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Wechsel im Frankfurter Architekturmuseum
Neue Zürcher Zeitung

Ingeborg Flagge als neue Direktorin des DAM

7. Juli 2000 - Ina Nottrot
Es war einmal eine alte Gründerzeitvilla am Frankfurter Schaumainkai, die sich unter den Händen von Oswald Mathias Ungers in ein respektables Architekturmuseum verwandelte. Das geschah 1984 unter der Ägide von Heinrich Klotz, der das Deutsche Architekturmuseum (DAM) ins Leben rief und dessen Weggang 1989 die Aufbauphase abschloss. Vittorio Magnago Lampugnani folgte als Direktor. Er konzentrierte sich auf das 19. und 20. Jahrhundert und wollte das DAM in ein Diskussionsforum verwandeln. Als dessen Nachfolger Wilfried Wang 1995 das Amt übernahm, umfasste die Sammlung 100 000 Blätter und 500 Modelle. Mangelnde Gelder und wenig populäre Ausstellungen liessen das DAM allmählich in einen tranceartigen Winterschlaf versinken. Kein Prinz, sondern die couragierte, nicht nur der deutschen Architekturszene bekannte Ingeborg Flagge, die bisher einen Lehrstuhl für Baugeschichte und Baukultur in Leipzig innehatte, wird nun ab diesem Monat die Geschicke der Institution leiten.

Es wird für Flagge keine leichte Aufgabe sein, das Institut auf Vordermann zu bringen. Doch gerade das will sie «mit totalem Engagement tun, denn die Institution ist ziemlich am Ende, und das braucht 16 Stunden am Tag». Ingeborg Flagge muss einen neuen Kurs steuern, wenn sie die dringend notwendige Wiederbelebung der Einrichtung voranbringen will. Die promovierte Ägyptologin und Archäologin, die sich in den letzten 20 Jahren auch einen Namen als Architekturkritikerin machte, sieht das Museum in einer veränderten Situation: «Die Institution DAM ist nicht mehr dieselbe wie in ihren Anfängen in den achtziger Jahren. Damals war es das einzige Institut in Deutschland, und Heinrich Klotz hatte zeitweise einen Etat von 1,5 Millionen Mark. Es war eine einzigartige Situation. Die gibt es heute, da viele Museen die Architektur für sich entdeckt haben, nicht mehr. Der Ansatz muss nun bescheidener sein, nicht nur auf finanziellem Niveau.» Wie wird sich das thematisch äussern? «Das Thema der Postmoderne ist vorbei. Heute kann man Architektur nicht mehr auf einen Stil reduzieren, es gibt die Möglichkeit zu vielen Stilen, deshalb besteht die Notwendigkeit, dies auch zu widerspiegeln. Nicht ein ‹anything goes› soll ins DAM einziehen, aber es soll ein tolerantes Nebeneinander geben. Der Besuch im DAM soll ein vielfältiges Architekturerlebnis werden.»

Die in Frankfurt angestrebte Architekturrezeption wird sich deutlich abheben vom Postmodernismus der Gründungsjahre, von den leicht ambivalenten Ausstellungsinhalten von Lampugnani und von Wangs Länderausstellungen: «Ich muss neue Themen finden. In den nächsten fünf Jahren - meine Amtszeit ist wie schon jene meiner Vorgänger auf fünf Jahre limitiert - möchte ich die Architektur an ihren Schnittstellen beleuchten, dort wo sie sich mit anderen Disziplinen überschneidet, mit Politik, Philosophie, Design und Photographie. Ein weiterer Unterschied wird darin bestehen, dass ich Stellung innerhalb der zeitgenössischen Architektur beziehen möchte. Ich werde Einzelausstellungen heutiger Architekten machen. Ich habe keine Angst vor den Angriffen und kritischen Nachfragen.» Wer sich über lange Jahre im Interessengeflecht des BDA als Chefredaktorin der Verbandszeitschrift «Der Architekt» bewegt hat, der weiss: «Die Architekten lieben Kritik ebenso wenig wie die Politiker.»

Aus diesem Kontext ergibt sich der Blick ins Nachbarland Holland mit seiner lebendigen Architekturszene und dem Nederlands Architectuur Instituut (NAI) in Rotterdam, das ebenfalls von einer Frau, Kristin Feireiss, geleitet wird. Diese sieht ihr mit einem Ausstellungsetat von 760 000 Gulden ausgestattetes Institut als «neutrale Plattform» für Architektur. «Mit Feireiss wird es wahrscheinlich eine enge Zusammenarbeit geben, weil das DAM wegen seiner finanziellen Engpässe auch Ausstellungen übernehmen muss und das NAI gute Ausstellungen macht.»

Wie verhält es sich mit dem Wörtchen «Deutsch» im Titel des DAM? Bisher kann es wohl nur als eine Art Etikettenschwindel gesehen werden, der den Anschein erweckte, es handle sich um eine von der Bundesregierung getragene Einrichtung. Aber bis heute fungiert die Stadt Frankfurt als alleiniger öffentlicher Geldgeber. Auch das wird Flagge in Angriff nehmen: «Das ‹Deutsch› im Titel ist eine Verpflichtung, über Grenzen hinweg zu denken. Einerseits soll das DAM sich für eine deutsche Architektur einsetzen, andererseits muss aber auch der Bund Geldmittel für eine solche Institution geben. Hier müssen Gespräche mit Berlin geführt werden.»

Ein weiterer Aspekt liegt Flagge besonders am Herzen. Der betrifft neben den klassischen Museumsaufgaben wie Sammeln, Bewahren und Forschen die Vermittlung. Damit ist das Publikum angesprochen, an das die Ausstellungen adressiert werden sollen. Eine wichtige Zielsetzung wird für die neue Direktorin darin bestehen, neue Besuchergruppen für das DAM zu erschliessen, denn ein «Architekturmuseum nur für Architekten» hält sie für überflüssig. Um andere Besuchergruppen anzuziehen, will sie den «Spagat wagen zwischen Baukunst für wenige - Architektur als Geheimtipp - und Architektur als Massenveranstaltung». Keine Eventkultur, keine «Disneyfizierung», sondern eine Gratwanderung: wohl wissend, dass «man Ausstellungen heute anders inszenieren muss», um Gegenwartsimpulse zu senden.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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