattan stand über ein halbes Jahrhundert für Prosperität und Zukunft. Bereits in den fünfziger Jahren wurde dieses Bild in kleinerem Maßstab europaweit kopiert, auch dort, wo der politische den ökonomischen Druck überstieg. Ja selbst in ländlichen Kleinstädten. Mangels Bürobedarf bestanden die hohen Häuser aus gestapelten Familienwohnungen oder Zimmern für das Personal von Krankenhäusern. Zur bildhaften Bedürfnisbefriedigung genügte denn auch ein einziges höheres Haus, das bei 16 Geschoßen und wenig wirtschaftlicher Schlankheit sogar hoch wirkte. Daß der ökonomische Druck fehlte, beweist die Tatsache, daß sie nahezu alle einsam blieben.

Doch zurück nach Wien. Solange die Stadt im geographischen Sack des Eisernen Vorhangs gefangen blieb, beschränkte sich die kleine Hochhauskonjunktur auf ein paar symbolische Stüpfel, wobei der „Ringturm“ am Franz-Josefs-Kai städtebaulich richtig zu stehen kam. Aber welchen urbanistischen Rang erreichte das Haus am Matzleinsdorfer Platz? Als nach 1989 die Grenzen durchlässiger wurden, begann auch Wien wieder zu wachsen.

Der Versuch, mit dem „Trainingsprogramm“ einer Expo die Fitneß der Stadt hinsichtlich ihrer Stellung als Donaumetropole anzuheben, scheiterte am linkskonservativen Widerstand. Mit dem EU-Beitritt befand sich die Stadt wieder in derselben geographischen Abschnürung, diesmal durch die Schengen-Außengrenze. Daß die temporäre Ruhe trügerisch ist, weiß man allerdings an den entscheidenden Stellen der Stadt. Es wird für Wien ein Hochhauskonzept angestrebt, das künftige Entwicklungen in Bahnen lenken soll.

Ausgehend von dem 1991 von Coop Himmelb(l)au ausgearbeiteten Konzeptvorschlag wurden zuerst jene Bereiche festgelegt, die nicht in Frage kommen sollen: die Innenstadt oder Schönbrunn. Und es wurden freizuhaltende Sichtachsen auf die historische Stadtkrone, den Stephansdom, festgelegt. Andere auch. Ein Blick auf das Netz hochwertiger öffentlicher Erschließung mit U- und Schnellbahnen zeigt, daß neben der Innenstadt, die ja nicht in Frage kommt, der zweite Bezirk - insbesondere nach dem Ausbau der U2 -, der Bereich des Gürtels - wo U6 und Straßenbahn-Radiallinien sich kreuzen - sowie die Bereiche im Wiental - mit Schnittpunkten zweier U-Bahn-Linien - eine hohe Standortgunst aufweisen. Das heißt nun aber nicht, daß Hochhäuser deshalb an diesen Stellen auch städtebaulich richtig stehen würden, von wirtschaftlichen Überlegungen ganz zu schweigen. Es kann daher nicht bloß darum gehen, wo Hochhäuser verhindert werden sollen, sondern es muß auch darum gehen, wo man sie haben will. Ein Abschieben an den Stadtrand würde heißen, daß man sie eigentlich nicht will, sich das aber nicht zu sagen traut.

Lassen wir einmal den Höhenwettbewerb weg, und denken wir in Gebäuden von 75 plus/minus 15 Meter. Da Bauwerke dieser Höhe die Stadttopographie wesentlich verändern, geht es um die Frage des künftigen Stadtbildes. Insbesondere, wenn sie nicht einzeln, sondern als Gruppe, Zeile oder Cluster angeordnet werden.

Daß näher am Zentrum liegende Zonen größeres Interesse finden, werden jene schon bemerkt haben, welche die eher gemächliche Entwicklung der Investitionen vor der UNO-City beobachtet haben. Da liegt die Bebauung entlang des linken Ufers des Donaukanals näher. Eine positive Vision dieser innerstädtischen Kante auf mittlere Frist tut allein deshalb not, weil die Transformation bereits eingesetzt hat. Die Weite des Flußraums und der gebogene Verlauf machen die Ansicht äußerst attraktiv. Hier könnte der Ring nicht bloß für den Verkehr, sondern auch städtebaulich in adäquater Weise geschlossen werden.

Wie das von Hans Hollein gesetzte Beispiel beweist, erlaubt der Höhenunterschied zur Stadtterrasse die bisher gewählte Größenordnung. Entlang dieser wichtigen Schauseite keine bindenden stadträumlichen Ideen zu entwickeln hieße, diesen zentrumsnahen Bereich den Zufällen des zunehmenden Investitionsdrucks zu überlassen.

Mit der Stadt Zürich unterhält Wien einen Erfahrungsaustausch zur Frage des Hochhauskonzepts. Die schweizerische Metropole steht unter nicht geringem Konkurrenzdruck aus München, Stuttgart, Mailand und so weiter und will ihre Stellung ausbauen. Der Strukturwandel, der die städtebaulich weniger empfindlichen Industriezonen beidseits der nach Westen führenden Eisenbahngeleise erfaßt hat, bietet die Chance einer Verdichtung und Urbanisierung ungeahnten Ausmaßes. Hier möchte man Höhen bis 80 Meter zulassen, in angrenzenden Zonen, die etwas empfindlicher eingestuft werden, unter gewissen Bedingungen ebenfalls. Für weitere Stadtteile sollen 40 Meter Höhenbegrenzung gelten.

Die Altstadt und die Seeufer sind tabu. Wichtig erscheint vor allem der positive Blick in die Zukunft: Die Stadt soll sich weiterentwickeln, ihr Erscheinungsbild soll sich in wesentlichen Teilen verändern dürfen, indem ganze Quartiere mit ähnlich hohen Gebäuden zulässig werden. Dem Druck der Agglomeration wird auf diese Weise Raum geschaffen. Die bisherigen Industrieanlagen stehen aber nicht leer. Viele sind mit Zwischennutzungen belegt, und mit dem Theater in der Schiffbauhalle und mehreren Kinos haben sich Kulturinstitutionen frühzeitig angesiedelt. Beim nächsten regionalen Konjunkturanstieg - etwa nach Inkrafttreten der bilateralen Verträge mit der EU im Mai dieses Jahres - wird sich der Transformationsprozeß intensivieren. Damit die Interessen der Stadt Berücksichtigung finden, gibt es Auflagen nach städtebaulicher Einordnung, einem positiven Bezug zum öffentlichen Raum, ökologischer und klimatischer Unbedenklichkeit sowie architektonischer Qualität.

Das alles weiß man in Wien natürlich ebenfalls. An der positiven Vision einer künftigen Stadtgestalt ist allerdings noch zu arbeiten.

Aber was soll das alles nach dem 11. September 2001? Es würde wohl wesentlich mehr brauchen als einen terroristischen Anschlag selbst dieser Brutalität, um Städtern - wo auch immer - den Willen zur Stadt und die Bejahung von Urbanität auszutreiben. Denn die europäisch geprägte Polis ist seit ihrem Entstehen mit dem Gedanken der Demokratie eng verbunden. Daran ändern auch ein paar gewesene Residenzstädte wenig. Sie lebt aus ihrer Bevölkerung heraus, mit allen Obertönen und Resonanzen im Klang ihres Namens. Dazu gehören auch Hochhäuser auf dem rechten Fleck.

Der Genueser Architekt Renzo Piano, zur Zeit mit der Planung für den neuen Sitz der „New York Times“ befaßt, antwortete dem Journalisten der „Neuen Zürcher Zeitung“ auf die entsprechende Frage: „Ich war am 11. September in New York - ein unbeschreiblicher Tag - alle waren in einer Art Schockzustand. Tags darauf, beim Treffen mit meinen Auftraggebern, sagte niemand: Laßt uns aufhören, oder laßt uns eine Pause machen.“ Und weiter: „Als ich den Auftrag für die ,New York Times' erhielt, fragte ich: Warum nehmen Sie einen Europäer und nicht einen Amerikaner? Die Antwort lautete: Weil Sie vielleicht besser wissen als wir, wie man Urbanität schafft, wie man einen humanistischeren Zugang zum Bauen findet.“ Mit einem vergleichbaren Ansatz wird man auch in Wien zu einem intelligenten Hochhauskonzept kommen.

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